Bayern

Proteste gegen "Monstertrasse"

Ein Hochspannungsmast in Bayern
Ein Hochspannungsmast in Bayern © dpa / picture-alliance / Sven Hoppe
Von Judith Zacher · 20.10.2014
Sie haben Angst um ihre Gesundheit, dass ihre Häuser an Wert verlieren, dass ihre Heimat zerstört wird. Von Oberfranken bis nach Schwaben protestieren Bürger gegen eine Stromtrasse, die - nach dem Willen der Bundesregierung - quer durch Bayern gehen soll. Tenor der Proteste: Wir sind für die Energiewende, aber gegen die Stromtrasse.
"Vor diesem Monster oder Ungetüm hab' ich schon Angst. Man baut sich eben eine Existenz auf mit Mann, mit Kindern, man hat sich's schön gemacht hier. Die Masten sollen direkt an unserm Grundstück vorbei laufen und wenn man sich dann vorstellt, die Kinder sollen im Garten spielen unter diesen Masten das ist keine schöne Vorstellung, das macht einem schon Angst."
Sagt Melanie Rosskopf und schaut mit gerunzelter Stirn aus dem Fenster. Ein paar Meter weiter, auf einem unbebauten Grundstück, spielen ihre beiden Töchter Leonie und Lilly mit Nachbarskindern Volleyball. Leonie ist zwölf Jahre alt, Lilly acht. Die beiden sind hier geboren, hier aufgewachsen – direkt am Ortsrand von Niederschönenfeld. Am liebsten sind sie draußen:
"Fußballspielen, also meistens am 1. Mai oder so, da zelten wir da im Garten. Zum Fischen und auf der Jagd hinten im Weiher. Das war lustig. Kaulquappen fangen, Frösche fangen."
Das können die Kinder direkt hinter dem Haus der Familie Rosskopf. Das hat Stefan Rosskopf vor elf Jahren zusammen mit seiner Frau Melanie gebaut. Viel Arbeit und Geld haben sie investiert, in ihr Haus. Drum herum haben sie einen wunderschönen Garten angelegt, mit Trampolin, Gemüsebeet, schönen Blumen und Apfelbäumen. Direkt dahinter könnte sie möglicherweise in ein paar Jahren verlaufen – die Stromtrasse:
"Wenn man jetzt hier hinten schaut, da wo jetzt der Kiesberg ist, da ist die Liegewiese von dem Badesee extra für kleine Kinder, extra 30 cm tief, und genau da hinten, da drüber soll der Masten stehen, und die Leitung drüber gehen. in so einem Idyll wo man das Leben genießen könnte und was für Kinder machen kann."
Tumultartige Szenen bei Informationsveranstaltungen von Amprion
Vor gut einem halben Jahr haben die Rosskopfs von all dem noch nichts gewusst. Bis zum 4. Februar. Das Donauwörther Tanzhaus ist bis auf den letzten Platz gefüllt, auch auf der Empore drängen sich die Menschen – sie haben Plakate an der Brüstung befestigt: "Schützt unsere Kinder steht auf den Bannern, "Wir wollen unsere Heimat bewahren" oder "Stoppt die Mördertrasse". Auch im Vorraum stehen die Menschen, ja sogar auf der Straße vor dem Tanzhaus haben sich die Leute versammelt – 300 in etwa in eisiger Kälte.
"Wenn man sieht wie die schwarzen Politiker die Leute betrügen, muss man aufstehen. Ich kann in Zukunft hinspucken. Weils uns direkt betrifft. In Oberndorf und die Trasse geht neben meinem Neubau 300 Meter vorbei und deshalb sind wir da. Wir haben vor zwei Jahren Haus gekauft, planen Familie und Kindern und das stellt schon Existenzen in Frage. Was ich fürchte? Also die elektromagnetische Strahlung, Leukämieanstieg in England um 70 Prozent – wenn man Schulen und Kindergärten meiden, wie soll man dann dort mit reinen Gewissen Kinder großziehen, das geht nicht. Da kann man nicht sagen, mit reinem Gewissen bleib ich dort wohnen."
