Baden ohne Grenzen

Kurorte an der deutsch-tschechischen Grenze

Ein Springbrunnen im Kurpark von Bad Elster in Sachsen: Bad Elster mit seinen Heilquellen ist eines der ältesten Moorbäder Deutschlands. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden hier die ersten "Curen" angeboten.
Ein Springbrunnen im Kurpark von Bad Elster in Sachsen: Bad Elster mit seinen Heilquellen ist eines der ältesten Moorbäder Deutschlands. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden hier die ersten "Curen" angeboten. © picture alliance / dpa
Von Jana Safarikova · 03.04.2016
Während der Romantik und des Klassizismus haben sie die europäischen Eliten angezogen: die berühmten Mineral- und Moorheilbäder Bad Elster, Bad Brambach und Franzensbad. Goethe ließ sich vom nahegelegenen Moorland und den Vulkanen inspirieren. Das gehobene Bürgertum wurde mit den Radonquellen behandelt. Und in Franzensbad hat Beethoven wahrscheinlich seine unsterbliche Geliebte getroffen.
An diesen Ruhm von Bade- und Kurorten versuchen die heutigen Bewohner anzuknüpfen und sie zu neuem Leben zu erwecken. Restaurierte Bäderbauten zeugen davon, Cafés, Promenaden, Pavillons, die zum Verweilen einladen. Doch reicht das? Und wie erleben die Einwohner der Städte diese Renaissance? Was ist ähnlich, was verschieden bei Deutschen und Tschechen?
Wer besucht die Badeorte? Ausländische Touristen? Oder auch Landsleute? Wie prägt es die Menschen, wenn sie in einer solchen Umgebung aufwachsen? Die tschechische Autorin Jana Safarikova auf Spurensuche nach den Lebenswelten beiderseits der Grenze.

Die Deutschlandrundfahrt im Wortlaut:
Wer würde glauben, dass ein kleines Städtchen an der deutsch-tschechischen Grenze ein echter Kulturort und Zentrum sowohl der klassischen als auch der zeitgenössischen Musik sein kann? Bad Elster ist genau das: Das alte Mineral- und Moorheilbad im Tal der Weissen Elster hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer der Kulturhauptstädte Sachsens entwickelt.
Besonders die musikalische Tradition ist hier seit dem Mittelalter fest verankert. Dass sich diese heute noch in voller Blüte zeigt, liegt auch an dem Dirigenten Florian Merz. Ein Mensch mit großem Charisma, für den die Musik im Zentrum steht. Er stammt aus Düsseldorf, und hat – noch bevor er sein Studium an der Wiener Musikhochschule begann – mit 15 Jahren die Klassische Philharmonie Düsseldorf gegründet. Mit ihr hat er regelmäßig Symphoniekonzerte und 18 Opernproduktionen aufgeführt.
Seit 1991 ist er Chefdirigent der Bad-Elster-Chursächsischen-Philharmonie. Früher dirigierte er Orchester in fast allen europäischen Staaten, in den USA, Mexiko und Brasilien. Die "große Welt" vermisst er aber überhaupt nicht.
Florian Merz: "Bad Elster hat 3700 Einwohner, aber die Stadtgrösse ist eigentlich uninteressant, es ist eigentlich die Frage, was eine Stadt bietet. Und es ist oft so, dass kleine Orte mehr bieten in verschiedenen Themen als große Städte. Große Städte sind zum Schluss relativ gleich in vielen Dingen. Und Bad Elster ist einfach ein einzigartiger Ort, eine einzigartige Stadt. Jedes Thema Kultur ist hier geil gespielt, denn mit dem Thema Gesundheit, das Ganze gibt ein Lebensgefühl für die ganze Region, die es einfach lebenswert macht, hier zu sein."

Publikum aus der Umgebung und aus Dresden

Das Premienpublikum kommt aus der nahgelegenen Umgebung und auch aus Dresden regelmäßig angereist. Die Kurgäste selbst machen im Durchschnitt nur ein Drittel des Publikums aus.
Nicht weit von hier liegt Markneukirchen, wo seit langem historische Musikinstrumente hergestellt werden. Diese nutzen auch die Symphoniker gern: Der Klang ist dann ein bisschen anders, rauer und authentischer. Aus dieser Musikregion stammen weltbekannte Komponisten wie Bach, Schumann und Mendelssohn. Das Alte ist auch heute im Kontakt mit dem Neuen – der knapp 50-jährige Dirigent versucht, junge Leute für die Musik zu begeistern und damit an die bisherige Tradition anzuknüpfen.
"Dazu ist es uns gelungen, die gesamte Region einzubinden, wir sind als König-Albert-Theater eine regional bedeutsame Einrichtung des Kulturraums Vogtland-Zwickau, so mit 600.000 Menschen ein bedeutsam kulturelles Zentrum, verbinden uns ganz stark mit dem Thema Kinder- und Jugendarbeit, Schulen, Kindergarten, da kommt keine an uns vorbei, die dürfen das Theater besuchen, dürfen aktiv auch mitmachen, wir haben verschiedene Profile mit Gymnasien aufgebaut, dass heißt in Bad Elster trifft sich alt und jung, Gast aus nah und fern, und Leute, die einfach tolle Kultur leben wollen. Ich denke, es ist eine spannende Sache, gerade im Herzen Europas, an der direkten Grenze zu Tschechien – Bad Elster ist von der tschechischen Grenze 50 Meter entfernt, das Theater Luftlinie 500 Meter, das ist schon faszinierend, dass hier ganz so viel zusammenwachsen kann."
Die Musik verbindet in seinen Augen beide Länder – und das ist es, wofür er lebt und arbeitet. Die Besucher geben ihm recht: sie kommen nicht nur aus Sachsen, sondern auch aus Böhmen. Die Region, sagt Merz, hat eine gemeinsame Geschichte und Tradition – wer, wenn nicht sie, sollte da auch eine gemeinsame Gegenwart und Zukunft haben?!
"Die Leute sollten auch auf der tschechischen Seite wissen, dass hier auch in Sachsen gute Musik gemacht wird, und wir möchten, dass Leute aus Tschechien zu uns kommen und uns besuchen, und umgekehrt. Ich denke, das ist wie eine Art Zug, der hin und her fährt, und es ist selbstverständlich, dass wir einfach auch drüben spielen, wir verkaufen da drüben die deutsche Musik, die gespielt wird, und es ist eigentlich eine schöne Geschichte, damit man Menschen miteinander verbinden kann."
Ihn interessiert sehr, was hier in der Region passiert, und er hat eine enge Verbindung zu den anderen Städten im deutsch-tschechischen Grenzgebiet: Badestädte wie Karlsbad, Marienbad oder auch das entfernte Teplitz sind für ihn keine fremden Orte. Überall dort hat er schon mit seinem Orchester gespielt, oft in Kooperation mit den tschechischen Klangkörpern.

