"Bayreuth braucht eine Öffnung"

Moderation: Katrin Heise · 14.04.2008
Der Pragmatismus von Eva Wagner-Pasquier gepaart mit der Experimentierfreude von Katharina Wagner - die Favoritinnen von Wolfgang Wagner für seine Nachfolge könnten Bayreuth gute Perspektiven bieten, meint der Musikkritiker Wolf-Dieter Peter.
Katrin Heise: In einem Brief hat der greise Wolfgang Wagner nun also seine Favoritinnen bekannt gegeben. Das Halbschwestern-Duo, das ein wenig an ihn und seinen Bruder Wieland Wagner erinnert, die einst die Festspiele gemeinsam leiteten. Der eine zuständig für die Kunst, der andere fürs Geschäft. Nun möchte Wolfgang Wagner also seine Töchter Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner als seine Nachfolgerinnen zusammengespannt sehen. Der Musikkritiker Wolf-Dieter Peter wird das jetzt für uns ein wenig bewerten. Ich grüße Sie!

Wolf-Dieter Peter: Schönen guten Tag hinauf nach Berlin!

Heise: Was hat denn nun Wolfgang Wagner bewogen, jetzt doch, trotz seines Vertrages auf Lebenszeit und seiner bisherigen ja doch stetigen Weigerung, über einen Rücktritt nachzudenken?

Peter: Als ich vor etwa zehn Tagen in Bayreuth Gespräche im Festspielhaus geführt habe, wurde mir gesagt, dass es einerseits aufseiten Wolfgang Wagners natürlich diesen Schmerz und diesen Schock gab, dass dieser Schock aber auch bewirkt hat, dass er sich herausgefordert …

Heise: Der Schock, der Tod seiner Frau?

Peter: Richtig, der Schock des frühen, unerwarteten Todes von Gudrun Wagner, dass dieser Schock ihn aber auch herausgefordert hat sozusagen: Ich muss wieder, ich bin gefordert, ich muss mich jetzt allein um die Festspiele kümmern, und dass das zu einem ganzen Stück Klarheit geführt hat, ich bin 88 Jahre alt, es muss etwas für die Zukunft geschehen. Und deswegen diese Neuorientierung.

Heise: In der "Frankfurter Allgemeinen" schließt man heute von finanziellen Daumenschrauben, die da am Werk gewesen sein sollen, Katharina Wagner widerspricht dem in der "Welt". Was denken Sie?

Peter: Ganz grundsätzlich ist es, denke ich mal, zunächst Clan-Denken. Er hat eindeutig damit seine Linie etabliert und die Wieland-Linie ausgeschieden. Zum Zweiten hat vor über fünf Wochen ein Treffen zwischen Katharina Wagner und Eva Wagner stattgefunden, was lange Jahre nicht der Fall war. Und die beiden Damen haben ganz natürlich menschliche Dinge festgestellt: Wir haben den gleichen Vater, wir kommen aus dem gleichen Nest. Wir arbeiten seit Jahren im gleichen Bereich. Wir haben in vielen Bereichen ähnliche Ansichten, wir sehen das vielleicht so, das vielleicht so, aber wir arbeiten da drin.

Also da gab es plötzlich eine deutliche Annäherung durch den Wegfall des Eispanzers, den natürlich Gudrun Wagner auch wiederum aus Clan-Absichten errichtet hat. Und jetzt kommen zwei Dinge zusammen: die angesprochenen finanziellen Probleme. Eva Wagner hat sich in ihrer 62-jährigen zurückliegenden Lebenszeit als Opern-Managerin einen guten, soliden, pragmatischen Ruf erworben in den Stationen Paris, London, New York und jetzt Aix-en-Provence. Sie ist diejenige, die das Geschäft gut kann, die auch viele Beziehungen hat. Katharina steht für Neudeutung, Innovation, Experiment, ein bisschen kritisch, ein bisschen aufmüpfig sein.

