"Bedeutungsverschiebung in Richtung der neuen Medien"

Christoph Bieber im gespräch mit Alexandra Mangel · 08.02.2011
Der Gießener Politologe Christoph Bieber sieht soziale Netzwerke als Teil einer neuen Öffentlichkeit in Ägypten. Nicht die Zahl der Nutzer sei entscheidend, sondern dass "die Kommunikation im Netz ja nicht im Netz bleibt" und Informationen weiter getragen würden.
Alexandra Mangel: Seit die Massenproteste in den arabischen Ländern begonnen haben, ist es immer wieder zu hören gewesen: Ohne das Internet hätte es diese Aufstände nicht gegeben. Twitter-Revolution oder Facebook-Revolution sind die Begriffe, die dann fallen. Denn mithilfe der neuen Technik vernetzen sich vor allem junge Menschen, tauschen Information, organisieren Demonstration, und die ganze Welt kann dabei zuschauen, denn Bilder der Auseinandersetzung gehen rund um den Globus. Was an dieser Revolution durch das World Wide Web wirklich dran ist, das möchte ich gleich Christoph Biber vom Zentrum für Medien und Interaktivität an der Universität Gießen fragen.

Und ich bin jetzt verbunden mit dem Politologen Christoph Bieber von der Universität Gießen, guten Morgen, Herr Bieber!

Christoph Bieber: Schönen guten Morgen!

Mangel: Zumindest die ägyptische Regierung scheint ja an die revolutionäre Kraft des Netzes zu glauben, sonst müsste sie es ja nicht lahmlegen. Von 82 Millionen Ägyptern haben immerhin mehr als fünf Millionen einen Facebook-Account, und wenn man das mal mit den großen Tageszeitungen vergleicht, die haben dagegen nur eine Auflage von knapp über zwei Millionen. Kann man mit solchen Zahlen die Bedeutung des Internets für den politischen Wandel belegen?

Bieber: Na ja, es deutet sich zumindest etwas an, was man immer als den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit beschreibt. Man sieht, dass es offensichtlich eine große Nachfrage nach den medialen Angeboten im Netz gibt, die in der Größenordnung tatsächlich konkurrieren können mit dem, was man klassischerweise als Medienöffentlichkeit bezeichnet. Und insofern ist die große Aufmerksamkeit, die den Aktivitäten der Bürger in diesen Zeiten im Netz entgegenkommt, durchaus verständlich.

Mangel: Wenn man jetzt aber mal das Argument des Bloggers Evgeny Morozov nimmt: Nur knapp 20.000 Twitter-Konten während der iranischen Aufstände! Das klingt doch wirklich eher nach einem ziemlichen Witz?

Bieber: Also "Witz" ist glaube ich ein ganz schlechtes Wort um das zu beschreiben. Die Frage …

Mangel: … nennen Sie es: Es steht in keinem Verhältnis …

Bieber: … ja, warum reden wir dann darüber? Es ist doch ganz offensichtlich und deutlich, dass damit ein Nerv getroffen wurde, dass die neuen Kommunikationsmittel die Möglichkeit bieten, in schwierigen Zeiten sich zu äußern, an die Öffentlichkeit zu gehen und Informationen weiterzutragen, die sonst eben nicht diese Runde gemacht haben, wie sie ganz offensichtlich über Twitter möglich waren. Da spielt die Zahl der Menschen, die Zugang zu diesem Format haben, eigentlich keine besonders große Rolle, es ist ja gerade die besondere Leistung von Twitter, dass diese kurzen Nachrichtenteile und Informationen tatsächlich dann sehr gut und sehr schnell weitergetragen werden können. Und insofern ist dieses Maßnehmen an der Frage, wie viele Menschen diese Mittel nutzen können, glaube ich, ein sehr schlechter Indikator dafür, welche Bedeutung dieser Kanal hat.