Viele sind von weither gekommen. Aus der Oberpfalz und aus Oberfranken, mit Bussen sind sie angereist.
"Ich bin aus Freystadt. Es ist erschütternd, wie uns diese nicht notwendige Trasse übergestülpt wird von oben. Wir sind aus Riegelstein, waren in Kulmbach in Nürnberg und sind jetzt hier und werden auf alle Fälle weitermachen – so nicht!"
In Kulmbach und Nürnberg waren die ersten beiden Informationsveranstaltungen vom Netzbetreiber Amprion. Weit mehr Menschen waren da gekommen, als erwartet. Und: sie haben lautstark protestiert, tumultartige Szenen hatten sich entwickelt. Deshalb waren die Veranstalter diesmal vorgewarnt. Mitarbeiter einer Security Firma kontrollieren die Eingänge, nur eine bestimmte Anzahl an Personen darf in den Saal. Und trotzdem – die Veranstalter haben es schwer, durchzukommen:
"Ich begrüße sie nochmals ganz herzlich, guten Abend zu dieser Informationsveranstaltung."
Gegner einer geplanten Stromautobahn protestieren in Nürnberg am Rande einer Info-Veranstaltung des Betreibers Amprion.
Gegner einer geplanten Stromautobahn protestieren in Nürnberg am Rande einer Info-Veranstaltung des Betreibers Amprion.© picture-alliance / dpa / Daniel Karmann
Schon Stunden vorher, während der Pressekonferenz am Nachmittag sind von draußen Pfiffe zu vernehmen. Amprion Sprecherin Joelle Bouillon überhört die Pfiffe scheinbar und erklärt der Presse unbeirrt die Planungsschritte:
"Wir haben die Aufgabe, Trassenkorridorvorschläge zu entwickeln, die liegen jetzt vor, das sind wie gesagt Vorschläge, die wir ins Verfahren einbringen wollen, vollkommen ja, flexibel. Da geht es darum die Stellungnahmen aufzunehmen, andere Vorschläge für Korridore und erst daraufhin wird die Bundesnetzagentur als Genehmigungsbehörde einen Untersuchungsrahmen festlegen."
Windstrom vom Norden nach Süden
Fakt ist: Netzbetreiber Amprion plant gemeinsam mit dem Netzbetreiber 50 Hertz eine knapp 450 Kilometer lange Gleichstromtrasse mit bis zu 75 Meter hohen Masten von Bad Lauchstädt in Sachsen Anhalt nach Meitingen im Landkreis Augsburg. Die so genannte "Süd Ost Trasse". Sie ist eine von drei Hauptstromtrassen, die im Zuge der Energiewende bis zum Jahr 2022 gebaut werden sollen. Der Bau dieser Leitungen ist im Bundesbedarfsplangesetz festgeschrieben. Dem haben Bundestag und Bundesrat, und damit auch das Land Bayern, im Jahr 2013 bereits zugestimmt. Mehr als eine Milliarde soll diese Leitung kosten. Über diese Trasse soll Windstrom aus dem Norden nach Süden transportiert werden – aber: nicht nur. Auch Braunkohlestrom soll eingespeist werden – laut den Netzbetreibern, um mögliche Schwankungen bei der Windstärke auszugleichen.
Den Kritikern ist das ein Dorn im Auge: Mit Energiewende habe das nichts zu tun, sagen sie. Transportiert werden soll der Strom über eine Gleichstromleitung. Über diese Art von Leitungen kann man Strom verlustärmer über weitere Strecken befördern. Was wir landauf landab bei uns sehen, sind allerdings Wechselstromleitungen. Eine Gleichstromleitung dieser Art gibt es bei uns bislang nicht. Das jagt den Menschen Angst ein:
"Wir wollen nicht das Versuchskaninchen sein, für eine Stromtrasse die es erstmalig so in dieser Form gibt. Das wollen wir nicht."
Sie fürchten mögliche Strahlungen oder die Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern. Fordern deshalb gesetzlich festgeschriebene Mindestabstände. Die aber gibt es bislang nicht. Melanie Rosskopf aus Niederschönenfeld kann das nicht verstehen:
"Bei den Windrädern überall Mindestabstände und so eine Stromtrasse kommt direkt über deinen Garten."
