Beckedahl: Wahl 2009 wird nicht im Internet entschieden

Markus Beckedahl im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 04.08.2009
Der Betreiber des Internetblogs netzpolitik.org, Markus Beckedahl, sieht Wahlwerbung im Netz als nicht wahlentscheidend an. Das Fernsehen sei immer noch das Leitmedium. Die bisherigen Online-Aktivitäten der Politiker seien zwar bemüht, aber nicht vollends überzeugend.
Stephan Karkowsky: Wie wichtig der Wahlkampf 2009 für die Bundestagswahl in Deutschland im Internet sein wird, das frage ich Markus Beckedahl, Betreiber des Internetblogs netzpolitik.org, Herr Beckedahl, was glauben Sie denn: Wird die Wahl 2009 im Internet entschieden?

Markus Beckedahl: Ich glaube nicht, dass die Wahl 2009 im Internet entschieden wird. Das Fernsehen ist immer noch das Leitmedium und da große Teile der Bevölkerung immer noch nicht das Internet richtig in ihr Leben integriert haben, sondern Fernsehen schauen, wird das Fernsehen wahlentscheidend bleiben.

Karkowsky: Es hat ja jetzt gerade einmal eine Aktion gegeben, die große Aufmerksamkeit erreicht hat, nämlich einen Anti-Wahlspot. Man sieht dort Jan Hofer, Sandra Maischberger, Regisseur Detlev Buck und andere, die auf YouTube sagen: "Geh nicht hin!" Das klingt dann so:

Person 1: "Ich finde, das sind alles Versager, weil wenn sie keine Versager wären, dann wären sie ja draußen, im freien Leben, in der Wirtschaft, in der Kunst, wo auch immer."
Person 2: "Es geht allen nur um Machterhalt oder so. Da haste dann irgendwelche Leute, die dir einen Schwachsinn erzählen, und dann sollst du den Scheiß auch noch glauben?"

Karkowsky: Das war eine Idee des Fernsehproduzenten Friedrich Küppersbusch, der setzte auf Ironie und produzierte damit einen Aufreger, weil viele diese Botschaft ernstnahmen. Was glauben Sie denn, hat Küppersbusch der Politik gezeigt, wie es geht, wie man im Internet Aufmerksamkeit generieren kann?

Beckedahl: Er hat gezeigt, wie man im Internet Aufmerksamkeit generieren kann und er hat gezeigt, dass man ganz gut, in den USA, gute Konzepte kopieren kann, aber er zeigt auch gleichzeitig, dass Kopieren nicht alles ist. Es wurde leider ein bisschen versäumt, den ganzen Spot auf deutsche Verhältnisse ein bisschen umzuschneiden. Und so sehen ihn viele als eine eher schlechte Kopie an und sehr viele schalten auch ab, bevor es zu dieser Drehung kommt im Clip, wo es halt auf einmal heißt, geh doch wählen.

Karkowsky: Sie beobachten schon lange das Verhalten von Politikern im Web 2.0, wie also Politiker mit ihren Wählern, ihren potenziellen, kommunizieren über moderne Internetplattformen wie zum Beispiel Twitter oder YouTube. Wie lange gibt es das denn überhaupt schon, Wahlkampf in Deutschland im Internet?

Beckedahl: Ja, man kann eigentlich sagen, seit 1998. Ich weiß jetzt gar nicht, ob es 1994 im Wahlkampf schon erste Webseiten gab, aber ab 1998 ist das ein Thema. Das liegt daran, dass ab 1998 das Internet oder das World Wide Web allmählich in die Bevölkerung einsickerte, immer mehr Menschen es nutzten, und insofern haben wir jetzt elf Jahre Wahlkampf im Netz hinter uns.

Karkowsky: Früher reichte es, eine Homepage zu haben, jeder musste sogar eine haben. Heute reicht das längst nicht mehr. Wer im Internet wahrgenommen werden will, muss auch auf den sogenannten sozialen Plattformen aktiv sein. Welche halten Sie denn im Prinzip für am geeignetsten, um politische Inhalte zu verbreiten?

Beckedahl: Ich halte die am geeignetsten, die viele Menschen ansprechen, wo viele Menschen sich aufhalten, das sind die sozialen Netzwerke Facebook und StudiVZ oder MeinVZ, regional noch im Südwesten Deutschlands wer-kennt-wen, dazu die Videoplattform youTube und den Microbloggingservice Twitter.

Karkowsky: Und wie wird das im Internetwahlkampf genutzt?

Beckedahl: Die Politiker haben mittlerweile eingesehen, dass die Wähler nicht freiwillig auf ihre Webseiten kommen. So eine Webseite ist eigentlich vergleichbar mit einem Wahlkreisbüro, da geht auch keiner hin, um sich Flyer abzuholen. Deswegen gehen die Politiker in die Fußgängerzone oder auf die Kirmes oder ins Bierzelt, um dialogbereit zu sein, um Bürger anzusprechen. Und genauso muss man auch im Internet an die sozialen Orte gehen, wo Menschen sich aufhalten, und insofern tun eigentlich alle Politiker, die was werden wollen oder was auf sich halten oder trendbewusst sind, sich jetzt Profilseiten in den sozialen Netzwerken einrichten, und …

Karkowsky: Ich kann denen dann Meldungen schreiben, Nachrichten schreiben und kriege eine Antwort?

Beckedahl: Ja, in der Regel kriegt man … ja, vom Wahlkampfteam, wenn man Glück hat, eine Antwort. Man kann erst mal Freund werden, und die sammeln also alle ganz fleißig Freunde, um halt quasi zu zeigen, wer hat den Längsten?

