Barbara

Kleine Hommage an "Göttingen" mit großer Wirkung

Von Ralf Bei der Kellen · 04.07.2014
Die französische Sängerin Barbara wollte eigentlich nicht in Deutschland auftreten. Zu tief saßen die Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg. 1964 kam sie doch nach Göttingen - und schrieb darüber eines der bewegendsten Lieder der deutsch-französischen Geschichte.
"Göttingen - das war ganz außergewöhnlich. Ich bin nicht gerade gerne nach Deutschland gekommen. Ich machte es, weil ich diesen jungen Theaterdirektor fabelhaft fand, es war ja schon erstaunlich, dass er mich überhaupt kannte. Aber Deutschland, na ja."
Am 4. Juli 1964 landet die damals noch relativ unbekannte französische Chansonsängerin Barbara auf dem Flughafen Hannover. Hans Gunter Klein, der Direktor des Jungen Theaters in Göttingen, hatte sie mit seinem Charme überzeugt, zu einem Gastspiel ins ungeliebte Deutschland zu reisen. In Göttingen angekommen, bereut sie ihren Entschluss aber schon wieder, denn: Statt des vertraglich zugesicherten Flügels steht da nur ein einfaches Klavier.
"Und nun kam's nächste Problem: es war kein Flügel da. Weil nämlich die Transportarbeiter streikten an dem Tag."
Erinnert sich Sybille Penkert, damals Studentin in Göttingen. Sie hatte Barbara 1957 während einer Studienfahrt in Paris kennengelernt und Gunter Klein auf sie aufmerksam gemacht:
"Es war also nicht Gunters Schuld oder irgendeine Nachlässigkeit. Das konnte man ihr aber schwer erklären, denn sie war davon völlig erschossen und weigerte sich strikt, am Klavier zu spielen. (Ver)sank also so taschenmesserartig in sich zusammen, (das) müssen sie sich so vorstellen, (sie) ging so an der Wand runter, und ... aus."
1966 wird Barbara mit "Göttingen" über Nacht bekannt
Als dann aber Studenten unter großer körperlicher Anstrengung einen Flügel aus einer Nachbarswohnung herantragen, ist Barbara bereit, das Konzert zu geben. Es wird ein Erfolg, ihr Gastspiel wird verlängert. An dessen Ende schreibt sie eine Hommage an all die netten Menschen, die ihr - wider Erwarten - in Deutschland begegnet sind. 1966 nimmt sie das Lied auf - und wird dadurch in Frankreich über Nacht bekannt. "Göttingen" war mehr als nur ein Chanson seiner Zeit, wie Barbaras Kollege Reinhard Mey betont:
"Und da kommt eine wunderbare französische Chansonsängerin und singt ein Lied mit dem Titel einer kleinen deutschen Stadt. Und sie singt es so schön, und sie, ja, sie gibt wirklich ein Stück Versöhnung ... man muss dazu wissen, dass Barbara aus einer Familie kommt, einer jüdischen Familie, die sehr unter den Nazis gelitten hat, und [sie] kommt hin und reicht ihre Hand zur Versöhnung, indem sie ein Lied singt, in dem sie sich wünscht, dass es nie wieder Krieg und nie wieder Blutvergießen gibt zwischen den beiden Ländern, weil es Menschen gibt, die sie liebt, die in Göttingen leben."
"Lasst diese Zeit nie wiederkehren
und nie mehr Hass die Welt zerstören
es wohnen Menschen die ich liebe, in Göttingen, in Göttingen.
Doch sollten wieder Waffen sprechen
es würde mir das Herz zerbrechen
wer weiß, was dann noch übrigbliebe
von Göttingen
von Göttingen."
Barbara hatte nicht nur als Französin unter dem Einmarsch der Nazis in Frankreich gelitten, sie musste sich auch aufgrund ihrer Herkunft verstecken.
Sybille Penkert: "Der Vater war jüdischer Elsässer. Und die Großmutter mütterlicherseits, "Varvara", daher sie dann "Barbara" sich nannte, und eigentlich Monique Serf heißt".
Auch die Familie der Mutter ist jüdisch, mit russischen Wurzeln. Barbara lernt früh, was es bedeutet, anders als die anderen zu sein". In ihren Memoiren schreibt sie:
"Ich war weder besonders stolz darauf, noch schämte ich mich dafür, jüdisch zu sein. Aber wenn ich sah, dass Menschen mich als etwas anderes betrachteten, machte mich das aggressiv."
Ihre Texte funktionierten auf deutsch nicht - bis auf "Göttingen"
1940, Barbara ist zehn, muss die Familie vor den deutschen Truppen aus Paris fliehen. Die Flucht geht über mehrere Stationen, die Familie wird denunziert, oft werden Kinder und Eltern getrennt. Zu diesem Trauma kommt der sexuelle Missbrauch durch den Vater - entsprechend selten sprach Barbara später über ihre Kindheit. Einige Zeitzeugen vermuten, dass sie Botengänge für die Resistance erledigte - und dabei von den Kollaborateuren gefasst und gefoltert wurde. In der Nachkriegszeit wanderten große Teile der Familie nach Israel aus.
Barbara blieb - und schrieb trotz allem erlittenen Unrecht das Lied, das bis heute der Inbegriff der deutsch-französischen Freundschaft ist. 1967 nahm sie eine LP mit deutschen Versionen ihrer Lieder auf - die aber keinen großen Erfolg hatte. Den Schriftsteller und Journalist Georg Stefan Troller, ebenfalls jüdischer Herkunft, der den Klappentext zur LP schrieb, wundert das nicht.
"Das war eben etwas, das man damals für französisch gehalten hat und was ich heute eben auch mit dem Jüdischen oder dem Ostjudentum in Verbindung bringe. Sie war zu subtil, zu tragisch. Das konnte keine Tiefenwirkung haben."
Nur das eine Lied hatte Tiefenwirkung - und das so sehr, dass sowohl Gerhard Schröder als auch Joachim Gauck den Text auf ihren Reden zum Jahrestag des Elysée-Vertrags zitierten:
Troller: "Sie sagte mir, Göttingen hätte sie zu ihrem eigenen Erstaunen und Verblüffung überzeugt, dass in Deutschland auch Menschen leben. Übrigens bezeichnend, dass die Barbara in ihrem Chanson das Wort Göttingen auf Deutsch ausgesprochen hat, während die Franzosen normalerweise "Göttänsch" sagen würden. Eine Konzession, eine Art kleines Liebesbrief an die da drüben."
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