Viele fordern, deshalb die Trasse unterirdisch zu verlegen. Abgesehen davon, dass dies viel teurer wäre, ist das nicht so einfach möglich. Dafür müsste nämlich das Gesetz geändert werden. Soweit die Fakten – Stand Februar 2014. Die Gleichstrompassage Süd-Ost ist per Gesetz beschlossen. Diese Stromtrasse ist nötig, hat die Bundesnetzagentur festgestellt. Amprion hat nun mehrere Vorschläge für den Verlauf der Trasse erarbeitet – quer durch Bayern. Und begonnen, die Bürger in Informationsveranstaltungen über die Pläne zu informieren. Mehrere Stunden dauert die Veranstaltung in Donauwörth. Zufrieden sind die Bürger danach nicht:
"Ich hab mehr Infos bekommen von den Besuchern als von den Veranstaltern. Traurig. Informationsgehalt? Null. Keine Info. Die haben ja fast nie auf eine Frage geantwortet."
Gesundheitliche Risiken und andere Auswirkungen der Strahlung
Und so rollt die Protestlawine auch im Landkreis Donau-Ries an. Ganz vorne mit dabei – Stefan Rosskopf, der Familienvater aus Niederschönenfeld. Er war nach der Infoveranstaltung von Amprion richtig sauer:
"Ich bin eigentlich mit mehr Ärger rausgegangen weil die Firma Amprion nur was zugegeben hat wenn Redner das widerlegt haben was die gesagt haben, dass es tatsächlich so ist, dass da Braunkohlestrom ist, erst wo speziell welche nachgefragt haben– immer nur stückleweise haben sie was zugegeben."
Ähnlich ist es seinen beiden Mitstreitern im Kampf gegen die Stromtrasse, Werner Rosskopf und Martin Stegmair gegangen.
"Im Nachhinein muss ich sagen, war das wichtig für uns. Weil mit der Veranstaltung sind wir erstmal richtig aufgewacht. Durch den lauten Protest in der Veranstaltung sind wir erst wach geworden. Und aktiv geworden. Hat auch in der ganzen Bevölkerung bei uns viel mehr Aufmerksamkeit erregt als wenn das nicht gewesen wäre. Das war mit Sicherheit für uns ein Ansporn und ein Anschub zu der ganzen Protestwelle gegen die Stromtrasse bei uns in Schwaben."
Die drei haben nun also erst richtig Feuer gefangen – wollen den Protest in der Region auf die Beine bringen:
"Es war halt im Bürgerhaus, da waren wir am Stammtisch gesessen, kurz nach der Amprion Veranstaltung, waren andere auch da, die sind auf den Werner und mich zugegangen, dann hat man so geredet, was man gehört hat, dann ist mir das nicht aus dem Kopf gegangen. Dann hab ich mir gedacht, du musst was machen. Und dann hab ich mich mit dem Werner kurzgeschlossen und dem Stefan und dann haben wir das angeleiert, dass wir ne Veranstaltung machen."
Und zwar – im großen Bürgersaal in Niederschönenfeld – und der war dann rappelvoll. An die 300 Leute sind gekommen, auch viele von auswärts, wollen sich informieren, wollen wissen, wie sie mitmachen können – beim Protest gegen die Stromtrasse:
"Wir brauchen die Trasse nicht, wir brauchen keine Braunkohleleitung hierher. Wir haben selber so viel Energie und die müssen wir nur intensiv nutzen, und dann passt das auch. Ich fühl mich bedroht in der Gesundheit; also da ist unser schönes Dorf und unsere Gegend nicht mehr lebenswert."
Die Menschen sind sich einig – sie wollen diese Trasse nicht. Und die Organisatoren liefern ihnen weitere Argumente, warum sie gegen diese Trasse sind: Messtechniker Stefan Rosskopf hat sich mit den gesundheitlichen Risiken und den möglichen Auswirkungen der Strahlung beschäftigt.
"Magnetisches Feld – der Stromfluss und Elektromagnetismus sind unmittelbar verbunden."
Dann geht der Niederschönenfelder Bürgermeister Peter Mahl zum Mikrofon, stellt seine nächsten Schritte vor.
