Bankern fehlt der "Kontakt zur normalen Welt"

Moderation: André Hatting · 08.11.2013
Der Ex-Banker Rainer Voss, Darsteller im Dokumentarfilm "Master of the Universe", fordert die Politik dazu auf, die Logik und die Motivation von Bankern zu verstehen. Nur durch Kommunikation und Verständnis sei es möglich, das Finanzsystem erfolgreich zu regulieren.
André Hatting: "Master of the Universe", das stammt eigentlich aus dem Roman "Fegefeuer der Eitelkeiten" von Tom Wolfe 1987. Der Meister des Universums, das sind heute die Banker, zumindest fühlen sich manche manchmal so. Rainer Voss zum Beispiel: Er hat jahrelang mit Billiarden gezockt und auch daran verdient, dass Staaten wie Griechenland mit EU-Geldern vor der Pleite gerettet werden. 2013 ist "Master of the Universe" deshalb der Titel eines preisgekrönten Dokumentarfilms von Marc Bauder über diese Finanzwelt. Seit gestern ist er in den Kinos zu sehen.

Einziger Darsteller: der Ex-Investmentbanker Rainer Voss. Guten Morgen, Herr Voss!

Rainer Voss: Guten Morgen!

Hatting: Parallelwelt - damit beschreiben Sie den Kosmos, in dem die Banker leben. Wie groß ist der Realitätsverlust in diesen Kreisen eigentlich?

Voss: Ach, ich glaube, das hängt von den Einzelpersonen ab, aber ich sage mal, wenn man lange in dem Beruf arbeitet - das ist ja ein Prozess, über den sich so was hinzieht - und man so ein bisschen die Bodenhaftung verliert, den Kontakt zur normalen Welt, dann sind das schon relativ viele.

Hatting: Na ja, Sie schreiben auch von einer geschlossenen Gesellschaft.

Voss: Ja, das ist ein System, in das man reingezogen wird und das sich dann quasi, ja, selbstreferenziell multipliziert, sodass ein bestimmter Menschentyp da Erfolg hat und sich dann halt auch in diesem System wohlfühlt, ja.

Hatting: Vor dieser geschlossenen Gesellschaft stand auch Regisseur Marc Bauder bei der Suche nach Gesprächspartnern. Er war fast verzweifelt, bis er dann Sie am Ende getroffen hat. Warum reden Banker normalerweise nicht mit der Gesellschaft?

Voss: Ich kann das auch nicht wirklich erklären. Da sitzt eine ganz tiefe Angst dahinter, also im Fall jetzt, sich an die Presse zu wenden, da hängt sicherlich eine ganz tiefe Angst vor Repressionen dahinter oder, dass man von der Gesellschaft, die einen, da ja umgibt, als Nestbeschmutzer bezeichnet wird.

Warum Banker sonst irgendwie nicht mit der Gesellschaft reden, das hat ganz viele andere Gründe, die im Wesentlichen daran liegen, dass es sehr wenige Überschneidungen mit der Normalgesellschaft gibt, und wenn Sie die nicht haben, gibt es auch nichts zu reden.

Hatting: Aber auf dem Podium zum Beispiel, in den sogenannten Medienevents, da sitzen sie dann alle, gestern zum Beispiel wieder beim Wirtschaftsforum der "Zeit". Da kommt aber Otto Normalbürger nicht so einfach rein. Also - Elite bleibt unter sich?

Der ehemalige Investmentbanker Rainer Voss (l) und Regisseur Marc Bauder
Der ehemalige Investmentbanker Rainer Voss (l) und Regisseur Marc Bauder© picture alliance / dpa / Jens Kalaene
"Es stehen sich zwei Blöcke sprachlos gegenüber"
Voss: Ja, so ein bisschen ist das schon so. Also wenn ich das mal ein bisschen breiter ziehen darf, also Elite: Ich denke, wir haben eine Situation - aber das ist jetzt meine Sicht -, wo sich zwei Blöcke in der Gesellschaft sprachlos gegenüberstehen, also auf der einen Seite die Zivilgesellschaft, also das Volk, und auf der anderen Seite große Teile der Wirtschaft. Und die haben keinen gemeinsamen Nenner mehr, weil die Logik der beiden Systeme anders funktioniert. Das ist so, als würden Sie Ptolemäus und Kopernikus an einen Tisch setzen und sagen, die sollen das jetzt mal mit der Sonne auskaspern.

Hatting: Und wie kommen diese beiden Blöcke, die Sie beschrieben haben, eigentlich wieder zusammen?

Voss: Das ist halt ein Vorgang. Wenn mir ganz, ganz Großes widerfahren sollte, dann leiste ich einen kleinen Beitrag mit dem Film dazu und stoße da eine Diskussion an.

Hatting: Weil andere Ihrem Beispiel folgen?

Voss: Da ist ja nicht viel zu folgen, das ist ja auch nicht mutig, was ich da gemacht habe, aber wir müssen ja irgendeine Art von Mediation finden, und der Hauptpunkt ist halt, dass man erst mal erklärt, wie diese Welt funktioniert.

Hatting: Das Beispiel des Sonnensystems, was Sie gerade gewählt haben, zeigt aber, dass beide in völlig verschiedenen Weltbildern, mit völlig verschiedenen Idealen. Das klingt für mich aber so, als ob die beiden einander auch überhaupt nicht verstehen würden.