Und diese beiden Aspekte zusammen, etikettemäßig gesprochen, Pragmatismus und Innovation, das braucht Bayreuth. Vor allem aber, und da waren sich beide Damen meinen Informationen nach darin einig, braucht Bayreuth Künstlerpflege, also die Entwicklung eines Sängerstammes mit Perspektiven, mit dem Gefühl, dem Haus wiederum einen Stamm heranzuzüchten, der bewährt ist und der gut zusammenarbeitet, wie wir das in den 50er, 60er und noch 70er Jahren hatten. Das könnten die beiden gewährleisten.

Heise: Die Verliererin, wenn wir sie mal so nennen wollen, jedenfalls nach dem, was Wolfgang Wagner jetzt da in dem Brief verlautbart hat, die Verliererin Nike Wagner äußerte sich hier im Deutschlandradio Kultur gerade zu dem, was Katharina Wagner vorzuweisen hat, etwas anders. "Kinderkram" und "Boulevardisierung" nannte sie ihr Programm.

Peter: Da muss man sagen, das ist die intellektuell scharfe Zunge, die wir von Nike gewöhnt sind. Sie hat aber leider damals mit ihrem Konzept, als sie sagte, wir müssen Bayreuth öffnen für andere Werke, für Zeitgenossen und dergleichen, mehr bewiesen, dass sie eigentlich immer wieder ohne Fundament in die Gegend kritisiert. Der Stiftungsvertrag sieht einfach vor, Bayreuth ist für die Werke Wagners reserviert. Da ist sozusagen nicht viel anderes zu wollen, was sie als Luftnummer formuliert hat.

Also die scharfe Zunge ist ihr eigen, aber es fehlt ihr natürlich auch für eine künftige Karriere in Bayreuth die große Theater- und Opernerfahrung. Das Festival in Weimar, gut und schön, aber sie hat keinerlei Erfahrung im Management oder inszenatorisch, künstlerisch. Also es ist die scharfe Kritik, und das ist ja vielleicht durchaus reizvoll, wenn die auch weiterhin bestehen bleibt und das neue Leitungsteam sich dann eben auch immer wieder Kritik stellen muss.

Heise: Bewegung in Bayreuth, unser Thema im "Radiofeuilleton" mit dem Fachjournalisten Wolf-Dieter Peter. Herr Peter, Sie haben die Paarung, die angestrebte, von Wolfgang Wagner angestrebte, ja jetzt beschrieben. Für wie zukunftsträchtig halten Sie sie denn?

Peter: Ganz grundsätzlich: Bayreuth braucht eine Öffnung. Dafür stehen beide Damen. Beide haben bisher so gearbeitet, dass sie um ihre Arbeit kein Geheimnis, keine Aura und dergleichen gemacht haben, also eine gewisse Demokratisierung würde in Bayreuth einziehen. Das Zweite: Im Februar wurde ja die Bayreuther Medien GmbH gegründet, mit Wolfgang Wagner und Katharina Wagner. Es soll eine deutlich größere Medienpräsenz der Bayreuther Festspiele in Gang gebracht werden mit On-Air-Live-Übertragungen, Open-Air-Übertragungen und DVD-Aufzeichnungen. Das hat zum Beispiel Eva Wagner-Pasquier ja schon von Aix aus sehr viel verstärkter gemacht, und das würde diesem sieben- bis zehnfach überbuchten Festival, das eine Anhängerschaft weltweit hat, natürlich sehr gut tun.

Also auch da sehe ich eine Zukunftslinie, die die beiden Damen vertreten würden. Und dieses Zusammenkommen, eben eines Stücks Pragmatismus und eines Stücks Innovation, kann ich mir gut vorstellen. Bayreuth hat ja andererseits auch eine Tradition mit Frauen. Also wir haben da mal Cosima gehabt, wir haben Winifred gehabt, und jetzt haben wir zwei starke Frauen, die da zur Debatte stehen. Also der Stiftungsrat hat eigentlich eine gute Wahl vor sich.