"Was die Gemeinde jetzt unternimmt und beschlossen hat gestern ist das, der Bürgermeister aus Pegnitz organisiert eine raumübergreifende, wie an einer Perlenschnur gezogene Gemeinschaft von Hof bis Meitingen."
Da will sich die Gemeinde anschließen, sagt er weiter. Dann greift er in seine Tasche, zieht eine Zeitung heraus:
"Und wenn ich jetzt noch ganz kurz den Bayernkurier zitieren darf, von der letzten Ausgabe, wo ein größerer Bericht drin ist, von unserm Ministerpräsidenten."
Strommasten sind höher als der Kirchturm
Bürgermeister Peter Mahl blickt in die Runde, sieht zustimmendes Nicken aber auch: viel Skepsis in den Gesichtern. Seehofer will die Energiewende in Bayern im Einklang mit Mensch und Natur gestalten, liest er vor und weiter:
"Wir unterstützen den Bau neuer Stromleitungen, wenn dafür der Bedarf eindeutig belegt wird und dann: Für den Verlauf gibt es noch keine Entscheidung. Aber die anderen legen uns schon die Pläne vor – irgendwas stimmt nicht. Was er alles formuliert, mit dem können wir ja auch leben! Wenn's nur so umgesetzt würde, dafür müssen wir uns erheben, dass das so kommt. Da brauchen wir die große Gemeinschaft dafür, ansonsten können wir das nicht schaffen. Und er setzt deshalb auf eine Koalition mit den Bürgern. Sein Wort ins Gottes Ohr."
Nicht weniger skeptisch sind die Menschen im Saal. Allen aber ist inzwischen klar: Wenn, dann geht es nur gemeinsam und so gründen sie an diesem Abend eine Bürgerinitiative. Die erste von vielen in der Region, sagt Werner Rosskopf, der später als Sprecher der schwäbischen Bürgerinitiativen fungieren wird:
"Von umliegenden Gemeinden, Marxheim, Rennerthofen, die waren im Saal mit drin gehockt, sehr viele, und paar Tage später haben sie mich von Rennertshofen angerufen, ja sie möchten auch so was machen, ob wir nicht mithelfen können, klar selbstverständlich, je breiter der Widerstand aufgebaut wird, umso besser."
Gemeinsam mit Martin Stegmair reist er von Ort zu Ort, als Geburtshelfer für Bürgerinitiativen gegen die Stromtrasse bezeichnen sich die beiden inzwischen selbst. Sie werden nicht müde, wegen Gesprächen nach Bonn und Berlin zu reisen. Bald steht auch die nächste Aktion vor Ort in Niederschönenfeld an – um den Menschen im Ort nochmals zu verdeutlichen, was da möglicherweise auf sie zukommt. Viele Niederschönenfelder sind gekommen, auf den leeren Bauplatz neben dem Haus der Rosskopfs. Wie ihr Ort mit den Masten einmal aussehen könnte, hat der örtliche Schreiner in einem Modell nachgebaut. Martin Stegmair hat es mit seinen Mitstreitern hier aufgestellt:
"Das ist für mich erschreckend gewesen, was für Dimensionen das sind, wenn man es vergleicht mit unserm Kirchturm, der 28 Meter ist, an der Spitze, und nebendran der Mast mit 70 Meter. Das ist schockierend, wenn man sich das vorstellt."
Damit man es sich noch besser vorstellen kann, lassen die Niederschönenfelder Luftballons steigen – so hoch, wie die Masten werden sollen. Auch Leonie Rosskopf und ihre Freundin Julia sind mit dabei:
"Für uns Kinder ist es auch dumm, weil wir spielen ja sonst auch immer, das wird dann gefährlich, wenn wir in der Früh zur Schule laufen ist das blöd, dann sieht man die Trassen, und spielen kann man auch nicht mehr so gut, weil es schädlich für die Natur ist."