Mangel: Aber warum? Wenn man jetzt mal Ägypten nimmt: Mindestens 30 Prozent der Ägypter sind Analphabeten, die Armut ist so groß, dass die von einem Internetanschluss nur träumen können und auch davon, ein Facebook-Profil lesen zu können. Kann das Internet da überhaupt eine wirklich entscheidende Rolle spielen?

Bieber: Ich denke, dass sehr, sehr häufig vergessen wird, dass die Kommunikation im Netz ja nicht im Netz bleibt, sondern sie wird an vielen Stellen auch wieder aus diesen neuen Medien herausgetragen. Genau das ist es doch, das passiert auf den Straßen und Plätzen von Kairo: Wenn Menschen Informationen über das Netz behalten, behalten sie sie auch nicht für sich. Die Kommunikation in den sozialen Medien – daher kommt ja auch der Begriff – zielt immer darauf ab, Informationen mit anderen Menschen zu teilen. Und ob sie nun im Netz sich befinden oder außerhalb, ist dann eigentlich zweitrangig. Und die Effekte, die wir tatsächlich dann auf den klassischen Bereichen der Öffentlichkeit sehen, haben zum Teil ihren Ursprung in den neuen Medien und werden dort dann herausgetragen und erreichen so eine große Zahl von Menschen.

Mangel: Also in welchem Verhältnis steht die Bedeutung des Netzes dann zur Bedeutung von Fernsehbildern heute?

Bieber: Das ist ein interessanter Punkt, denn bisher haben wir sehr viel gehört darüber, wie die Regime versuchen, die Kommunikation im Netz einzudämmen, aber ganz offensichtlich nicht so sehr im Fernsehen. In früheren Revolutionen – nehmen wir mal Rumänien zum Beispiel – spielte die Besetzung von Fernsehsendern eine ganz große Rolle. Wenn man als aufständische Gruppe versuchen wollte, Information unter das Volk zu bringen, war man auf diese alten Medien angewiesen. Das scheint zurzeit nicht mehr der Fall zu sein und insofern sehen wir auch hier eine Bedeutungsverschiebung in Richtung der neuen Medien.

Mangel: Interessanterweise scheint die Online-Revolution ja auch ein Phänomen zu sein, das von unterschiedlichen Medien unterschiedlich dargestellt wird. Beobachten Sie, dass die Berichterstattung über die sogenannte Facebook-Revolution und ihre Beurteilung durchaus auch von anderen, von eigenen Interessen der jeweiligen Medien beeinflusst ist?

Bieber: Also so weit würde ich erst mal nicht gehen wollen, aber es ist schon sehr auffällig, dass wir viele Berichte, teilweise auch überzogene, manchmal sogar hysterische Berichte über die Möglichkeiten und Gefahren der neuen Medien in den alten finden, und insofern ist das durchaus auch ein Symptom für den schon angesprochenen Medienwandel. Man weiß, glaube ich, in vielen Fällen noch gar nicht, wo tatsächlich die Verbindungslinien oder auch die Bruchstellen zwischen alten und neuen Medien verlaufen, und insofern ist es durchaus auch natürlich, dass hier eine Reflexion, wenn man so will, stattfindet, die zunächst einmal von alten Medienöffentlichkeiten getragen wird und gleichzeitig aber auch deutlich macht, dass man nicht so genau weiß, was dort in diesen neuen Medienumgebungen passiert. Aber da ein systematisches Interesse zu unterstellen, dass hier etwas diskreditiert werden soll zum Beispiel, das würde ich auf gar keinen Fall unterstellen wollen.

Mangel: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit dem Politologen Christoph Bieber über die Bedeutung des Internets für den politischen Wandel im arabischen Raum. Herr Bieber, das Beispiel Ägypten zeigt ja, wie einfach es für ein solches Regime ist, das Netz landesweit lahmzulegen. Das gibt ja Evgeny Morozov eigentlich recht, der darauf hinweist, welche Kontrollzensur und -zugriffsmöglichkeiten das Internet einem autoritären Machtapparat bietet. Welche Lernprozesse beobachten Sie denn da, auf der Gegenseite der jeweiligen Regierung?