Die drei Orte liegen eine halbe Stunde auseinander

1996 hat Florian Merz das "Euchestra Egrensis" ins Leben gerufen. Damit will er den Kulturaustausch zwischen Mitteldeutschland und Böhmen verstärken. Sie spielen regelmässig zusammen, die Deutschen und die Tschechen – beim Publikum seien solche Konzerte sehr beliebt. Das lässt ihn hoffen, dass gute Musik auch die Völker über Grenzen hinweg näherbringt. Und nicht nur die Musik – für Merz, dem Enthusiasten und Visionär, hat die Region entlang der deutsch-tschechischen Grenze das Potential, europäisch zu werden.
"Diese drei Orte, die eine halbe Stunde auseinander liegen: Bad Elster, Bad Brambach und Franzensbad, ergänzen sich wunderbar: Franzensbad hat ein tolles Kasino, hat ein Golfplatz, das hat Bad Elster zum Beispiel nicht, und ich denke, das Zusammenspiel ist eine Chance für die Zukunft. Meine Vision ist immer, dass wir eines Tages eine Europastadt haben, Bad Elster, Bad Brambach, Franzensbad, weil wir so viel Gemeinsamkeiten haben und jedes dieser Orte hat so viele Profile, dass man aber im internationalen Tourismusbereich besser pauken kann, wenn man das als einig darstellt: wir hätten 8000 Betten, könnten, glaube ich, auch im Marketingbereich anderen Möglichkeiten finden. Das dauert aber noch ein bisschen, dafür sind die Köpfe noch auf deutscher oder tschechischer Seite leider zu klein."
Der Dirigent Merz ist mit dem Orchester viel unterwegs. Während des Sächsisch-Böhmischen Kulturfestivals, das seit 1996 jährlich am 1. Mai eröffnet wird und bis Oktober geht, spielen sie an 40 verschiedenen Orten in Deutschland und Tschechien.
"Also für uns ist das Thema Tschechien doch gar keine Grenze in den Köpfen, für mich persönlich sowieso nicht, weil ich Tschechien als eines der Länder erfunden hab, oder die böhmische Region im Herzen Europas, das war immer die geistige Wiege mit Mitteldeutschland gemeinsam. Und das war so dann auch signifikant für uns heute, wie gesagt, wir haben so viel Traditionen drüben, die können wir einfach für uns nutzen. Das heißt zum einen gibt es das Ideal, dass wir sagen, ist mal große Freude, hier Tschechien zu präsentieren, mit denen zu kooperieren, aber das andere wird der wirtschaftliche Vorteil sein, dass einfach beide Seiten damit Geld verdienen können, weil unsere Gäste gern auch tschechische Kultur verkaufen. Nicht weil die tschechische Kultur billiger ist, es hat eine eigene Note, die wir so in unserer mitteldeutschen Kultur nicht haben. Das Zusammenspiel von diesen verschiedenen Sorten, das macht es eigentlich in Bad Elster aus, das bedeutet, dass man hier in Bad Elster sowohl tschechische als auch deutsche Kultur erleben kann."
Die breite Fussgängerzone in Franzensbad gleich bei der Franzensquelle
Die breite Fussgängerzone in Franzensbad gleich bei der Franzensquelle© Deutschlandradio / Jana Safarokova
Der Regen hat gerade aufgehört, es ist Freitagabend, und das Café Beethoven im Zentrum von Františkovy Lázně – in Deutschland besser bekannt als Franzensbad – ist fast leer. Ein paar Gäste sitzen an der Bar, ein grosser Hund schläft unter dem Tisch. Es wirkt ein bisschen düster, dunkles Holz auf orangenen Wänden, dazu dunkelgrüne Sessel und braune Tische.
"Es hängt immer vom Wetter ab. Gestern zum Beispiel war es warm und die Sonne schien – da war es total voll. Im September läuft die Kursaison ja langsam aus."
Michal arbeitet als Kellner hier. Der 27-Jährige ist tätowiert und sonnengebräunt und ist sympathisch. Er ist vor zehn Jahren mit seinen Eltern nach Franzensbad gezogen. Davor wohnten sie in der Kleinstadt Aš, nicht weit von Franzensbad.