Voss: Das ist meine Analyse, und deswegen ist es auch sehr, sehr schwierig, da Gehör zu finden, auf beiden Seiten. Schauen Sie, ich wehre mich gegen diese simplifizierte Vorstellung, dass da auf der einen Seite die Guten, auf der anderen Seite die Bösen sind. So einfach ist unsere Welt nicht. Aber solche Konflikte oder solche Schweigeperioden kann man nur durch Kommunikation lösen.

Hatting: Ich frage mal anders, Herr Voss: Wie lernfähig sind Banken und Banker?

"Keine fundamentalen Veränderungen"
Voss: Ich halte sie nicht für sehr lernfähig, ich halte die nicht für sehr lernfähig. Das ist aber auch keine böse Absicht. Also ich habe die Erfahrung gemacht in vielen, vielen Jahren im Kapitalmarkt, dass Leute sehr, sehr schnell vergessen, und die Politik macht zwar große Anstrengungen, aber dass innerhalb der Banken viele Dinge passieren, die über so einen, wie soll ich das nennen, ja, Showcase hinausgehen, also ein schönes Schächtelchen ins Fenster legen, hat Herr Steinmeier im Wahlkampf immer gesagt - ich sehe keine fundamentalen Veränderungen, auch nicht, wenn ich mit meinen Freunden und Bekannten rede.

Hatting: Sie haben gerade die Politik schon erwähnt. Sie sagen in dem Film, was uns jetzt noch helfen kann, das seien klare Verbote und Gebote. Reicht denn das aus, was die Politik in dieser Hinsicht im Augenblick tut?

Voss: Da habe ich eine sehr spezielle Meinung zu, die eigentlich immer zu Widerspruch führt. Ich bin der Meinung: Wenn sie was regulieren, müssen sie die Motivation dessen verstehen, den sie regulieren. Wenn aber meine These stimmt, dass diese beiden Systeme nach unterschiedlichen Logiken funktionieren, dann reguliert die Politik was, in bester Absicht, hat aber damit keinen Erfolg, weil die Reaktionen, die sie provozieren will durch die Regulierung, auf der anderen Seite nicht kommen, weil die eine andere Agenda haben - auch nicht bösartig.

Hatting: Das würde also bedeuten, die Politik müsste erst mal die Motivation der Banker verstehen?

Voss: Richtig.

Hatting: Und wie kann sie das?

Voss: Durch Kommunikation. Also ich habe da drüber nachgedacht, ob es so was schon mal gegeben hat. Wir hatten in den 70er-Jahren so was, das hieß "Konzertierte Aktion", das war in der Wirtschaftspolitik, da wurden im Prinzip die relevanten gesellschaftlichen Gruppen, die für diesen Themenkreis zuständig waren, zusammengesetzt und haben gemeinsam eine Agenda für das Land entwickelt.

Das war leider, muss ich sagen, nicht besonders erfolgreich. Man hat das dann noch mal im Gesundheitswesen versucht. Aber so ein korporatistischer Ansatz, wo quasi eine Einheit gebaut wird aus diesen gesellschaftlich relevanten Gruppen, das scheint mir eine Sache zu sein, die mal ganz, ganz dringend gemacht werden müsste.

Hatting: Und glauben Sie, Banker würden sich an so einen Tisch setzen?

Voss: Wenn das von der Politik beschlossen wird, müssen die das.

Hatting: Verantwortungsgefühl, das ist auch so ein zentraler Begriff in dem Film. Die Banker handeln verantwortungslos, weil sie eben in ihrer Parallelwelt jeden Bezug zum Alltag verloren haben. Kann man Bankern eigentlich Verantwortung beibringen?

"Natürlich können Banker verantwortlich handeln"
Voss: Lassen Sie doch Banker weg, das sind ja genauso Leute wie Sie und ich, und die haben irgendwo mal gelernt von der Großmutter oder irgendjemand anderem, was gut ist und was böse ist. Die Frage ist, ob man halt im richtigen Moment sich dran erinnert, und die zweite Frage ist, ob man dann auch entsprechend handelt oder ob man aus Furcht vor Repressalien oder halt, aus dieser Gruppe ausgeschlossen zu werden, dann doch mit den Wölfen heult sozusagen.

Hatting: Ist es nur die Furcht vor Repressalien oder zur Outgroup irgendwann zu gehören, oder ...

Voss: Ja, ich denke, das Zweitere ist das mehr, also das findet ja nicht so vordergründig statt, dass es dann irgendwie so was wie Ohrfeigen gibt oder so.

Hatting: Ja, ich wollte auch noch auf was anderes hinaus, nämlich die Frage, ob Banker überhaupt vernünftig handeln können, wenn die durchschnittliche Haltedauer - als Beispiel - einer Aktie heute noch 22 Sekunden beträgt oder noch weniger.

Voss: Na ja, das ist ein Beispiel aus dem Film, wo ich halt besonders zugespitzt deutlich machen möchte, wie irrational oder wie verrückt manche Sachen in dem System sind. Aber natürlich können Banker verantwortlich handeln. Und das Problem sind ja nicht die 95 Prozent der Leute, die da ihren Job ordentlich machen, sondern das sind halt die fünf Prozent, die wirklich, auch nicht vorsätzlich, aber denen, sagen wir mal, denen der Kompass verloren gegangen ist sozusagen.

Hatting: Und da hilft dann nur mehr Vernunft und mehr Kommunikation. Rainer Voss war das, der ehemalige Frankfurter Investmentbanker ist Protagonist des Dokumentarfilms "Master of the Universe" über die Parallelwelt des Finanzsystems. Vielen Dank für das Gespräch!

Voss: Gern geschehen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Der Trailer zum Film:

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