Barbara Hannigan singt und dirigiert

Sie kann es

Die Sopranistin Barbara Hannigan
Die Sopranistin Barbara Hannigan © Musacchio & Ianniello Accademia Nazionale di Santa Cecilia
29.03.2017
Bisher ist Barbara Hannigan vor allem als Sopranistin bekannt. Nun tritt sie häufiger als Dirigentin auf. An diesem Abend in Stockholm sang sie und leitete sie das Schwedische RSO in Musik von Jean Sibelius, György Ligeti und Alban Berg.
Nicht wenige Musikfreunde werden zuerst skeptisch sein - eine Sängerin interpretiert und dirigiert gleichzeitig Musik von Sibelius und Berg, die auch Sopransoli enthält. Doch warum soll nicht auch eine Sängerin mit ihrer Präsenz ein Orchester leiten können, wenn sie selbst gerade singt? Was Pianisten können, die schließlich beide Hände benutzen, die man eigentlich zum Dirigieren mehr braucht als die Stimme, können Vokalisten schon lange. Welcher Orchesterleiter ruft schon in die Aufführung hinein - und singende Dirigenten sind nicht nur bei Aufnahmeteams verhasst!
Barbara Hannigan kann es, das hat sie schon einige Male bewiesen. Was sie sich nun für ihr Gastspiele als singende Dirigentin in Stockholm vorgenommen hat, ist durchaus formidable. Denn sowohl Sibelius' Dichtung "Luonnotar" für Sopran und Orchester als auch das Koloratursolo im Mittelsatz der Sinfonischen Stücke aus der Oper "Lulu" von Alban Berg gelten als große Herausforderungen insbesondere für die Solistin. Nicht zufällig behandeln beide Stücke Protoptypen von theatralischer Weiblichkeit, die sich Männer ausgedacht haben - Luonnotar ist die Mutter Natur und Göttin der Meere im finnischen Epos Kalevala, und Lulu ist bekanntermaßen ein Mordsweib, deren Liebhaber der Reihe nach sterben. Und ebenfalls schicksalshaft erscheint, dass der Komponist Alban Berg selbst vor der Vollendung seiner Oper gestorben ist. Die Sinfonischen Stücke sind vorab von Berg selbst vollendete Auskopplungen aus der Oper. Sibelius' "Luonnotar" wiederum gilt als eine der avantgardistischsten Kompositionen des hierzulande lange Zeit als Naturromantiker verkannten finnischen Komponisten schwedischer Herkunft.
Als weitere Programmpunkte hat sich Barbara Hannigan ein Flöten-Solo-Werk von Claude Debussy gewünscht (das die Nymphe Syrinx behandelt) und die "Atmosphères" von György Ligeti, ein Schlüsselwerk der unorthodoxen Moderne. Heutzutage ist das knapp zehnminütige Orchesterwerk als Filmmusik bekannt und von vielen als Sphärenmusik gedeutet, dabei kam es dem Komponisten doch nur auf die klingende Kunst an sich an, die wie jede gute moderne Musik ganz viel Traditionelles beinhaltet.
Berwaldhallen Stockholm
Aufzeichnung vom 24. März 2017
Claude Debussy
"Syrinx" für Flöte solo
Jean Sibelius
"Luonnotar", Sinfonische Dichtung für Orchester op. 70
György Ligeti
"Atmosphères" für großes Orchester
Alban Berg
Sinfonische Stücke aus der Oper "Lulu" für Sopran und Orchester

Anders Jonhäll, Flöte
Schwedisches Radio-Symphonieorchester
Sopran und Leitung: Barbara Hannigan