Beethoven reiste im August 1812 zur Kur nach Franzensbad

Dieses Café ist benannt nach dem berühmten Komponisten Ludwig van Beethoven. Er ist im August des Jahres 1812 zu einer Kur nach Franzensbad gereist – und wohnte in diesem Haus, in einem Zimmer nur einige Stockwerke über dem Café, wo wir jetzt sitzen. Von hier aus hat er Briefe an seine "unsterbliche Geliebte" geschrieben.
Aus Beethovens Brief:
Mein Engel, mein alles, mein Ich.
Kann unsre Liebe anders bestehn als durch Aufopferungen, durch nicht alles verlangen, kannst du es ändern, daß du nicht ganz mein, ich nicht ganz dein bin - Ach Gott, blick in die schöne Natur und beruhige dein Gemüth über das müßende - die Liebe fordert alles und gantz mit recht, so ist es mir mit dir, dir mit mir - nur vergißt du so leicht, daß ich für mich und für dich leben muß, wären wir gantz vereinigt, du würdest dieses schmerzliche eben so wenig als ich empfinden…
An Beethovens Aufenthalt errinert ein Schild an der Hausfassade und auch sein Porträt im Hof, der aber nicht öffentlich zugänglich ist.
"Immer wieder kommen Leute, um sich das Schild anzuschauen. Oft mit einem Begleiter, der dazu etwas sagt, dann fotografieren das alle, und dann gehen sie weiter."
Weiter – das bedeutet in den nahegelegenen Park, um sich die berühmte Statue des kleinen Franz anzuschauen. Eine Bronzefigur mit Symbolcharakter: Ein kleiner nackter Junge, der auf einer Kugel sitzt und mit seinen bloßen Händen einen großen Fisch an sich drückt. 1924 vom Franzensbader Bildhauer Adolf Mayerl geschaffen.
Franzensbad stand jahrhundertelang für die Heilung von Frauenkrankheiten und Unfruchtbarkeit. Heute sind diese Kliniken geschlossen, aber der Franzel steht hier im Park immer noch. Und: die untere Hälfte seines Körpers ist von den Berührungen tausender Frauenhände ganz blank. Denn die Legende besagt, Frauen mit Kinderwunsch sollten das "beste Stück" der Skulptur berühren, und innerhalb eines Jahres würden sie schwanger werden.
"Früher sind häufig Mädchen und junge Frauen gekommen, das war geil! Es gab hier zwei Kliniken, genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt. Leider wurden sie geschlossen, ich weiß nicht genau, warum. Jetzt kommen hauptsächlich Patienten mit Herzproblemen, die 60, 70 Jahre oder noch älter sind. Aber ich will mich nicht beschweren – wenn sie nicht kämen, könnten wir hier dicht machen."
Ich sitze mit Michal immer noch im Café. Man kann jetzt auch die milde Abendsonne durch die Fenster sehen. Bevor wir uns verabschieden, schlägt Michal vor, dass wir uns noch das Porträt von Beethoven im Hinterhof ansehen.
"Der Beethoven war hier nur für etwa zwei Wochen, er hat hier sein Bild und so. Komm mal her, durch den Flur. Wir haben davor einen Lagerraum, also es sind überall Kisten, und so ein Durcheinander."
Es stimmt. Das Porträt des Komponisten hängt neben dem Kühlschrank und blickt auf die leeren Coca Cola-Flaschen. Auch im Café erinnert wenig an seinen Aufenthalt. Popmusik und tschechische Schlager klingen aus dem Radio. Kann man hier auch klassische Musik hören, frage ich Michal. Oder hat er sich selber einige Werke von Beethoven angehört? Er lacht. Auf keinen Fall. Sein Ding ist Hiphop.
Es regnet wieder als ich in Bad Brambach ankomme, einer kleinen sächsischen Stadt mit etwa 2000 Einwohnern, die an drei Seiten Tschechien als Grenze hat. Der Kurort ist von Bad Elster nur 15 Minuten entfernt, wenn man mit dem Zug fährt.
Der Bahnhof am Rande der Stadt, und man muss noch etwa zehn Minunten laufen, um den schönsten Teil Bad Brambachs zu sehen: den grossen Park, der das Stadtbild dominiert. Das Wetter ist bescheiden, alle sind entweder zu Hause, in der Klinik oder – und das interessiert mich – im beheitzten Wintergarten in der Mitte des Parks. Hier versammeln sich die Kurgäste, um die Heilquellen zu genießen.

