Bahn-Vorstand wirft GDL-Funktionären Egoismus vor

Moderation: Jörg Degenhardt · 23.10.2007
Die Bahn-Personalchefin Margret Suckale hat die Lokführergewerkschaft GDL im laufenden Tarifstreit erneut scharf angegriffen. Es gehe der GDL-Führung offenbar nicht vorrangig um die Interessen der Lokführer, sagte Suckale. Bei den Gewerkschaftsfunktionären stünden Machtinteressen im Vordergrund.
Jörg Degenhardt: Im Bahntarifstreit ist auf der Eskalationsskala eine neue Stufe erreicht. Die Lokführergewerkschaft GDL hat einen Streik von Donnerstag, 2.00 Uhr morgens, bis Freitag, 8.00 Uhr, im Regional- und S-Bahn-Verkehr angekündigt. Grund sei, so die GDL, dass die Bahn noch immer kein verbessertes Angebot in den Tarifverhandlungen vorgelegt habe. Der Konflikt ist seit Wochen festgefahren. Während der Konzern nur sein jüngstes Angebot als Verhandlungsgrundlage akzeptieren will, beharrt die GDL auf einen eigenständigen Tarifvertrag und deutlichen Lohnsteigerungen. Entschlossenheit zeigt aber auch die Deutsche Bahn. Sie hat bisher nach eigenen Angaben zwei streikende Lokführer fristlos entlassen und eine zweistellige Zahl Abmahnungen ausgesprochen. Margret Suckale ist die Personalchefin des Unternehmens. Ihr Gesicht ist uns mittlerweile aus dem Fernsehen bestens bekannt. Sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Suckale!

Margret Suckale: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Die GDL erwartet einen hohen Wirkungsgrad des Streiks, der im Osten wegen des niedrigen Anteils von Beamten unter den Lokführern 80 Prozent erreichen könne. Können Sie da mit Notfallplänen überhaupt noch gegenhalten?

Suckale: Wir werden jetzt für den nächsten Streik in der Tat mit Notfallplänen arbeiten. Wir haben die Zeit genutzt. Aber das Bedauerliche an diesen Streiks ist, es trifft wieder Millionen von Pendlern, viele Menschen, die nicht zur Arbeit kommen können. Ich kann verstehen, dass unsere Kunden darüber äußerst erbost sind. Aber wir haben immer wieder hier Verhandlungen angeboten, und leider kommt die GDL nicht an den Verhandlungstisch.

Degenhardt: Das Landesarbeitsgericht Chemnitz will Ende nächster Woche über die von der GDL eingelegte Berufung gegen das Streikverbot im fernen Güterverkehr verhandeln. Angenommen, auch in diesem Bereich wären danach Streiks möglich, und die GDL würde von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Kommt das dann der Bahn richtig teuer zu stehen?

Suckale: Streiks kommen immer allen sehr teuer zu stehen, in erster Linie den Kunden, aber die Bahn ganz genauso. Wir müssen hier leider von zweistelligen Millionenbeträgen ausgehen. Wir müssen jetzt einmal abwarten, wie das Gericht entscheidet. Für uns ist die gerichtliche Entscheidung wirklich nur die zweitbeste Lösung. Wir hätten lieber hier eine Lösung im Verhandlungsweg gefunden mit der GDL. Es scheint einfach nicht möglich zu sein. Insofern müssen wir dann als zweitbeste Lösung eben auch diesen gerichtlichen Weg wählen. Die GDL hat hier die Berufung eingelegt, und wir werden dann natürlich mitverhandeln am 2. November.

Degenhardt: Die Situation ist bereits angespannt genug. Warum, Frau Suckale, gießen Sie mit Abmahnungen und Kündigungen noch zusätzlich Öl ins Feuer?

Suckale: Es gab in der Tat zwei fristlose Kündigungen. In beiden Fällen ist eklatant gegen Sicherheitsbestimmungen verstoßen worden. Das können wir natürlich auf keinen Fall dulden bei der Bahn. Das ist übrigens auch bei allen Lokführern akzeptiert. Ich habe gestern mit einer großen Gruppe Lokführer gesprochen. Denen habe ich das erklärt, was da passiert ist. Da haben alle gesagt, nein, wenn so was passiert, dann muss auch eine Kündigung ausgesprochen werden. Denn die Sicherheit ist das allerhöchste Gebot bei uns.

Degenhardt: Bleiben Sie auch deswegen vielleicht so unnachgiebig im Tarifstreit, weil Sie hoffen, dass mit jedem Streiktag das Verständnis bei den Bürgern für die Forderungen der Lokführer sinkt?

Suckale: Das kann eigentlich nicht das Ziel sein. Natürlich sehen wir einen gewissen Trend, dass die Bürger, dass die Kunden überhaupt nicht verstehen können, warum die GDL nicht wenigstens mal verhandelt. Aber im Endeffekt wollen wir wirklich unsere Kunden schonen. Darum glaube ich, dass alle verlieren werden. Die Bahn wird verlieren. Die GDL wird verlieren, und die Kunden werden verlieren. Darum ist es auch so sinnlos weiterzustreiken. Viel besser wäre es und Gewinn für alle, wenn wir sprechen würden miteinander.