Leonies Vater, Stefan Rosskopf, hält auch einen Luftballon in der Hand – langsam steigt er in die Luft:
"Wir haben an jedes Seil zwei Ballone hingehängt, der untere ist auf 28 Meter Höhe. 28 Meter Höhe ist unser Kirchturm von der Klosterkirche und der in Feldheim; der obere große Ballon ist auf 75 Meter. Wir wollten mit der Aktion einfach mal sichtbar machen, wie groß die Dinger sind, mit denen unsere Landschaft verschandelt werden soll. Und meine persönliche Meinung dazu ist, wir haben bis jetzt immer einen Christlich Sozialen Ministerpräsidenten gehabt, der sich zumindest so nennt. Und es hat ein ungeschriebenes Gesetz immer gegeben, es gibt kein Gebäude oder Haus, wo größer ist als unsere Kirchtürme und genau mit der Aktion wollen wir auf das hier hinweisen."
Da werden die Dimensionen auf einmal sehr deutlich. Die Niederschönenfelder sind entsetzt.
"Wir wollen das vermeiden, für unserer Kinder die Landschaft erhalten, und halt auch den Gefahren wegen, weil wir ja auch gar nicht wissen, was auf uns zukommt. Das ist eine Naturverschandelung, eine Gesundheitsgefährdung auf längere Sicht und die hier anliegenden Häuser verlieren ziemlich an Wert. Ich bin Landwirt, zerstückelte Gegend, kleine Flächen, wo wir bewirtschaften, ganze Flächen wertlos gemacht."
Wird dieser Protest von den Politikern gehört?
Deshalb also stehen sie da – und demonstrieren. Ob diese Aktion Sinn macht? Ob sie gehört wird? Örtliche Politiker sind nicht vertreten, die Niederschönenfelder sind unter sich. Auch der Landrat ist nicht da. Darüber sind die Menschen enttäuscht. Es hindert sie aber nicht daran, weiterzumachen. Schon zwei Wochen später gibt es die nächste Aktion, in Marxheim – denn, sagt der Marxheimer Bürgermeister Alois Schiegg:
"Wichtig ist, dass der Faden nicht abreißt. Es müssen immer Veranstaltungen folgen dass das immer der Bevölkerung in Bewusstsein bleibt weil sobald es abreißt, haben wir im Prinzip schon verloren."
Diese Mal zünden die Stromtrassengegner Strohballen entlang der geplanten Trasse an. Leuchtfeuer sollen den Verlauf symbolisieren, unter dem Motto: "Strommasten Abbrennen". Auch Martin Stegmair aus Niederschönenfeld ist vor Ort – Schützenhilfe für die Nachbarn. Fast täglich ist er zurzeit in Sachen Stromtrassenprotest unterwegs:
"Wir waren gestern in Rennertshofen, da war es so, dass schätzungsweise so 200 Leute da waren, der Raum war restlos überfüllt, man war dicht gedrängt, und so ist es richtig, so soll es sein, auch in den anderen Orten, es müssen alle mitmachen, von Hof bis Meitingen muss einen Mannschaft dahinter stehen, nicht nur fünf sondern 5.000 in jeder BI."
Der Protest formiert sich immer weiter. Aber – wird dieser Protest auch von den Politikern gehört? Er wird gehört. Das will Ministerpräsident Seehofer nun auch lautstark verkünden. Dafür sucht er sich den kleinen Ort Bergen bei Neuburg in Oberbayern aus – nicht ganz zufällig, er liegt in seinem Heimatwahlkreis. Es ist der 2. April – die Sonne scheint über Bergen oder: Baring, wie die Einheimischen sagen. Das Dorf liegt in einer Senke, es gibt ein hübsches Hotel am Marktplatz, eine kleine Dorfkirche, ein paar Bauernhöfe. Bilder, wie sie in den Werbeprospekten von Reiseanbietern zu finden sind. An diesem Tag aber gibt es noch etwas anderes. Am Ortstrand – ein gigantisches Modell eines riesigen Strommasten. Ministerpräsident Seehofer legt den Kopf in den Nacken, um das Objekt in Gänze betrachten zu können.
