Bankdynastie mit Familienbanden

Von Agnes Steinbauer · 19.09.2012
Mayer Amschel Rothschild war der Gründervater des späteren weltweiten Finanzimperiums. Mit einem Gemischtwarenladen in der Frankfurter Judengasse stellte er die Weichen für die Firma Rothschild & Söhne – und schuf die Basis für die spätere Bankendynastie. Er verstarb vor 200 Jahren.
"Nie würde ich meinen Kindern vergeben, wenn sie entgegen meinem väterlichen Willen sich anmaßen wollten, meine Söhne in der friedlichen Geschäftsausübung zu stören",

schrieb Mayer Amschel Rothschild in seinem Vermächtnis. Kurz vor seinem Tod am 19. September 1812 bekräftigte er diese Worte. Die "friedliche Geschäftsausübung" wurde in der ersten Generation der Rothschilds zwar durch Kriege und politische Umwälzungen in Europa beeinträchtigt. Aber der Aufstieg zur berühmtesten Bankiersfamilie war trotzdem unaufhaltsam. Die Basis dafür hatte Mayer Amschel Rothschild geschaffen.

Mayer Amschel, 1744 geboren, war Sohn kleiner Kaufleute, die in der Frankfurter Judengasse das "Haus zum rothen Schild" bewohnten. Wie die meisten ihrer Glaubensbrüder lebten die Rothschilds in den damals üblichen erbärmlichen Verhältnissen eines Judenghettos: überfüllte Häuser, enge dunkle Gassen, weder sauberes Trinkwasser, noch Kanalisation. Juden durften sich nicht frei bewegen. Handwerk und Landwirtschaft waren ihnen ebenso verwehrt, wie die Bürgerrechte der Christen. Der einzige Weg aus dem Ghetto war Wohlstand. Bereits als Zwölfjähriger trat Mayer Amschel eine Stelle im Bankhaus der Familie Oppenheim in Hannover an, schreibt Rothschild-Biograf, Derek Wilson. Zitat:

"Er lernte viele reiche, mächtige Männer … kennen. Der Junge aus dem Ghetto muss sich diese hohen Herren … genau besehen und die Erkenntnis gewonnen haben, dass der Weg zu Wohlstand … darin lag, solchen Männern dienstbar zu sein und ihr Vertrauen zu gewinnen."

Zurück in Frankfurt, investierte Mayer Amschel alle Überschüsse aus seinem Gemischtwarenladen und einer Wechselstube in Luxusartikel: Wertvolle Münzen, Medaillen, Antiquitäten, Kupferstiche und andere schöne Dinge.

Sein wichtigster Kunde wurde Prinz Wilhelm von Hanau, Erbe der Landgrafschaft Hessen-Kassel und späterer Kurfürst Wilhelm I. Die wertvolle Münzsammlung, die ihm Mayer Amschel vermittelte, ebnete Rothschild den Weg zum so genannten Hoffaktor. Ab 1769 gewährte ihm der Prinz diesen Titel - ein entscheidender Karrieresprung, denn "Hoffaktoren" hatten Reisefreiheit und kamen mit dem Adel ins Geschäft. Als Bankiers bei Hofe trieben sie die Außenstände ihrer Herren ein, waren deren Anlageberater und bekamen dafür Provision. Mayer Amschel war so erfolgreich, dass er nicht nur zum wichtigsten Bankier des Hauses Hessen-Kassel aufstieg. Auch andere einflussreiche Herrscher – etwa die Fürsten von Thurn und Taxis – beanspruchten seine Dienste. Vor allem aber setzte Mayer Amschel auf "Familienpolitik". Die Heirat mit der jüdischen Kaufmannstochter Gutle Schnapper 1770 brachte ihm ein ansehnliches Startkapital. Den fünf Söhnen übertrug er früh geschäftliche Verantwortung. Zum Finanzgenie der Rothschilds entwickelte sich der drittälteste Sohn Nathan, der sich 1798 als Geschäftsmann in England niederließ. Über ihn schreibt Derek Wilson:

"Sein dynamischer Unternehmungsgeist witterte in den europäischen Kriegswirren verlockende Möglichkeiten für eine große Gesellschaftliche Karriere …"

Ab 1806 verdiente Nathan viel Geld mit Waren, die er trotz Napoleons Kontinentalsperre aufs europäische Festland schmuggelte. Er verhalf England zum Sieg bei Waterloo, weil er einen Weg zur Finanzierung der Truppen gefunden hatte. Mit dem vor Napoleon geretteten Vermögen von Kurfürst Wilhelm I., spekulierte er so erfolgreich, dass die Rothschilds bald zu den führenden Bankiers Europas aufstiegen. Ihr Hauptsitz war Frankfurt. Die anderen Brüder etablierten sich in Rom, Paris und Wien. Im 19. Jahrhundert waren die Rothschilds maßgeblich an der Finanzierung weltweiter Großprojekte - wie Eisenbahnen oder dem Suezkanal - beteiligt. Während der Nazizeit erlebten sie ihre schlimmsten Verfolgungen, konnten sich aber nach dem Zweiten Weltkrieg erneut erfolgreich im Finanzgeschäft etablieren. In Frankreich besitzen sie heute weltbekannte Weingüter und Schlösser. Vom deutschen Dichter und Wahlfranzosen Heinrich Heine - ein Freund der ersten Rothschilds - ist das Bonmot überliefert:

"Geld ist der Gott unserer Zeit und Rothschild sein Prophet …"