Degenhardt: Was muss denn aber passieren, damit Sie über ein neues Verhandlungsangebot nachdenken? Vielleicht können Sie jetzt bei dieser Gelegenheit ein versöhnliches Signal an die andere Seite senden?

Suckale: Versöhnliche Signale senden wir am laufenden Meter. Sie haben es schon sehr richtig angesprochen in der Anmoderation. Es geht hier um ein Grundsatzthema. Es geht um die Frage, ob sich kleine Splittergewerkschaften ablösen können aus dem Solidarverbund heraus und ihre eigenen egoistischen Ziele verfolgen dürfen. Das ist etwas, was wir auf keinen Fall wollen, so schmerzlich das im Moment für uns ist mit all den Streiks. Wir wissen genau: Wenn das Schule macht in Deutschland bei der Bahn, werden wir, wie das auch vor einigen Jahren in England üblich war, ständig bestreikt werden. Wir werden ständig mit Einzelgewerkschaften verhandeln müssen. Das wird dem Kunden im Endeffekt viel mehr treffen, als das, was wir hier im Moment erleben, so schmerzlich es auch ist.

Degenhardt: Die GDL kann nicht hinter ihre Maximalforderung, jedenfalls nicht ohne Gesichtsverlust. Sie wollen oder können sich nicht bewegen, vielleicht auch wegen der Festlegungen, die Sie bereits mit den anderen beiden Gewerkschaften geschlossen haben. Wo soll denn da nun der Ausweg liegen?

Suckale: Wir haben immer wieder angeboten, über eine neue Entgeltstruktur zu sprechen, die es erlauben würde, den Lokführern einen Karriereweg aufzuzeigen. Die Lokführer sagen völlig zu Recht, wir kommen relativ schnell hier ans Ende unserer Möglichkeiten. Wir möchten gerne weiter aufsteigen können. Das wäre eine gute Möglichkeit. Den Lokführern kommt es wirklich darauf an, mehr Geld zu verdienen, eine Aussicht zu haben weiterzukommen. Ein eigenständiger Tarifvertrag im Sinne der GDL ist eigentlich für den Mitarbeiter völlig nebensächlich.

Degenhardt: Wie weit unterscheiden Sie eigentlich zwischen den Lokführern und zwischen den Funktionären, die jetzt die Verhandlungen führen?

Suckale: Da mache ich einen sehr großen Unterschied. Die Lokführer sind bei uns eine sehr geschätzte Berufsgruppe. Sie tragen Verantwortung. Wenn man mit ihnen spricht, sind das auch sehr gute Gespräche, sehr vernünftige Gespräche. Bei den Funktionären der GDL habe ich im Moment das Gefühl, dass es in erster Linie um Machtinteressen geht, dass es nicht mehr nur die Frage ist, was verdient der Mitarbeiter mehr. Sondern darum, was ist für die Funktionäre gut. Das ist natürlich eine äußerst schwierige Situation.

Degenhardt: Werden letztendlich die Gerichte diesen Arbeitskampf entscheiden, wenn Sie sich nicht mit den Gewerkschaftsführern, Verhandlungsführern einigen können? Die Politik soll sich da heraushalten, das haben Sie auch immer wieder betont.

Suckale: Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum ausgerechnet eine Gewerkschaft hier appelliert an die Politik und sagt, bitte helft mit. Die Frage müsste sich jede Gewerkschaft stellen, auch diejenigen, die schon mit uns abgeschlossen haben. Warum haben wir dann nicht die Politik bemüht? Das geht auf keinen Fall aus meiner Sicht. Die nächste Frage werden die Gerichte entscheiden. Besser wäre es, auch für unser weiteres Miteinanderumgehen in der Zukunft, wenn wir es am Verhandlungstisch lösen würden. Aber wenn es bis dahin keine Lösung gibt, dann werden wir sehen, wie die Gerichte entscheiden. Dann werden die weiteren Schritte daraus ableiten.

Degenhardt: Das heißt wir, die Bürger, müssen uns zunächst auf weitere Streiks einstellen über diesen Donnerstag und diesen Freitag hinaus, weil die Bahn bei ihrer Haltung bleibt?

Suckale: Weil die GDL bei ihrer Haltung bleibt, weil die Bahn bei ihrer Haltung bleibt. Noch mal: Im Endeffekt, glaube ich, wird der Kunde vielmehr darunter leiden, wenn wir dieses Verhalten jetzt ein für allemal zulassen, weil wir dann Situationen, die wir jetzt erleben, jedes Jahr bei jeder Lohnrunde erleben. Das wollen wir unseren Kunden gerne ersparen.

Degenhardt: Vielen Dank für das Gespräch!
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