Wettinquelle in Bad Brambach gehört zu den stärksten Radonquellen

Die Wettinquelle ist die speziellste hier: ihr Radonanteil ist sehr hoch, und sie gehört zu den stärksten Radonquellen der Welt. Schmeckt aber wie jedes andere Mineralwasser, frisch und spritzig. Den Radongeschmack kann man überhaupt nicht erkennen.
Eine ältere Frau aus Brandenburg sitzt zusammen mit ihrem Mann, beide mit einem Glas Wasser in der Hand.
"Wir sind heute gerade gekommen und sind jetzt das erste mal hier beim Trinken. Das ist das erste Glas. Ja, schmeckt gut."
Es sind auch welche aus Köln und Leipzig angereist. Aber mich interessiert, wie man hier lebt, wenn man kein Tourist oder Kurgast ist. Wie erleben die Einwohner der Bade- und Kurorte diese Renaissance? Haben sie einen Bezug dazu? Wie prägt es Menschen, wenn sie in einer solchen Umgebung aufwachsen?
"Ich lebe gerne hier, weil es so ruhig ist. Ich habe meine Familie, Arbeit und Haus hier, und ich brauche keine Stadt. Ich brauche die Ruhe und das Grün, das habe ich hier."
Sagt Bernhard Langnau. Er stammt aus Bad Brambach und hat hier sein ganzes Leben verbracht. Seit 20 Jahren ist er Inhaber einer Pension mit Restaurant am Rande des Parks. Sein Hobby ist Radfahren – für die Gegend hier die optimale Betätigung: oft fährt er allein oder mit Freunden nach Franzensbad, Bad Elster oder Markneukirchen. Die kleinen, gemütlichen Fahrradwege durch den Wald, die nicht asphaltiert sind, gefallen ihm. Aber wofür die Patienten von nah und fern kommen – das Wasser der Heilquellen – lässt ihn kalt.
"Ich trinke das gar nicht, habe das aber als Kind sehr oft getrunken, jetzt nicht mehr. Diese Wettinquelle ist auch für Kuren gedacht, und nicht gegen den Durst. Gegen den Durst gibt es die Eisenquelle. Bad Brambach hat sechs verschiedenen Quellen, davon sind drei Quellen zum Baden und drei zum Trinken. Die Wettinquelle ist zum Trinken. Das ist die stärkste Radonmineralquelle. Die Wettinquelle schmeckt sehr gut, die Eisenquelle schmeckt auch sehr gut und die Schillerquelle ist gesund. Das ist wie die Quellen in Franzensbad, also ich finde, sie schmecken nicht, aber sie sind gesund."
Ähnlich sieht das auch Eva, eine 25-jährige Frau aus der tschechischen Nachbarstadt Aš, die in der Pension von Bernhard Langnau arbeitet.
"Hier in Brambach ist es viel ruhiger als in Elster. Das bedeutet aber auch, dass hier nicht so viel los ist, weniger Kultur, und die Abende eher still sind. Aber ich denke, so soll das in den Badestädten sein. Man kann spazieren gehen, die Gegend ist wirklich wunderschön. Ich mag es hier, und besuche oft die beiden Städte, Elster und Brambach."

Die Bäume hinter dem Bach stehen schon in Tschechien

Wir treffen uns alle im Café der Pension von Langnau. Große Fenster geben den Blick frei auf die ehemalige Staatsgrenze. Die Bäume hinter dem Bach, nur ein paar Meter von uns entfernt, stehen schon in Tschechien. Doch die Grenze sieht man nicht – und man spürt sie auch nicht.
"Das war früher genauso. Das war auch so, die Grenze war nur der Bach, da gab es keinen Zaun, nur ein Schild, das gibt es heute noch – 'Pozor státní hranice' – aber in Deutschland sieht man nichts mehr, das ist alles weg. Und das ist gut so."
Das einzige, was es noch gibt, ist die Sprachbarriere. Im Gegensatz zu vielen anderen in der Region kann Bernhard Langnau die Sprache seiner Nachbarn ganz gut.
"Ja, ich wohne mein ganzes Leben an der Grenze und da lernt man ganz normal ein bisschen tschechisch. In der Schule haben wir kein tschechisch gelernt, aber in meinem ersten Beruf musste ich schon tschechisch lernen, weil unsere Kollegen waren alle Tschechen. Und das war gut so, dann habe ich nach der Wende noch einen Kurs in der Schule besucht, ich habe auch viele tschechische Freunde und dann spricht man mal tschechisch und mal deutsch, durchs Fahrradfahren kenne ich viele Leute."
Und er zeigt, was er kann. Eva hilft bei den schwierigeren Worten.
"Ich kann das nicht, diesen Spruch, ich kann nur den Anfang: tři sta třicet tři. Welche Deutsche kann das aussprechen. Es können auch nicht vieleTschechen, habe ich festgestellt. Ich habe einen Freund, einen Zahnartzt, der kann diese "ř" nicht sprechen, der kann das nicht, das klingt furchtbar, wenn er das spricht. Es ist aber so einfach! Du musst nur das "r" vom Hals an die Zunge holen. Und dann lässt du das "r" zischen. Und schon hast du das "ř". Aber dazu habe ich zwanzig Jahre gebraucht. '333 stříbrných stříkaček přes 333 stříbrných střech.' Das ist wie im deutschen Fischers Fritz fischt frische Fische.
Seine Sprachkenntnisse hat er auch beruflich genutzt.
"Das war schön, als ich noch bei der Bahn war, da kam mein Sohn vorbei, und wollte eine tschechische Zugmeldung hören. Wir mussten eine Meldung machen in der Tschechei, wenn der Zug abfährt: Vlak 482 má volno, dann hat der Kollege geantwortet Ano má volno, er hat frei, odjezd 23, fährt ab um 23. Und das wollte der Felix immer hören: Papa, kannst du mal eine Zugmeldung auf tschechisch machen."
Nicht immer hat ihm aber tschechisch reden zu können wirklich weiter geholfen.
"Ich habe eine schöne, lustige Geschichte. Wir waren unterwegs, sieben oder acht Männer, wir sind mit dem Fahrrad gefahren, und da gibt es eine Gaststätte in Libá und dort bestellen sich alle Leute Bier auf deutsch. Nur ich auf tschechisch. Alle bekommen ihr Bier, nur ich bekam einen schwarzen Tee! Und ich habe nie wieder mein Bier auf tschechisch bestellt."
Die Statue des kleinen Franz in Franzensbad: Der Legende nach werden Frauen mit Kinderwunsch binnen eines Jahres schwanger, wenn sie seinen kleinen Penis berühren.
Die Statue des kleinen Franz in Franzensbad: Der Legende nach werden Frauen mit Kinderwunsch binnen eines Jahres schwanger, wenn sie seinen kleinen Penis berühren.© Deutschlandradio / Jana Safarokova
Die runden, dünnen Oblaten gehören zum typischen Vergnügen in den tschechischen Badestädten. Ein kleiner Laden – mitten im Zentrum von Franzensbad, in Sichtweite der berühmten Franzensquelle und unweit der bekannten Statue des nackten Franzels – backt die Oblaten sogar selbst. Als ich den Laden betrete, begrüßt mich die 30-jährige Diana hinter der Kasse. Sie arbeitet schon seit acht Jahren hier, genauso lange kennt sie auch einige der Kunden, die regelmässig als Kurgäste in die Stadt kommen.
Während sie die Kasse bedient, kümmert sich ihre Kollegin um eine rotierende Maschine.
Diana: "Sie heisst Karusel, hier werden die Oblaten zubereitet – und das funktioniert so: zuerst wird der Teig ein bisschen feucht gemacht, dann streuen wir die süsse Füllung darüber, und das alles wird dann zusammengebacken. Wir haben ganz viele verschiedene Füllungen – Haselnuss, Mandel, Vanille, Zimt, Kokos, Apfel mit Zimt. Und dann auch unsere Sommergeschmäcker: Zitrone, Sauerkirsche, Himbeere, Erdbeere oder Mango."
Es sind hauptsächlich Kurgäste, die hier regelmässig einkaufen. Entweder sie kommen einfach vorbei, um sich eine frische, noch heiße Oblate für einen Spaziergang zu holen. Oder sie nehmen – wenn ihr Aufenthalt schon fast zu Ende ist – mehrere Packungen als Souvenier und Geschänke mit. Oft fügen sie noch eine Flasche Becherovka hinzu – all das kann man auch in diesem Laden kaufen.
Die Geschichte der Oblaten geht mindestens bis ins 18. Jahrhundert zurück. Aus dieser Zeit stammen die ersten Werkzeuge, die man bei der Zubereitung benutzt hat. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden dann in einigen tschechischen Badestädten die ersten Oblatenfabriken gegründet.
Diana, für die die Arbeit im Oblaten-Laden mehr als ein Job ist, kennt die Entstehungsgeschichte – und auch den bisher beliebtesten Geschmack der Oblaten.
"Der traditionelle Geschmack ist Vanille mit Haselnuss. Das ist genauso wie damals, als die ersten Oblaten gemacht wurden, als die Produktion der Oblaten angefangen hat. Der erste typische Geschmack aus der Zeit! Dann die Oblaten mit der Schokoladecreme, die kamen schon damals als zweites dazu."

