Bayern

Politische Ränkespiele

Udo Di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht.
Das Rechtsgutachten des früheren Verfassungsrichters Udo Di Fabio sorgte für neue Diskussionen über die Grenzsicherung. © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Rainer Kiesow im Gespräch mit Nana Brink · 12.02.2016
Als Teil des politischen Spiels hat der Rechtsphilosoph Rainer Kiesow das Gutachten des früheren Verfassungsrichters Udo Di Fabio zur Grenzsicherung bezeichnet. Es bestätigt die Sicht der CSU, dass die angedrohte Verfassungsklage berechtigt sei und wurde von der Landesregierung in Auftrag gegeben.
"Di Fabio ist ganz der Meinung der CSU und die CSU ist ganz der Meinung von Di Fabio", sagte der Jurist und Rechtsphilosoph Rainer Kiesow im Deutschlandradio Kultur. Das sei auch ganz normal, da das Gutachten im Auftrag der bayerischen Staatsregierung geschrieben worden sei. "Der Auftraggeber ist natürlich daran interessiert, dass der Auftragnehmer dann auch das liefert, was der Auftraggeber erwartet und das ist da der Fall." Es handele sich um eine Rechtsmeinung und es hätten sich ja schon eine Reihe von Kritikern zu Wort gemeldet.

Die Nähe zur Politik

Di Fabio sei Verfassungsrichter und dieses Rechtsgebiet habe eine starke Nähe zur Politik, sagte Kiesow. Das Recht als politikfreien Raum zu betrachten, sei eine etwas merkwürdige Vorstellung von Verfassungsrecht. "Recht und Politik haben schon sehr viel miteinander zu tun." Jeder habe das Recht, Gutachten einzuholen, aber man dürfe das nicht mit "rechtlicher Wahrheit" verwechseln. "Das ist Teil des politischen Spiels, in dem Rechtsmeinungen eben auch aktiviert werden." Andere könnten das dann wieder angreifen.
Der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo Di Fabio, hatte in einem Gutachten der bayerischen Staatsregierung bestätigt, dass die angedrohte Verfassungsklage des Freistaats gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung juristisch berechtigt sei.

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Vielleicht ist er ja doch übers Ziel hinausgeschossen, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, als er der Kanzlerin eine Herrschaft des Unrechts vorwarf? Auf jeden Fall hat er so ungefähr jeden gegen sich aufgebracht außer vielleicht die AfD. Seehofers Äußerung bezieht sich darauf, dass die Bundesregierung nach Meinung der bayerischen Staatsregierung und es von ihr beauftragten Verfassungsrechtlers Udo Di Fabio verpflichtet wäre, die deutsche Grenze zu schützen. Dass Flüchtlinge und Migranten ohne gültige Einreisepapiere ungehindert ins Land einreisen dürfen, ist aus Sicht Di Fabios und der CSU ein andauernder Rechtsverstoß. Welche Auswirkungen hat diese Äußerung auf das Verhältnis von Politik und Justiz? Das will ich jetzt besprechen mit Rainer Maria Kiesow, er ist Jurist und Rechtsphilosoph. Einen schönen guten Morgen!
Rainer Maria Kiesow: Guten Morgen, guten Morgen!
Brink: Beruft Seehofer mit seiner Äußerung zu Recht auf Di Fabios Gutachten?
Kiesow: Tja, da müsste man wahrscheinlich Herrn Di Fabio selber fragen. Aber wenn man es liest und dann die Reaktion der CSU darauf vergleicht, dann muss man sagen, in der Tat, Di Fabio ist ganz der Meinung der CSU und die CSU ist ganz der Meinung Di Fabios, was ja auch ganz normal ist. Denn das Gutachten ist ja im Auftrag der bayerischen Staatsregierung verfasst worden und na ja, der Auftraggeber ist natürlich daran interessiert, dass der Auftragnehmer dann auch das liefert, was der Auftraggeber erwartet. Und das ist da der Fall.
Brink: Kann dann ein solches Gutachten überhaupt gar nicht objektiv sein?
Kiesow: Ja, Gutachten, also Rechtsgutachten sollten natürlich auf dem Recht beruhen und sind insofern in gewisser Weise nicht einfach eine Meinungsäußerung. Aber da ja niemand so genau weiß, was das Recht ist – zwei Juristen, drei Meinungen, ist ja ein alter Spruch –, und ein Gutachten hat auch immer Gegengutachten zu erwarten ... Also objektiv ... Es ist eine Rechtsmeinung. Insofern ist es eben die Rechtsmeinung von Herrn Di Fabio und es haben sich ja auch schon eine Reihe, um nicht zu sagen: sogar die Mehrzahl der Juristen geäußert dazu, und die haben eine ganz andere Meinung, zum Beispiel Herr Müllers oder Herr Bast, Kollegen von uns.