"Ich bin zunächst einmal dankbar, dass der visuelle Eindruck möglich ist, der Bürgerinitiative, ist ja mit einer Menge Aufwand und Arbeit verbunden, und zweitens bestärkt das noch bei unserm Kampf gegen die Trasse. Aber mir geht's nicht darum, dass wir Alternativen suchen, sondern darum dass wir im Grundsatz einig sind, dass wir sie nicht brauchen. Trotzdem ist die Demonstration wichtig, dass wir eine Vorstellungswelt haben."
Eine Vorstellungswelt von dem, was da auf Bergen zukommen könnte. An die 70 Meter hohe Masten, inmitten der oberbayerischen Landschaft – direkt neben dem Ort. Das soll sich der Ministerpräsident nun anschauen. Umringt ist er dabei von zahlreichen Journalisten, dem Baringer Bürgermeister und dem Sprecher der örtlichen Bürgerinitiative, Stefan Braun:
"Aber, Herr Ministerpräsident, warum ist das überhaupt soweit gekommen? Es kann doch nicht sein dass so ein Konzern wie Amprion so eine Planung vorbringt und dann alle zustimmen, so quasi macht es mal schon, dann sehen wir schon. So ist das bei uns Bürgern angekommen."
"Aber dann sagen wir ihnen heute wie es ist."
"Gut, dann bin ich auf ihre Aussage gespannt."
Sagt's und läuft mit großen Schritten los, in Richtung Ortsmitte. Da warten schon hunderte von Demonstranten auf den Landesvater. Die Baringer sind natürlich da, aber auch viele Menschen aus Neuburg, aus Rennertshofen und – auch Stefan Rosskopf und seine Mitstreiter aus Niederschönenfeld:
"Wir sind extra angereist aus Niederschönenfeld, um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen, dass die Trasse unnötig ist, einerseits wird von Politik gefordert, Strom muss günstig sein, die Kosten aber tragen private Haushalte und Nutznießer ist nur die große Industrie und das kann's einfach nicht sein."
"Keine Monsterstromtrasse", "Gegen Kohlestrom und Wackersdorf auch im Schmuttertal" steht auf den Plakaten, die die Demonstranten in die Höhe halten, während Ministerpräsident Seehofer sich den Weg durch die Menge zur Rednertribüne bahnt.
"Ihre mächtige Demonstration heute zeigt, dass es ihnen ein ernsthaftes Anliegen ist. Und an ihnen vorbei ist das nicht zu machen. Mir wird das manchmal als Beliebigkeit ausgelegt, manche Medien sind der Meinung ein Ministerpräsident muss tapfer sein, er muss stehen bleiben, aber ich sage immer den Medien, es ist keine Schande, nach dem Willen der Bevölkerung Politik zu machen."
Niederschönenfelder lassen von Seehofer sich nicht einwickeln
Und den Willen der Bevölkerung – den scheint er in Baring uneingeschränkt zu teilen:
"Ich persönlich und die Bayerische Staatsregierung halten diese Stromtrasse von Sachsen Anhalt nach Meitingen in Bayern, Schwaben, nicht für notwendig – Applaus – und wir werden alles tun, dass diese Stromtrasse nicht kommt – Bravo - und nachdem ich ja nicht erst seit heute in der Politik tätig bin wage ich auch die Prognose, dass sie nicht kommen wird, ich werde auf jeden Fall alles einsetzen."
Beifall für klare Worte vom Ministerpräsidenten – und: er geht noch weiter:
"Wir sind uns bewusst, dass wir in einem wunderschönen Landschaftsteil leben, und ich sage Euch wir wären von allen guten Geistern verlassen, wenn wir diese Schöpfung, die uns geschenkt worden ist, beschädigen oder zerstören und deshalb dürfen wir eine Stromtrasse dieser Art nicht weiterverfolgen. Ich möchte am Ende erreichen, dass sie auch in Zukunft sagen können, es ist ein Glück, in Bayern zu leben – ich danke ihnen."
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende, Horst Seehofer, gibt am 26.04.2014 im Kloster Andechs (Bayern) vor der CSU-Vorstandsklausur Interviews.