Jede tschechische Badestadt hat ihre eigene Oblaten-Rezeptur

Jede tschechische Badestadt, erklärt sie, hat ihre eigene, einzigartige Rezeptur. Gleichzeitig experimentiert man heutzutage gern, auch hier im Franzensbad, mit neuen, ungewöhnlichen Geschmacksrichtungen:
"Da ist zum Beispiel Tiramisu, das schmeckt sehr lecker, oder algerischer Kaffee, die beiden sind jetzt neu. Was auch noch neu ist, und inzwischen bei den Leuten beliebt, ist die Kakao-Chili-Mischung. Unsere Kunden aus Deutschland mögen Oblaten mit Eierlikör. Momentan haben wir insgesamt 21 verschiedene Varianten."
Frau: "Wir haben die Kokosoblaten gekauft, die sind ausgezeichnet. Und dann habe ich auch die mit der Schokolade genommen. Das sind genau die Oblaten, wie wir sie von früher kennen. Damals sind wir ab und zu nach Karlsbad gefahren, als wir noch an der Grenze wohnten. Hier in Franzensbad sind wir bereits zum dritten Mal, und jedes Mal, wenn wir hierher kommen, nehmen wir auch ein paar Pakete mit."
Die Kunden kommen aus Deutschland und aus Tschechien – diese ältere Frau stammt aus Tschechien und macht gerade einen Wochenendausflug mit ihrer Freundin nach Franzensbad. Zwei Frauen aus Leipzig, die gerade Oblaten und den Kräuterschnaps Becherovka gekauft haben, treffe ich vor dem Laden. Sie sitzen auf einer der letzten freien Bänke in der Sonne und genießen ihren Imbiss.
"Das ist so ein Souvenier. Da ist hier die Becherovka, dann sind hier die Oblaten. Das ist eher traditionell für das hier gedacht. Also ich kann nur sagen, das ist toll!"
Ihre Bekannte vom Hotel, die daneben sitzt, lächelt und nickt. Auch sie hält eine Packung in der Hand.
Frau: "Mein Sohn, der ist ja viel unterwegs. Der ist in Indien und Schweden und so weiter, und immer bringt der mir was mit und dann muss ich ihm heute auch mal was mitbringen, wenn ich unterwegs bin, so hab ich gedacht jetzt, ne? So ist schön. Das reicht. Ne?"