Bieber: Na zunächst mal bin ich mir nicht ganz sicher, ob diese These stimmt, ob es wirklich so einfach war, das Netz lahmzulegen. Man hat das gemacht, hat aber dann sehr schnell gemerkt, dass man damit sich möglicherweise noch größere Probleme einhandelt, und hat diese Sperre dann nach einer relativ kurzen Dauer wieder aufgehoben. Tatsächlich ist es möglich, Leitungen zu unterbrechen, aber man hat gemerkt, dass daraus natürlich auch Probleme resultieren zum Beispiel für die Wirtschaftskraft eines Landes. Und diese Verflechtung und Durchdringung des Netzes durch alle Gesellschaftsbereiche, macht ein solches Abkoppeln sicherlich auch zu einem sehr schwierigen und problematischen Akt. Insofern muss man als Regime, wenn man so will, natürlich auf sehr viel mehr achten als auf nur den Versuch, tatsächlich Kommunikation zu unterbinden, weil man tatsächlich als Regierungsakteur auch von diesem Kommunikationsnetzwerk abhängig ist.

Mangel: Aber man könnte ja jetzt mit dem Gedanken spielen, was wohl wäre, wenn ein solches Regime jetzt auf die Idee käme, eine eigene Netzstruktur für die Wirtschaft zu schaffen. Halten Sie solche oder ähnliche Konsequenzen aus den aktuellen Ereignissen für möglich oder vielleicht sogar wahrscheinlich?

Bieber: Nun, die Leistungsfähigkeit und Stärke solcher Netze wird letztlich auch davon abhängen, wie gut sie an andere Netzwerke angekoppelt ist. Und insofern haben wir es hier mit diesem Kernproblem der Netzwerkkommunikation zu tun, dass sie eben nicht vollständig zentral kontrollierbar ist. Das funktioniert so nicht mehr. Man kann tatsächlich wichtige Leitungen kappen oder stoppen oder stilllegen lassen, aber das funktioniert eben nicht ohne diese Begleitkommunikation, wie wir sie von großen Internetdienstleistern anderswo in der Welt dann eben mitbekommen haben. Insofern kann man das nicht heimlich, still und leise tun, sondern wird immer auch tatsächlich dann mit Gegenreaktionen konfrontiert sein.

Mangel: In Ägypten kursieren jetzt offenbar Broschüren, die ihre Leser auffordern Nachrichten eben nicht mehr über die sozialen Netzwerke zu verbreiten, weil die von Sicherheitsdiensten bespitzelt werden. Was würden Sie sagen, wie schutzlos sind Dissidenten und Demonstranten im Netz der Verfolgung gegenwärtig eigentlich ausgesetzt?

Bieber: Auch das ist eben ein Effekt der digitalen Kommunikation, dass die Aktionen dort möglicherweise aufgezeichnet werden können und dann eben auch nachverfolgbar sind. Diese Strategie des Kommunizierens im Geheimen ist ja auch etwas, was in Revolutionen bekannt ist. Man muss eben dann versuchen, sich gegen diese Zugriffe zu schützen, und die eigene Kommunikation verschlüsseln. Auch dazu gibt es sicherlich Anleitungen und Hinweise. Also dass wir hier im Grunde dieses typische Spiel der Verfolgung von wichtigen Kommunikationskanälen auch wiederfinden, nur eben jetzt wieder in einem digitalen Umfeld.

Mangel: Christoph Bieber, Politologe am Zentrum für Medien und Interaktivität der Universität Gießen über die Möglichkeiten, die Netz Unterdrückten wie Unterdrückern bietet. Danke schön fürs Gespräch, Herr Bieber!

Bieber: Bitte schön!
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