Baden-Württemberg

Grün-Schwarz darf AfD keinen Auftrieb geben

Der Landesvorsitzende der baden-württembergischen CDU, Thomas Strobl (r), und der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) geben am 24.03.2016 in Stuttgart (Baden-Württemberg) nach der Fortsetzung der Sondierungsgespräche von Grünen und CDU zur möglichen Bildung einer gemeinsamen Landesregierung eine Pk.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und der CDU-Landeschef Thomas Strobl bei Sondierungsgesprächen © picture alliance / dpa / Philip Schwarz
02.04.2016
Grüne und Schwarze passen gut genug zusammen, um miteinander zu regieren. Ganz so sieht es zumindest in Baden-Württemberg aus. Sie sollten darüber nicht vergessen, auch miteinander zu streiten, kommentiert Korbinian Frenzel – um ungewollte Nebenwirkungen zu vermeiden.
Kretschmann Superstar macht es ein zweites Mal – er dreht die bewährten Reihenfolgen der deutschen Politik um – erst von Rot-Grün zu Grün-Rot. Und jetzt, das verspricht der Anfang der Verhandlungen zwischen Grünen und CDU in Stuttgart, wohl auch vom noch nicht ganz so eingeschliffenen Schwarz-Grün – zu Grün-Schwarz. Eine verkehrte Welt – zumindest für alle jene, die sich hinter dem Bindestrich wiederfinden. Eine verkehrte Welt für die baden-württembergische CDU, in der sie sich wohl oder übel zurechtfinden muss. Aus Mangel an Alternativen. Oder besser gesagt – aus Angst vor der Alternative – aus Angst, die AfD könnte bei etwaigen Neuwahlen noch besser abschneiden.

Das Zustandekommen ist ziemlich sicher

Grün-Schwarz in Baden-Württemberg wird deshalb ziemlich sicher zustande kommen – und es wird genau deshalb mit einer größeren Hypothek starten als etwa Schwarz-Grün in Hessen. Auch in Wiesbaden war es keine Liebesheirat, aber immerhin soviel: ein Experiment, an dem beide Seiten ihren Gefallen gefunden hatten. Und sei es nur, um endlich einmal etwas Neues auszuprobieren – jenseits von Schwarz-Gelb und Rot-Grün. Hessen ist insofern der wirkliche Testlauf für die Bundestagswahl 2017 – allein schon, weil die Reihenfolge um den Bindestrich hier wie im Bund identisch verlaufen würde. Schwarz-Grün. Merkel-Özdemir.
Es ist es müßig, darüber zu diskutieren, ob die Grünen die Sonderposition in Baden-Württemberg nur erreicht haben, indem sie selbst in die Mitte gerückt sind. Richtig ist, dass beide Parteien in den letzten 20 Jahren aufeinander zugekommen sind. Wobei die Grünen den Großteil dieser Strecke in den 90er-Jahren zurückgelegt haben, weg von der Ökopaxe, hin zu einer modernen linksliberalen Partei. Die CDU dagegen hat die wirklich großen Schritte erst in den letzten Jahren gewagt. Merkels Modernisierungskurs, der die Schwarzen sehr viel urbaner, lebensnäher – und ja, das kann, darf man so verkürzen - grüner gemacht hat.
Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz ist auch vor diesem Hintergrund erstens lange kein Schreckgespinst mehr, zweitens wohl auch mehr als reine machtpolitische Arithmetik, sondern die Chance, in manchen Feldern kreativ neue Politik zu machen. Beispielsweise in der Wirtschaftspolitik, die mittelständisch – schwarz – und nachhaltig – grün – verbindet. Eine Politik, die sich von sozialdemokratischen Etatismus genauso befreit wie vom marktbesoffenen Gegenteil, für das die FDP steht.

Drohen ungewollte Nebenwirkungen?

Es liegt aber auch ein großes Risiko in den neuen sich abzeichnenden baden-württembergischen Verhältnissen: dass Grün-Schwarz ungewollt zur Konjunkturmaschine für die AfD wird. Denn wenn – und dazu neigen Regierungskoalitionen in Deutschland, egal wie widerwillig und holprig sie zustande kommen – Grüne und CDU in Harmonie aufgehen, wenn sie sich politisch auch in bisher konträren Fragen so sehr annähern, dass die Unterschiede verwischen, dann dürfte sich viele Menschen berechtigterweise fragen: Wo, bitteschön, sind die Alternativen? Den Schaden hätte vor allem die CDU- aber mit ihr die politische Landschaft in Deutschland insgesamt.
Grün-Schwarz in Baden-Württemberg wäre gut beraten, Deutschland in der neuen politischen Unübersichtlichkeit ein neues Modell zu bieten. Eine Koalition, die mit Dissens in politischen Fragen leben kann – sei es in der Bildungspolitik oder auch in manch gesellschaftspolitischer Debatte. Eine Koalition, die sich traut, offene Abstimmungen zuzulassen. Damit die Parteien weiter Profil zeigen und Alternativen anbieten können. Warum? Weil es Demokratie lebendiger macht. Weil bei allem Pragmatismus die Lust am Streit- auch bei Grün-Schwarz - nicht verloren gehen darf.
Mehr zum Thema