Bauer gegen Riese

Von Margit Hillmann · 08.05.2013
Ein mit Pestiziden vergifteter Bauer hat den US-Agrarriesen Monsanto 2012 erfolgreich auf Schadenersatz verklagt. Nun beginnt der Berufungsprozess. Wer gewinnt, ist natürlich unklar. Sicher ist nur, dass Bauer Paul François schwer krank ist.
Ein halbes Dutzend gepflegter alter Gebäude aus hellem Naturstein, umgeben von Feldern. Ein roter Trecker kommt mit Vollgas auf den ungepflasterten Hof. In der Fahrerkabine sitzt Paul François: blass, Ende Vierzig, kurzes graumeliertes Haar, roter Overall. Er steigt vom Trecker, muss kurz ins Büro.

Der Landwirt setzt sich an den Computer, schreibt eine Mail. An der Wand hängt ein Fotorahmen: Zwei hübsche Mädchengesichter blicken in die Kamera. Seine Töchter. Sie waren noch Kinder, als der Alptraum im Frühjahr 2004 beginnt.

"Ich wollte abends meinen Raps mit einem Insektizid spritzen. Der Spritztank hat ein automatisches Reinigungssystem. Das wollte ich kontrollieren, öffne von oben den Tank. Aber der war gar nicht leer. Das Monsanto-Herbizid, das ich morgens gespritzt hatte, hat sich in der Sonne aufgeheizt. Ich habe die Dämpfe eingeatmet und mir noch gesagt - oh lala! Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass mein ganzer Körper heiß wird."

Der Bauer ist hochgradig vergiftet: Monochlorbenzol, gefährlicher Inhaltsstoff des Monsanto-Herbizids Lasso. Sein zentrales Nervensystem ist schwer geschädigt, das Immunsystem, Leber und Nieren. Doch die Ärzte in der Krankenhausnotaufnahme beruhigen ihn damals: "Ich soll mir keine Sorgen machen, das wird wieder", erinnert sich Paul François.

Plötzlich steh ein Mann mit schwarzem Schnauzer und breitem Kreuz im Türrahmen. Ob der Chef mal eben aufs Feld kommen kann? Paul François macht sich zu Fuß auf den Weg.

Der ehrgeizige Bauer - und vor ihm sein Vater - haben hart gearbeitet, das Land nach und nach gekauft. Seit seinem Unfall ist alles anders. Über mir schwebt ein Damoklesschwert, sagt der Bauer, schluckt schwer. Schon eine harmlose Infektion kann ihm zu Verhängnis werden.

Auf dem Feld stehen zwei Männer hüfttief in einem frisch ausgehobenen Graben, mehrere hundert Meter lang. Sie schaufeln, werfen Kalksteine heraus. Cyril - Mitte zwanzig, festangestellt auf dem Hof - hievt lange Plastikrohre vom Treckeranhänger. Das wird eine Bewässerungsanlage, sagt Paul François, steigt auf den Trecker.

Das Lenkrad fest im Griff erzählt der Bauer weiter. Dass er einige Monate nach seiner Pestizid-Unfall ins Koma fällt und ins Pariser Universitätskrankenhaus "La Salpêtrière" eingewiesen wird. Unter Sprech- und Gedächtnisstörungen leidet, unter Dauer-Migräne, damals ist er auch geistig verwirrt. Die Ärzte diagnostizieren schwere Depressionen, stopfen ihn voll mit Psychopharmaka. Von einem Zusammenhang mit dem Pestizid-Unfall wollten die von Anfang an nichts wissen, sagt er, presst die Lippen zusammen:

"Als der Toxikologe vom Krankenhaus mit uns spricht, sieht er meine Frau an und sagt ihr: Das Mittel, mit dem Sie ihre Haare färben ist gefährlicher als das Pflanzenschutzmittel, das Ihr Mann eingeatmet hat."

Der Bauer durchlebt ein Höllenjahr, bis endlich ein Pariser Wissenschaftler gezielte Blutanalysen verordnet, das Monochlorbenzol aus dem Monsanto-Pestizid nachweist.

Die Rohre sind verlegt. Der Bauer fährt zurück auf den Hof.

In einer Ecke steht ein großer, blauer Trecker mit weißem Tank, an den Seiten zusammen geklapptes Gestänge, auf dem Drüsen stecken. Der Bauer stemmt die Arme in die Hüften. In den letzten Jahren hat er seinen Pestizidverbrauch um die Hälfte heruntergefahren, nutzt immer öfter alternative Methoden.

"Ich habe mir vorgenommen, so viel Chemie wie möglich wegzulassen. Umweltverträglich produzieren, meine und die Gesundheit der Anwohner nicht gefährden. Aber ich will auch die Arbeitsplätze auf dem Hof erhalten, also keine Produktionseinbußen. Das zu vereinbaren, habe ich mir für die nächsten 10-15 Jahre vorgenommen."

Feierabend. Paul François und Cyril sitzen bei einem Glas Wein im Aufenthaltsraum. Im Fernsehen laufen die Abendnachrichten.

Der Entschluss, Monsanto zu verklagen, ist langsam in ihm gereift, sagt der Bauer, nippt an seinem Weinglas. Er erfährt, dass das Monsanto-Herbzid schon seit den 90er-Jahren in mehreren EU-Ländern wegen seiner Gefährlichkeit verboten ist. Ein Schock ist auch, was er über seinen Pariser Krankenhausarzt herausbekommt, der das Monsanto-Pestizid immer als Ursache seiner lebensbedrohlichen Erkrankung ausgeschlossen hat:

"Eines Abends tippt ein Freund von mir den Namen des Arztes bei Google ein, dazu den Namen von Daniel Goldberg, Monsanto-Chef-Toxikologe in Saint Louis/Missouri, dem Unternehmenssitz. Und siehe da: Beide waren Redner auf ein und derselben Konferenz in Saint Louis, organisiert von Monsanto!"

Der Beginn der Berufungsverhandlung gegen Monsanto ist für Ende Juni anberaumt. Der Bauer zuckt mit den Schultern. Siegessicher ist er nicht. Aber sein Pariser Anwalt Maître Lafforgue ist zuversichtlich:

"Ich hoffe, nach der Verhandlung können wir laut und deutlich sagen: Seht her, das sind die Arbeitsmethoden der Firma Monsanto. Die gleiche Firma, die heute behauptet, ihr Pestizid Roundup und ihr genverändertes Saatgut seien ungefährlich. Die haben nur eines im Sinn, Geld machen auf Kosten der Gesundheit der anderen. Das ist eine Mafia."

Der Bauer leert sein Weinglas. Morgen muss er wieder früh raus.