Bauwerke

Werkkunst contra Industriedesign

Henry van de Velde - Mitbegründer des Deutschen Werkbundes
Henry van de Velde - Mitbegründer des Deutschen Werkbundes © picture alliance / dpa
Von Rainer-Berthold Schossig · 16.05.2014
Vor einem Jahrhundert war der Kölner Rheinpark Schauplatz der ersten Ausstellung des Deutschen Werkbundes. Gezeigt wurden Kunstbauwerke von namhaften, aber auch unbekannten Künstlern. Parallel zur Ausstellung tobte der berühmte Werkbund-Streit um die Frage der guten Gebrauchsform.
Wie ein Fanal züngelt die rote Flamme einer Fackel über Ross und Reiter auf dem Werbeplakat der großen Werkbundausstellung in Köln, die am 16. Mai 1914 ihre Pforten öffnete. Programmatisch verkündet es:
"Kunst in Handwerk und Industrie, Handel und Architektur!"
Mit der Kunst im Gepäck trat der noch junge Deutsche Werkbund den Verfallserscheinungen eines industrialisierten Kunstgewerbes entgegen. Roland Günter, Bauhistoriker und bis vor wenigen Jahren Direktor des Werkbundes, blickt zurück:
"Einfachheit mit Geist, kein Protz - darum ging es. Das ist diese typische wankelnde Übergangsphase, in der man den Weg erst suchen muss."
Um 1900 überschwemmte maschinelle Massenware "Made in Germany" die Märkte. Dagegen setzte der Werkbund die Wiederbelebung traditionellen Qualitäts-Denkens. Schon 1896 hatte der amerikanische Architekt Louis Sullivan festgestellt:
"Es ist das Gesetz aller organischen und anorganischen, aller physischen und metaphysischen, aller menschlichen und übermenschlichen Dinge, aller echten Manifestationen des Kopfes, des Herzens und der Seele, dass das Leben in seinem Ausdruck erkennbar ist, dass die Form immer der Funktion folgt."
Gegen den Kitsch und die Zuckerbäckerfassaden der Kaiserzeit hatte der Werkbund schon in seinem Programm von 1907 Front gemacht. Man strebte nicht nur nach guter Gebrauchsform, auch die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten sollte reformiert werden:
"Ziel ist die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk, durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen."
Der Köln-Deutzer Rheinpark wurde Schauplatz diverser Architektur-Attraktionen namhafter aber auch junger, noch unbekannter Künstler. Der preußische Baumeister Bruno Taut errichtete ein florales „Glashaus" in Gestalt einer konstruktivistischen Knospe, in der Wasserkaskaden rauschten. Henry van de Velde präsentierte gar einen - wie eine riesige Flunder hingelagerten - exotischen Theaterbau:
"Die Farbklänge beruhten auf einer vom Amarant-Rot zu hellem Zinnober verlaufenden Skala. Die bewusst zurückhaltende dekorative Ausgestaltung erschien wie vom Weihrauch und der Patina von Jahrhunderten gedämpft."
... erinnerte sich van de Velde in seiner Autobiografie. Der Architekt Peter Behrens trumpfte mit einer wuchtigen Festhalle auf. Sein junger Kollege, der spätere Bauhaus-Chef Walter Gropius, zeigte dagegen eine höchst nüchtern-funktionale Modell-Fabrik aus Glas und Stahl, eine Provokation kaiserlichen Publikumsgeschmacks. Roland Günter:
"Der Werkbund bündelt sehr viele Fäden. Man kann das mit dem Stichwort Lebensreform-Bewegung beschreiben. Das ist die erste Phase der industriellen Investition in Konsum dafür produziert der Werkbund Gegenstände des täglichen Lebens und zum guten, angenehmen Leben."
Der Königsweg zur guten Gebrauchsform
Die Stadt Köln finanzierte die Pionier-Schau mit 5 Millionen Goldmark. Fast nebenbei führte die Ausstellung zu dem berühmten Werkbund-Streit zwischen dem Ästheten van de Velde und dem preußischen Baubeamten Hermann Muthesius. Erbittert stritt man über den Königsweg zur guten Gebrauchsform - Werkkunst contra Industriedesign:
„Das war eine Art Weltausstellung, total interdisziplinär, kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Man hatte einen riesigen Besucherandrang, und dann kam die Katastrophe."
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs schloss man die Ausstellung überstürzt; Gebäude und Pavillons wurden nach und nach demontiert. Besser erging es 1927 der 2. Werkbundschau in Stuttgart-Weißenhof. Hier blieben die Musterhäuser demonstrativ stehen und wurden so zum leuchtenden Vorbild des Neuen Bauens.
„In Köln gibt es überhaupt keine Erinnerung an diese Ausstellung! Und im Werkbund habe ich auch Schwierigkeiten, den Leuten zu sagen: Kuckt mal in eure eigene Geschichte. Sie ist großartig. Ihr könnt irrsinnig was daraus lernen, nicht nur für gestern, sondern für heute und morgen!"
Die Kölner Werkbundausstellung war ihrer Zeit weit voraus; die Diskussionen um Standardisierung und Individualisierung, die von den Designern damals angestoßen wurden, sind bis heute aktuell.