Bahr: START-Abkommen hat entscheidende Wirkung auf andere Länder

Egon Bahr im Gespräch mit Christopher Ricke · 08.04.2010
Der SPD-Politiker und Abrüstungsexperte Egon Bahr erhofft sich von der Erneuerung des START-Abkommens zwischen den USA und Russland eine Signalwirkung für den Stopp von Atomwaffen weltweit.
Christopher Ricke: Heute ist ein guter Tag für den Weltfrieden voraussichtlich, wenn die Präsidenten der USA und Russlands das neue START-Abkommen unterschreiben. Die beiden Länder verfügen über rund 90 Prozent der Atomwaffen weltweit, ein Teil davon soll außer Dienst gestellt werden, und wenn man in Deutschland über Abrüstung und Entspannung, über Annäherung spricht, dann kommt man sehr schnell auf einen ganz bestimmten Namen: Egon Bahr. Der heute 88-jährige SPD-Politiker war unter anderem Vorsitzender des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle der alten Bundesrepublik und einer der wichtigsten und einflussreichsten Berater Willy Brandts in den Fragen der Entspannungspolitik. Er beschäftigt sich heute noch intensiv mit dem langen und steinigen Weg zu mehr Frieden und Sicherheit. Guten Morgen, Herr Bahr!

Egon Bahr: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Wie groß ist denn der Schritt, den Obama und Medwedew heute in Prag gehen?

Bahr: Also, insgesamt ein Drittel der strategischen Bestände sollen verschwinden. Das ist die eine Seite der Sache. Die andere Seite der Sache ist viel entscheidender. Es ist unbedingt erforderlich, dass die beiden Supermächte in ihren Atomwaffen einen Schritt machen, damit die anderen Länder folgen im Mai mit der Überprüfung des Nichtverbreitungsvertrages, denn die große Gefahr geht ja nicht von den Ländern aus, die über Atomwaffen verfügen, sondern die größte Gefahr und eine wirkliche reale Gefahr geht von dem schleichenden Verbreiten von nuklearem Wissen an Terroristen aus, auch an El Kaida, das benutzt werden kann zur Erpressung. Das ist wirklich eine schreckliche Sache. Diese Einschätzung der Lage hat übrigens dazu geführt, dass diese vier alten amerikanischen erfahrenen Staatsmänner, Kissinger an der Spitze, sich schon in dem Jahr, bevor Obama Präsident wurde, zusammengesetzt und darauf aufmerksam gemacht haben, dass Amerika seine Politik ändern und auf wirklich null stellen muss, und die Deutschen, vier mit Schmidt, Weizsäcker, Genscher und mir an der Spitze, haben sich dem ja etwas später angeschlossen.

Ricke: Das war vor einem Jahr, als Obama auch in Prag seine Vision der atomwaffenfreien Welt beschrieb. Aber Sie beschreiben ja gerade auch die Realität. Da muss man nach Nordkorea schauen, da muss man in den Iran schauen, auch in andere Länder, wer alles nach Atomwaffen strebt, oder über Atomwaffen verfügt. Nützt denn da das gute Beispiel der Russen und der Amerikaner?

Bahr: Ja! Ohne das Beispiel werden die anderen Staaten nicht bereit sein, den Nichtverbreitungsvertrag zu verstärken, die Kontrollen zu verstärken und mitzumachen, denn der Nichtverbreitungsvertrag ist ja das Versprechen, erstens: die Länder, die ihn unterschrieben haben, verpflichten sich, keine Atomwaffen zu erstreben, zweitens: die Besitzer verpflichten sich abzurüsten, und diese Abrüstung lässt auf sich warten.

Ricke: Ich bin mal ganz eigennützig und sage, kann man jetzt vielleicht auch die amerikanischen Atomwaffen, die immer noch in Deutschland stationiert sind, auch möglichst schnell wegbringen?

Bahr: Im Prinzip ja. Sie dürfen ja nicht vergessen oder nicht übersehen: die Fraktionen im Deutschen Bundestag, sowohl der Koalition wie der Opposition, mit Ausnahme der Linken, haben in der letzten Woche eine Resolution beschlossen, in der sie alle diese Punkte, über die wir gerade reden, bejaht haben und auch gedrängt haben, was wir, die Deutschen, sowieso und die Vierergruppe schon gemacht haben, dass diese Relikte aus dem Kalten Krieg – das sind 20 Atombomben, für die ein deutsches Luftwaffengeschwader bereitgestellt ist – verschwinden sollen. Das ist ein Punkt, der dem Obama in Amerika Schwierigkeiten macht, weil er es nicht leicht hat. Wir können nicht über Obama reden, ohne seine Schwierigkeiten uns bewusst zu machen. Er muss Kompromisse machen, er muss Abstriche machen. Das galt schon bei der Gesundheitsreform und das gilt natürlich auch bei der neuen Nukleardoktrin, die er vor zwei Tagen verkündet hat. Und die Nukleardoktrin bedeutet, der Schritt der Amerikaner ist noch einmal so groß wie das Abkommen, das heute unterzeichnet wird. Amerika verzichtet darauf.

Ricke: Herr Bahr, lassen Sie uns doch auch noch ein wenig in die Geschichte sehen. Wir haben jetzt in den USA möglicherweise einen Präsidenten, der selbst vorausgeht, aber üblicherweise müssen Staats- und Regierungschefs auch gut beraten werden. Möglicherweise ist Russlands Präsident Medwedew gut beraten. Wie ist es denn damals bei Ihnen gewesen in Ihrer Erfahrung, wenn ich die Stichworte "Wandel durch Annäherung", "Politik der kleinen Schritte" nehme? Wie überzeugt man Politiker, dass man einen mühsamen, einen schwierigen Weg einschlägt?

Bahr: Ach, mein Gott, da muss man bereit sein, viel Verleumdung einzustecken und langsam zu überzeugen. Also, ich kann natürlich nicht vergessen, dass "Wandel durch Annäherung" in der eigenen Partei umstritten gewesen ist und bekämpft wurde und in der gesamten Öffentlichkeit. Die Ost- und Entspannungspolitik war am Anfang überhaupt nicht populär und die damalige Opposition hat ja leidenschaftlich dagegen gekämpft. Das ist nur abzubauen Schritt für Schritt, wenn man A die besseren Argumente hat und B den Mut hat, nicht in die Knie zu gehen, sondern weiterzumachen und nicht zuletzt die Mehrheit behält. Denn keine Regierung und kein Präsident ist außenpolitisch stark, wenn er innenpolitisch schwach ist, und das hatten wir damals ja bis zu dem Punkt, an dem es keine Mehrheit mehr gab, also Neuwahlen ausgeschrieben worden sind, und dass wir dann Dank auch des Grundlagenvertrages, eines Verhältnisses zur DDR dann den größten Erfolg in der Geschichte der SPD hatten, steht auf einem anderen Blatt. Aber Obama muss einen Weg gehen, und er geht ihn – ich sage das ganz offen mit wirklicher Bewunderung für den Mut und die Konsequenz dieses Mannes -, denn diese neue Doktrin von ihm, dass Amerika verzichtet auf den Ersteinsatz von Atomwaffen gegen Staaten, die über keine verfügen, die hatte er schon, als er sein Amt antrat, und das hätte er schon im Herbst machen wollen und hat mit großen Schwierigkeiten und Abstrichen bezahlen müssen, dass es jetzt geklappt hat.

Ricke: Vielen Dank, Egon Bahr.
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