Gewaltenteilung und Politik

Brink: Und Sie haben also kein Problem mit dem Gutachten, auch nicht darin, dass er es für die Politik geliefert hat?
Kiesow: Na ja, das ist ... Das ist ja ... Di Fabio ist ja Verfassungsrechtler und er war ja auch Verfassungsrichter. Und das Verfassungsrecht insgesamt ist ja ein Rechtsgebiet, das eine starke Nähe zur Politik hat. Und die Verfassung selbst ist ja an der Schnittstelle zwischen Politik und Recht angesiedelt. Also gewissermaßen das Recht als politikfreien Raum zu betrachten, ist eine etwas merkwürdige Vorstellung von Recht, insbesondere von Verfassungsrecht. Also, Recht und Politik haben schon sehr viel miteinander zu tun.
Brink: Aber sie liegen doch oft über Kreuz. Also, gibt es nicht irgendwie ein konfliktfreies Miteinander?
Kiesow: Ja, also, dass sie über Kreuz liegen, ist ja an sich eine gute Sache. Wir haben ja lange, also geradezu Jahrhunderte darum gekämpft in den europäischen jedenfalls Gesellschaften, um so etwas wie Gewaltenteilung hinzubekommen. Und Gewaltenteilung heißt ja nichts anderes, dass sich die Exekutive, die Judikative und eben das Parlament, die Gesetzgebung, dass die sich miteinander ... dass die miteinander umgehen, gegeneinander kontrollieren, gegenseitig kontrollieren. Und deswegen liegen sie ja auch über Kreuz! Aber wenn sie nicht über Kreuz liegen würden, wenn alles harmonisch und gewissermaßen parallel, gleichgeschaltet funktionieren würde, dann wäre das Diktatur. Also, insofern: Über Kreuz ist gut. Es darf natürlich nicht eine totale Diskrepanz geben, dann wäre das Miteinander nicht mehr gesund.
Brink: Aber so eine Diskrepanz kann man ja jetzt schon feststellen. Denn die bayerische Staatsregierung hat ja nicht umsonst sozusagen auch einen Verfassungsrechtler von Namen, Di Fabio, verpflichtet, weil es ja schon, wie Sie sagen, eine Interpretationssache ist, ob das, was gerade im politischen Bereich passiert, nämlich die Aussetzung von Dublin – also Schengen –, was ja de facto der Fall ist ...
Kiesow: Ja, aber das ist ... Also, ich meine, ich würde schon sagen, das ist natürlich auch deren gutes Recht. Selbstverständlich hat jeder und auch die bayrische Staatsregierung, das Recht, Gutachten, Rechtsmeinungen einzuholen, um auch ihre Politik entsprechend zu orientieren. Nur darf man das nicht verwechseln mit irgendeiner Art von Wahrheit oder rechtlicher Wahrheit. Das ist Teil des politischen Spiels, in dem Rechtsmeinungen eben auch aktiviert werden, die dann allerdings von anderen auch wieder desaktiviert werden beziehungsweise angegriffen werden. Am Ende muss es, glaube ich, darauf ankommen, was das Volk, was die Demokratie möchte. Und nicht das, was das Recht statuiert. Wobei noch einmal das Verfassungsgericht natürlich in einer besonderen und auch in einer entscheidenden Position ist.

Im Spiel der Kräfte

Brink: Wobei gerade das Verfassungsgericht immer wieder auch politische Entscheidungen ja übernimmt. Oder andersherum interpretiert: Die Politik gibt Entscheidungen ans Verfassungsgericht, weil sie keine Einigung findet.
Kiesow: Ja, ja, das ist auch ein altes Problem. Also, ob sich nicht dann die Richter, also die wenigen 16 Verfassungsrichter in Karlsruhe, ob die sich nicht an die Stelle der Gewählten, Volksvertreter setzen und inwieweit das Verfassungsgericht nicht gewissermaßen ein entgrenztes Gericht ist insofern, als es eben in der Tat Entscheidungen trifft, die eigentlich die Politik, also das Parlament treffen sollte. Andererseits gehört das nun mal zur Gewaltenteilung und das ist das Spiel der Kräfte zwischen den Meinungen über die politische Verfassung, die stabil sein sollten, das ist das, was Karlsruhe eigentlich garantieren sollte, und der Teil der Politik, der gewissermaßen im Spiel der Kräfte, der Demokratie, also der politischen Parteien sich befindet. Und das ist immer ein Konflikt, der aber ausgehalten werden muss. Und deswegen noch einmal: Ich habe überhaupt kein Problem damit, dass die bayerische Staatsregierung und natürlich ein parteiisches Gutachten – wie sollte es anders sein – einholt. Allerdings sollten sich dann diejenigen, die damit nicht einverstanden sind, entsprechend – das haben sie auch getan – artikulieren und dagegen angehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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