Karkowsky: Welche Rolle spielt den Twitter, dieses auf 140 Zeichen beschränkte elektronische Flugblatt mit Sofortzustellung?

Beckedahl: Twitter ist ein ganz neues Phänomen, es wird erst wirklich seit Anfang diesen Jahres im Bundestags… oder im Wahlkampf genutzt. Darüber können Politiker von ihrem Handy aus zum Beispiel Botschaften senden, wo sie gerade sind, was sie tun. Also, man kann sehr schnell und kompakt mit den sogenannten Followern, also Leute, die meinem Nachrichtenstrom folgen, interagieren, wenn man das möchte.

Karkowsky: Und was glauben Sie, welche Schichten werden mit diesen Medien tatsächlich erreicht? Sind das vor allen Dingen andere Parteimitglieder, ohnehin schon politisch aktive Jugendliche?

Beckedahl: Erst mal wird man im Moment noch eher die jüngeren Zielgruppen erreichen, aber das ist auch sinnvoll, weil die erreicht man über Radio, Fernsehen und Zeitungen immer weniger. Gleichzeitig geben die Zahlen, also wie viele Freunde die Politiker haben in den Sozialnetzwerken, eigentlich nicht her, dass man über die eigenen Funktionäre hinaus noch andere Menschen erreicht. So viele Freunde haben die alle gar nicht.

Karkowsky: Sie hören im Deutschlandradio Kultur den Blogger Markus Beckedahl, Betreiber von netzpolitik.org, und Verfasser mehrerer Kurzstudien mit dem Titel "Politik im Web 2.0", welche Parteien und Spitzenpolitiker nutzen das Social Web für sich? Sie aktualisieren das regelmäßig. Haben Sie schon mal eine Hitliste erstellt, welcher Politiker im Netz am aktivsten ist?

Beckedahl: Es gibt ein paar Politiker, die das Internet schon relativ gut in ihr Leben integriert haben, die fleißig alle sozialen Medien nutzen, es gibt eine ganze Menge Politiker, die lassen das nutzen von ihrem Wahlkampfteam, und es gibt natürlich auch noch eine ganze Menge Politiker, die lassen es noch nicht mal nutzen.

Karkowsky: Wen würden Sie da herausheben wollen, positiv oder negativ?

Beckedahl: Im Europawahlkampf gab es sicherlich Reinhard Bütikofer, den Spitzenkandidaten der Grünen, der sehr fleißig gebloggt hat, getwittert hat und das jetzt auch noch aus dem Europaparlament weiter machen wird.

Karkowsky: Und haben Sie ihm geglaubt, dass er das selber war, oder hat er ein Team dafür gehabt?

Beckedahl: Dem habe ich es sogar geglaubt, den habe ich auch schon mal dabei twittern sehen.

Karkowsky: Aha, immerhin. Wer verweigert sich denn bisher noch?

Beckedahl: Wolfgang Schäuble zum Beispiel, oder wenn man sich auch anschaut unsere Bundeskanzlerin. Es gibt die schöne deutsche Plattform abgeordnetenwatch.de, da kann man seinen Bundestagsabgeordneten Fragen stellen. Und Angela Merkel verweigert sich eigentlich seit Anfang der Legislaturperiode, Fragen von Bürgern zu beantworten.

Karkowsky: Kommen wir zurück zum Anfang: Dieser Anti-Wahlspot auf YouTube, der wurde ja mittlerweile aufgelöst. Sie haben das schon gesagt, es gibt dann so einen Twist, erst sagen alle, geh nicht wählen, geh nicht wählen, jetzt kommt quasi der zweite Teil bei YouTube, wird hinterhergeschoben, dann heißt es, nein, nein, war alles nur Spaß, geht wählen und wenn ihr uns das geglaubt habt, war es ein Riesenmissverständnis. Haben Sie was vergleichsweise Spektakuläres schon mal auf einer richtigen Parteien- oder Politikerseite entdeckt, wo Sie sagen würden, dieses Ding könnte richtig die Gemeinde aufmischen?

Beckedahl: Bei CDU-TV, dem Kanal der CDU, ist zum Beispiel ein kurzer Ausschnitt einer Rede von Arnold Schwarzenegger auf der CeBIT populär, aber wahrscheinlich, weil sehr viele Menschen weltweit bei youTube "Arnold Schwarzenegger" oder "Terminator" eingeben und sich dann wundern, dass sie da irgendwie eineinhalb Minuten Lobrede auf Angela Merkel hören. Und bei den anderen Parteien und auch bei CDU-TV ist es in der Regel so: Man hört Wahlkampfreden, die kaum einen interessieren, man hört Reden von Parteitagen, das interessiert teilweise noch nicht mal die Leute, die vor Ort sind, und man sieht Videos, die mal lustig gemacht sind, aber selten lustig sind.

Karkowsky: Also, Ihre Note für Politik im Internet?

Beckedahl: Es ist bemüht, aber es ist auf jeden Fall sehr steigerungsfähig.

Karkowsky: Wie kommt es denn dann, dass Obamas Internetstrategie weltweit beachtet wurde? Die deutschen Politiker dagegen kriegen so was nicht hin, höchstens regional mal eine Mail.

Beckedahl: Ja, das liegt einerseits daran, dass halt die USA ein ganz anderes Parteiensystem haben, also, sie haben nicht unser Parteiensystem. Dort werden Personen gewählt und Obama war eine sehr charismatische Persönlichkeit. Er hat sehr klare Botschaften gehabt. Fragen Sie mal unsere Parteien oder die Bürger: Welche Botschaften haben unsere Parteien? Und das Mediensystem ist dort schon, in den USA, viel mehr im Wandel, das heißt, es gibt schon eine viel vernetztere Kommunikationsinfrastruktur.
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