Heise: Sie sehen also auch durchaus eine längere Zukunft, weil wieder Nike Wagner, die sicherlich aus ihrer Position heraus natürlich auch sehr kritisch auf das Ganze schaut, wird in der "FAZ" zitiert, dass sie damit rechnet, dass nach zwei, drei Jahren Eva Wagner-Pasquier ausscheidet und Zitat: "Wir haben dann Katharina for ever."

Peter: Da würde ich doch sagen, würde Nike, wenn sie denn gewählt würde, auch in zwei, drei Jahren aufhören? Also, wir erleben ja gerade am 88-jährigen Wolfgang Wagner, dass dieser Wagner-Stamm wie einstens auch Friedelind und einstens Cosima durchaus gute Altersgene hat. Also, ich kann mir vorstellen, dass die Damen, wenn sie sich zusammenfinden, durchaus sagen, wir schaffen eine Perspektive von vielen Jahren. Und dass eine ältere, reife Dame mit ihrem vielleicht ausgleichenden Wesen und eine junge, dynamische, zukunftsorientierte, neugierige, kritische dabei für Unruhe sorgt, das kann ich mir auch wiederum als ein gutes Amalgam vorstellen.

Heise: Jetzt hatte Katharina Wagner ja eigentlich ein anderes Team um sich gescharrt, nämlich mit dem Dirigenten Christian Thielemann und dem Medienmanager Peter Ruzicka. Was wird denn aus diesem Team?

Peter: Ich denke, dass diese Paarung oder diese Kombination hinfällig ist. Peter Ruzicka hat sich hier in der Münchener "Abendzeitung" bereits geäußert. Er hat gesagt, er findet das wunderbar und er freut sich darauf, dadurch wieder Zeit zum Komponieren zu haben und nun per Ehrenkarten einfach sich Bayreuth anschauen zu können. Also er scheint auszuscheiden.

Und bei Christian Thielemann denke ich mir, gibt es zwar konservative Wagner-Freunde, die ihn mögen, aber andererseits auch Demokraten, die sagen, diese gelegentlich deutsch-nationale Aura um ihn herum, das muss nicht sein. Er ist ein wichtiger Dirigent, sehr gerne soll er immer wiederkommen, und das Engagement von Christian Thielemann, im Jubiläumsjahr 2013, also 200-jähriger Geburtstag Richard Wagners, ausgerechnet einen Ring in Baden-Baden zu dirigieren und nicht im Mekka Bayreuth, da hat er sich vielleicht auch ein bisschen selber rauskatapultiert. Also ich könnte mir vorstellen, dass er weiterhin ein wichtiger Dirigent in Bayreuth sein wird, aber nicht mehr unbedingt im Leitungsteam vertreten sein wird.

Der Stiftungsrat hat also jetzt ein Konzept, Nike plus Eva, und wird wohl bis zum 27./28., hoffentlich vor dem 29. ein Konzept Eva und Katharina vorliegen haben, und hat nun die echte Auswahl. Auch das ist ja eigentlich wünschenswert. Und insofern denke ich, werden wir um den 29. herum noch mal genug Stoff haben, dieses Bayreuther Sommer- oder Theater-Theater weiter zu diskutieren.

Heise: Also Sie glauben nicht, dass eigentlich die Entscheidung schon feststeht vorm 29.?

Peter: Ich glaube, die Herren werden ganz gezielt ein bisschen abwägen. Meiner Ansicht nach liegen die Gewichte, die künstlerisch, persönlich und in die Zukunft weisend offensichtlich sind, eindeutig auf der Seite der Paarung Eva Wagner-Pasquier plus Katharina Wagner.

Heise: Vielen Dank, Wolf-Dieter Peter, im Gespräch über die Bewegung auf dem Hügel in Bayreuth.
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