Franzensbad - ein Städtchen wie aus einem Märchen

Wenn man zum ersten Mal nach Franzensbad kommt, wirkt das Städtchen wie aus einem Märchen: renovierte klassizistische Häuser mit hellgelber Fassade, breite Fussgängerzonen, umgeben von Parks und Wäldern mit den heilenden Mineralquellen. Manche von ihnen sind schon seit dem Mittelalter bekannt.
Die Heilquellen haben in den vergangenen Zeiten die europäischen Eliten angezogen: Schriftsteller, Musiker und Herrscher, die über Kunst und Politik sprachen. Wichtige Entscheidungen wurden getroffen, Inspirationen für Musik und Bücher gefunden und Liebesbriefe geschrieben. Goethe, Strauss, Chopin, Beethoven und zahlreiche tschechische Persönlichkeiten haben sich in Franzensbad während der Romantik und des Klassizismus aufgehalten. Die Architektur erinnert noch an diese Zeiten: Fast jedes Haus hat kleine Balkons, wo man sich beim Kaffee privat treffen und gleichzeitig auch das Leben auf der Strasse beobachten kann.
Doch nichts dauert ewig. Franzensbad hat sich verändert. Insbesondere nach der Wende wurden einige der berühmten Kliniken geschlossen, und der Kurort ist seitdem viel ruhiger geworden. Aber das Gefühl, dass die alten Zeiten noch nicht vorbei sind, hat man hier auch heute. Und das ist wahrscheinlich – neben den Heilquellen und Moorheilbädern – auch der Grund, warum Leute so gerne hierher kommen.
Wie wirkt das alles aber auf die Einheimischen, frage ich mich. Denken sie wie ich, dass dieser Ort immer noch besonders ist? Oder haben sie sich schon daran gewöhnt? Wie findet man das Leben, wenn man hier länger als zwei Wochen im Sommer wohnt?
All das habe ich im Kopf, als ich Věra Jungová treffe. Sie ist rund 60 Jahre alt und wohnt schon seit 40 Jahren in Franzensbad. Wir sitzen beim Tee in ihrer kleinen Pension, die sie betreibt. Sie liegt in einem Hinterhof, direkt im Stadtzentrum, ein paar Minuten zu Fuss zu der Franzensquelle.
Es interessiert mich, wie es hier früher war. Wie hat sich die Stadt aus ihrer Sicht in den letzten Jahrzehnten verändert?
Věra Jungová: "Früher war die Stadt viel lebendiger als jetzt, es gab auch zwei- oder dreimal so viele Patienten, die regelmässig hierher gekommen sind. Das ganze Leben hab ich hier damals ein bisschen lustiger gefunden. Die Zimmer waren nicht so ausgestattet wie heute, es gab nur einen Fernseher für das ganze Kurhaus, und man hat sich auch viel öfter miteinander getroffen. Jetzt sind alle ständig am Telefon. Von der Straße konnte ich immer Stimme hören. Abends spazierten die Kurgäste auf der Promenade, man konnte alle diese schweren Parfüms riechen… Und um zehn Uhr war Zapfenstreich. Da musste jeder wieder in der Klinik sein, nach zehn Uhr wurden sie dann für die Nacht geschlossen. Also fünf oder zehn Minuten vor zehn ist jeder zurückgelaufen, man hat sich schnell geküsst und verabschiedet. Plötzlich war die Stadt leer. Und am nächsten Tag war es wieder so."