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende: Horst Seehofer© dpa/Marc Müller
Der Ministerpräsident steigt vom Rednerpult. Jetzt will er mit den anwesenden Kommunalpolitikern seine Strategie besprechen - im Hotel, im Hinterzimmer. Die Demonstranten bleiben draußen mit ihren Plakaten, mit ihren Trillerpfeifen. Hat er sie überzeugt? Schließlich hat auch Bayern gemeinsam mit den anderen Bundesländern Mitte 2013 für den Bau der Trasse gestimmt, das wissen die Menschen sehr wohl. Jetzt aber, die klare Aussage gegen die Trasse. Was heißt das jetzt? Ist das Vorhaben damit vom Tisch? Stefan Rosskopf und Martin Stegmair fehlen noch die Taten, die diesen Worten folgen sollen:
"Schön geredet, super geredet, bloß er hat nichts gesagt, was sein nächster Schritt ist, es ist noch nichts gestoppt, keinen Ton dazu gesagt. Er hat nichts großes Neues gesagt, aber ich denke doch, dass er mit Unterstützung aus den Bürgerinitiativen gestärkt ist, viele Medienvertreter da waren, und das kundtun, dass Widerstand da ist, entlang der ganzen Trasse."
"Seehofer lehnt Stromtrasse ab", oder "Seehofer und die Energiewende: Bayerns Angst vor der Monstertrasse" werden die Zeitungen am nächsten Tag titeln. Entschieden ist allerdings noch gar nichts – und sicher schon gleich überhaupt nicht. Drum wollen sich die Niederschönenfelder auch nicht einwickeln lassen: Sie planen schon wieder die nächste Veranstaltung – die bislang größte. Gemeinsam mit allen anderen Bürgerinitiativen entlang der Trasse wollen sie demonstrieren, am trassenweiten Aktionstag, am 29. Juni. Und zwar in Marxheim, wohin die Niederschönenfelder trotz strömenden Regens in einem Protestmarsch zu Fuß kommen – und da biegen auch schon die Protestler aus Rennertshofen mit ihren Fahrrädern um die Ecke.
"Ich begrüße ganz herzlich auch die BI Niederschönenfeld und alle anderen Mitstreiter."
Sie waren bis nach Berlin zu hören
Dann bilden alle eine riesige Menschenkette – entlang von Absperrbändern zeichnen sie die Umrisse eines der geplanten Strommasten nach.
"Wir stellen den Mast da, wie groß der ist im Vergleich zum Haus. Dokumentieren, dass das ein riesen Saustall ist, was betrieben wird. Wir stehen hier gegen die Stromtrasse und für ein solidarisches Bayern."
Der Widerstand ist nun nicht mehr zu übersehen. Von der Oberpfalz bis Schwaben – tausende von Stromtrassengegnern protestieren an diesem Tag gemeinsam in Bayern. Dabei haben sie wohl so laut gerufen, dass das bis nach Berlin zu hören war. Denn: etwa vier Wochen später sagt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bei einer Veranstaltung in Nürnberg:
"Selbst wenn wir als Staat versuchen, das mit den Mitteln des Gesetzes durch zu pauken, dann haben wir ein jahrelanges Theater, wir landen am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht – das ist nicht besonders klug."
Plötzlich ist also die Rede davon, den Anfangs- und möglicherweise auch den Endpunkt der Trasse zu verschieben. Dann wäre das Argument entkräftet, die Stromtrasse werde womöglich vor allem gebaut, um Braunkohlestrom zu transportieren. Vom Tisch ist die Trasse damit aber noch lange nicht. Auch wenn es nun so aussieht, als wären die Niederschönenfelder vielleicht gar nicht mehr selbst betroffen.
"Durch die Aussagen der Politiker in den letzten Wochen haben wir das Gefühl, sie reagieren auf uns, aber zwischen dem was sie sagen und denken und dann handeln und da können Meilen dazwischen sein. Und jetzt sagen – da mach ich es nicht, weil da Widerstand ist, und ich verschiebe dahin wo kein Widerstand ist – das kann es auch nicht sein. Wir wollen das St. Florians Prinzip nicht. Wir werden auch dann, die anderen unterstützen die unsere Hilfe brauchen, wenn es heißt, die soll da oder dahin. Wobei unser vorrangiges Ziel ist: Nein, für diese Trasse! Wir brauchen sie nicht in Bayern!"
Mehr zum Thema