Kliniken schlossen, Restaurants machten zu

Das war in den 80er-Jahren, noch zu sozialistischen Zeiten. Und hier, in Franzensbad, konnte man für kurze Zeit den beklemmenden Druck der Realität vergessen. Nach der Wende hat sich in Tschechien viel geändert. Oft zum Besseren – in Franzensbad anscheinend nicht.
"Viele Kliniken wurden in den Neunzigern geschlossen, aber auch jetzt in den letzten Jahren. Das können Sie auch selber auf der Strasse sehen, wie viele Häuser jetzt ungenutzt sind. Ich denke, es ist schade. Da gab es mehrere Geschäfte und Restaurants, die auch schon verschwunden sind. Heutzutage, wenn ich zum Beispiel neue Schuhe brauche, muss ich in eine andere Stadt fahren – einen Schuhladen gibt es hier nicht mehr. Stattdessen haben hier viele Vietnamesen ihre Strassengeschäfte eröffnet, bei denen kann man aber nichts richtiges kaufen.
Für Familien, findet sie, ist das aber überhaupt nicht schlimm.
"Es ist einfach eine kleine, ruhige Stadt. Wir haben zwei Kindergärten, eine Grundschule und eine Volksschule, wo man Musik und verschiedene Künste lernen kann. Einige Kinder fahren auch ins nahe Cheb. Aber wenn man studieren will, dann muss man weg. Auch mit der Arbeit ist es hier schwieriger, es gibt nicht so viele Möglichkeiten."
Der Tourismus und die Gesundheitsbranche – das sind die Hauptarbeitgeber in dieser Region, und die umfassen unterschiedlichste Berufe. Der Mann der 60-jährigen Pensionsbesitzerin hat sich früher zum Beispiel um die Technik in den Kliniken gekümmert.
"Mein Mann war der einzige Wartungstechniker in der ganzen Stadt, also er arbeitete für alle Kliniken hier. Er kannte jedes Badehaus. Als ich hierher gezogen bin, hat er mich manchmal zu seiner Arbeit mitgenommen. Oft zu Weihnachten, wenn die Kurhäuser geschlossen waren. Also ich konnte mich hier auch ganz gut zurechtfinden."
Ich suche weiter: wie ist es für junge Leute zwischen 20 und 30 Jahren hier in den Kurstädten zu wohnen? Ich selbst bin Anfang 30, lebe in Prag, genieße dort die Abwechslung und die Vielfalt. Finden die, die so alt sind wie ich und hier leben, es in Franzensbad zum Beispiel nicht langweilig? Als ich durch die Stadt spaziere und mir die Architektur anschaue, mit einer Flasche Mineralwasser in der Hand, frage ich mich, ob ich hier überhaupt wohnen könnte. Es ist schön hier, ganz sicher. Aber ständig so viel Ruhe?
Das habe ich Michal, den 27-jährigen Kellner aus dem Beethoven Café, auch gefragt. Ja klar, sagte er – auch für ihn ist die Stadt manchmal zu ruhig – insbesondere abends.
Michal: "Hier gibt es überhaupt nichts. Wenn man abends rausgehen und tanzen will, dann muss man in eine größere Stadt fahren wie Cheb. Die ist von hier nur fünf Kilometer entfernt, also das geht noch. Hier wird tatsächlich alles schon um 22 Uhr zugemacht – die Kurgäste brauchen ihre Ruhe. Und das gilt für das ganze Jahr, auch im Winter, wenn hier absolut niemand ist. Am Freitag- und Samstagabend ist es ein bisschen besser, weil die Bars bis ein Uhr nachts geöffnet sind. Aber länger geht es hier wirklich nicht."
Damit gleicht Franzensbad den anderen kleinen Städten in der Region. Im nahen Marienbad ist es ähnlich, erzählt Michal. Nur das weltbekannte Karlsbad mit seinen 50.000 Einwohnern unterscheidet sich und hat für junge Leute was zu bieten.
Als Teenager hat Michal in Aš gewohnt, einer Stadt im Westen Tschechiens. Sie ist doppelt so groß wie Franzensbad – aber mit ihren etwa 13.000 Einwohnern auch keine Partystadt, meint Michal lächelnd. Deshalb sei der Umzug aus Aš nach Franzensbad für ihn so gewesen, als ob er vom Regen in die Traufe käme. Zunächst. Doch heute will er nirgendwo anders leben, es fehlt ihm nichts in Franzensbad.
"Ich bin hier zufrieden, ich habe für einige Zeit auch in Prag gewohnt, also weiß ich, wie es in anderen Städten ist. Aber ich kann mich nicht beschweren, ich bin hier ganz zufrieden – wirklich."
Die gleiche Frage stelle ich auch Diana, der 30jährigen Kassiererin, die ich im Oblatenladen getroffen habe. Wie findet sie ihre Stadt? Diana wirkt ziemlich dynamisch und voller Energie, scherzt ständig mit ihren Kunden, lächelt – auf mich macht sie den Eindruck einer zufriedenen Frau. Ist das so?
Diana: "Das stimmt, Franzensbad ist eine eher ruhige und langsame Stadt. Aber es gibt viel Natur, man kann spazieren gehen. Alles ist grün, das finde ich total schön. Für Ausflüge oder Radfahren kann es nicht besser sein. Und dass hier keine Discos sind, das ist mir herzlich egal."
Denn die 30-jährige Diana hat ein anderes, großes Hobby, für das sie keine Disco braucht: Cyclocross. Durch den Wald zu fahren, über Steine und Wurzeln – das ist für sie wie im siebten Himmel zu sein. Für diese Leidenschaft hat sie sich auch ein spezielles Fahrrad gebastelt.
"Das ist für mich das richtige Adrenalin! Für andere ist das Bungee Jumping oder so etwas, aber ich bin wirklich ein grosser Cyclocross-Fan. Und ich weiß, ich bin nicht die einzige. In den letzten zehn oder 15 Jahren ist der Sport ganz groß geworden, und es gibt mittlerweile viele Leute, die das auch regelmässig machen. Die Bedingungen für Cyclocross sind hier toll, das Gelände ist dafür wunderbar."
Vielleicht ist Cyclocross nicht für jederman geeignet – zu ungewöhnlich, zu extrem –, aber auch für das normale Fahrradfahren ist die Gegend rund um die Badestädte im deutsch-tschechischen Grenzgebiet ideal. Fast jeder, den ich auf meiner Reise traf, hat dieses Hobby erwähnt. Viele neue Fahrradwege werden durch die Wälder gebaut oder saniert, so auch die Fahrradverbindungen zwischen den Städten in der Nähe der ehemaligen Staatsgrenze.
Die Region, in der es heutzutage wirtschaftlich nicht so boomt, könnte sich durch den Tourismus positiv weiterentwickeln. Und dabei könnte das Radfahren eine wichtige Rolle spielen – neben Erholung, Musik und Kultur, und vielen eine Zukunft bieten.

Weite Wege führten Menschen zum heilenden Wasser

Die Zeit in Bad Elster läuft so ruhig wie die Weisse Elster, die durch die Stadt fliesst. Die Badestadt liegt in einem Tal, und ist von allen Seiten von Wäldern und Wiesen umschlossen. Leute kommen seit Jahrhunderten hierher, um aus der Moritzquelle zu trinken.
Ihre Heileigenschaften sind "seit undenklichen Zeiten" bekannt – schrieb schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts Georg Leisner, ein Arzt aus der nahen Stadt Plauen. Menschen aus der weiten Umgebung gingen Kilometer zu Fuss, um sich das heilende Wasser nach Hause zu holen.
Im Gebäude, das um die Quelle herum gebaut wurde, ist es still. Leute sitzen herum und trinken das kalte Mineralwasser. Alles wirkt ruhig und ordentlich, jeder bewegt sich langsam.
Stefan Seitz: "Diese Ruhe und Entspannung zu finden, die in anderen Hotspots gar nicht gehen, weil das da ein ganz anderer Aufenthalt ist. Hier hat der Aufenthalt einen anderen Fokus, hier soll man ein bisschen runterfahren und selbst finden und den Geist auch ein bisschen entspannen, aber der entspannt sich nicht, wenn er tot ist, aber wenn er angeregt wird. Und das passiert hier."
Stefan Seitz arbeitet im König-Albert-Theater, das direkt gegenüber der Moritzquelle liegt. Er zog aus der Nachbarstadt Zeitz nach Bad Elster um.
"Das ist lustig, weil 1669 hat Moritz von Sachsen-Zeitz, der in Zeitz gelebt hat, die erste Quelle von Bad Elster untersuchen lassen – das zur damaligen Zeit zu Bad Elster gehörte. Dann hat das ganze Volk Bad Elsters erkannt, dass das eine medizinisch wertvolle Quelle ist. Von daher gibt es einen schönen Bezug zu meiner jetzigen Heimatstadt. Damals waren Zeitz noch Chefs von Bad Elster."
Dann reden wir auch noch über die Musik. Der etwa 30-jährige Stefan ist ein großer Fan – auch von der Kultur im Allgemeinen.
"Bad Elster versucht immer, etwas Besonderes zu haben, auch im Bereich Kultur, also immer neue Wege zu gehen, macht immer was anderes und hängt sich nicht einfach so dran, an normale Trends. Also, man wird lieber neue Trends setzen, das ist das wichtigste. Also natürlich haben viele Badeorte auch Festivals, aber Festivals, wie sie es in Bad Elster gibt, diese Breite der Angebote, das heißt von Jugend, Klassik bis auch Rock, Jazz, und großen Namen der Literatur – und diese Breite und diese Ganzjährigkeit, das ist in meinen Augen einzigartig, und für so einen kleinen Ort ist das Angebot immens."
Das König-Albert-Theater, in dem wir gerade sitzen, ist das letzte deutsche Hoftheater – eröffnet 1914. Es war die Zeit des Übergangs vom aristokratischen zum bürgerliche Volkstheater. Diese Übergangszeit zwischen der Aristokratie und dem Volk prägt das Theater bis heute. Das Interieur wirkt würdevoll: Dunkelrote Vorhänge kontrastieren mit schneeweißen Wänden, die mit goldenen und hellblauen Verzierungen dekoriert sind. Natürlich trifft man heute keinen Adel mehr, es ist eher ein Treffpunkt für die ganze Gesellschaft.
"Hier trifft sich eben Politik, Kultur, Gesellschaft und es ist ein bisschen so ein Ersatz wie Fußball zum Beispiel – 'Bist du auch nächste Woche wieder im Theater? Dann sehen wir uns da.' Es ist also ein Treffpunkt geworden, wo man sich aus der Region trifft, gemeinsam mit der Prominenz aus ganz Sachsen und Böhmen. Das ist das Schöne an dem Theater, dass das besondere Ausstrahlungskraft hat, weil sich hier verschiedene Zielgruppen immer treffen. Alle sind begeistert und das ist schön."
Sie ist schon seit Jahren eine Tradition in Franzensbad: Jeden Samstag im Sommer versammeln sich die Kurgäste sowie die Einheimischen in der Mitte der Kurstadt. Alle treffen sich um zehn Uhr früh beim Springbrunnen im Park, und dann spazieren sie langsam die paar hundert Meter zur Franzensquelle.
Majoretten in Franzensbad während der Hut-Promenade
Majoretten in Franzensbad während der Hut-Promenade© Deutschlandradio / Jana Safarokova

Mojortten - eine tschechische Spielart des Funkenmariechens

Eine Blaskapelle, die böhmische Volksmusik spielt, marschiert mit. Sie wird begleitet von den sogenannten "Majoretten", einer tschechischen Spielart des Funkenmariechen. Um sie herum haben sich einige hundert Leute versammelt. Alle hübsch gekleidet, manche mit Hüten – und diese geben dem Umzug auch seinen Namen: denn er heißt die "Hut-Promenade".
"Es gibt Majoretten, die eine Show für die Leute machen. Sie treffen sich regelmäßig, es ist ein so schöner Brauch."
Findet Pensionsbesitzerin Věra Jungová aus Franzensbad, die seit 40 Jahren hier lebt.
"Mit so einer 'Hut-Promenade' anzufangen, das war die Idee eines Patienten, der hier vor etwa 15 Jahren als Kurgast war. Er dachte, es wäre einfach schön, so etwas zu machen. Die anderen haben dann mitgemacht, es hat ihnen gefallen, und seitdem findet der Umzug regelmäßig jedes Jahr statt, hauptsächlich im August und September. Auch die Gäste, die im meiner Pension bleiben, interessieren sich dafür und fragen oft danach."
Am Vormittag ist die Stadt voller Leute, fast jeder ist hierher gekommen, um sich das Ganze anzuschauen. Ich frage einige von ihnen, was sie von solchen Umzügen halten.
"Ich bin hier zum ersten Mal, aber es gefällt mir."
"Ich habe es schon im letzten Jahr gesehen, als ich kurz hier war. Es hat mir wirklich gefallen, deswegen mache ich heute wieder mit."
"Ganz prima. Ich bin selber Mitglied eines Blasorchesters in Deutschland. Wir spielen auch Polka, Walzer, Schlager. Alles dasselbe, was auch das Orchester spielt."
Solche Umzüge sieht man in den tschechischen Großstädten fast nicht mehr. Hier aber passt es zu der Atmosphäre, es wirkt natürlich, und man macht irgendwie gerne mit. Auch für die, die hier ihre Ruhe suchen, ist das eine willkommene Abwechslung. Und die jungen Majoretten, manche von ihnen noch Kinder, sehen stolz aus: Die ganze Stadt ist hier, um sich ihre Kunst anzuschauen.
Mittlerweile sind wir an der Franzensquelle angekommen. Die Stimmung ist entspannt, alle Sorgen weit weg. Die Sonne scheint und das Wetter ist schließlich nach den letzten Regentagen wieder schön geworden. Um die Ecke findet eine Weinverkostung statt, dazu spielt eine mährische Kapelle. Jeder hält ein Glas Wein in der Hand – und dabei ist es erst elf Uhr Vormittag. Die 60jährige Vera schwelgt in Erinnerungen:
"Ich war 20 Jahre alt, als ich nach Franzensbad gezogen bin. Auch damals wurde hier ganz viel Volksmusik gespielt, die so typisch für die Badestädte ist. Und dazu Polka und Walz, die mein Mann so sehr mag. Man tanzte Wange an Wange, Hand auf dem Hintern. Ja, das waren die Sommerlieben, an die man so gerne zurückdenkt."
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