Baby Gammy

"Problem aus der Perspektive der Kinder betrachten"

Eine Schwangere hält die Hände vor ihren Bauch.
Die indische Leihmutter Arpita Christian hält am 06.05.2014 ihre Hände vor ihrem Babybauch. Sie ist im neunten Monat schwanger und trägt das Kind eines Paares aus den USA aus. © dpa / picture alliance / Doreen Fiedler
Claudia Wiesemann im Gespräch mit Jürgen König · 11.08.2014
Wenn das Bestellen von Kindern bei Leihmüttern unter Strafe gestellt würde, müssten das "ganz sicher die Kinder ausbaden", sagte die Ethik-Professorin Claudia Wiesemann. Es dürfe aber auch zu keiner Ausbeutung von Leihmüttern kommen. Sie sei aber selbst "ein wenig ratlos", wie man die Probleme rund um dieses Thema lösen könne.
Jürgen König: Das Haus des australischen Ehepaares David und Wendy Farnell wird seit Wochen von Journalisten belagert, das Interesse an ihm ist ein weltweites. Dabei ist das, was sie gemacht haben, vermutlich nicht wirklich etwas Einzigartiges: Sie haben sich ein Kind bestellt bei einer thailändischen Leihmutter, die aber brachte Zwillinge zur Welt. Die Tochter Piper nahmen David und Wendy Farnell mit nach Australien, den Sohn Gammy jedoch, der mit dem Down-Syndrom geboren worden war, - ihn überließen sie der Leihmutter und wurden dafür rund um den Globus heftig kritisiert. Gestern haben sich die Eltern im australischen Fernsehen zum ersten Mal dazu geäußert. Andreas Stummer berichtet aus Sydney.
Am Telefon begrüße ich jetzt Claudia Wiesemann. Sie ist Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Göttingen, und sie ist Mitglied im Deutschen Ethikrat. Guten Morgen, Frau Wiesemann!
Claudia Wiesemann: Guten Morgen, Herr König!
König: Wir haben eben David Farnell gehört, wie er sagte, hätten wir rechtzeitig vom Down-Syndrom erfahren, dann hätten wir auf Abtreibung bestanden. Frau Wiesemann, was sind das für Verträge, die Bestell-Eltern, wenn ich das so nennen darf, mit Vermittlungsagenturen schließen. Können sie darauf bestehen, nur gesunde Kinder annehmen zu müssen?
Wiesemann: Ganz offensichtlich ist das Teil von einer ganzen Reihe solcher Verträge, dass die Frau, die das Kind austrägt, Pränataldiagnostik mitmachen muss und auch akzeptieren muss, dass das Kind abgetrieben wird, wenn eine Behinderung vorliegt, die den zukünftigen Eltern, den Wunscheltern nicht passt. Meines Wissens werden aber durchaus auch Leihmutterschaften ohne solche expliziten Verträge abgeschlossen, und dann trifft es unter Umständen die Frauen überraschend.
Man weiß leider sehr wenig über die Situation von Frauen, die solche Leihmutterschaften übernehmen. Und das ist, glaube ich, ein Teil des Problems, über das wir hier diskutieren, dass ihre Situation - das, was sie durchmachen, wo sie Unterstützung bekommen, aber wo sie unter Umständen auch keine Unterstützung bekommen -, dass wir darüber viel zu wenig wissen.
"Das Problem der Identität für die Kinder"
König: Wenn Sie sagen, man weiß sehr wenig darüber, dann heißt das, dass es keine internationalen Abkommen gibt, die Leihmutterschaft in irgendeiner Weise regeln, und schon gar nicht solche Fälle wie den eben geschilderten?
Wiesemann: Also mir ist keines bekannt. Ich will es nicht ausschließen, dass das manche Länder doch gemacht haben. Es ist jedenfalls so, dass in Deutschland solche Verträge als nichtig angesehen werden, dass es auch schon durchaus ernsthafte Probleme gegeben hat. Es sollten Kinder, die in Indien per Leihmutterschaft zur Welt gekommen sind, nach Deutschland gebracht werden, und die haben dann hier keine deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, erst nach einem ganz langen Verhandlungsprozess.
Und da sieht man, dass man nicht nur die Leihmütter im Auge haben muss, sondern natürlich auch die Kinder und ihre Rechte. Nach Kinderrechtskonvention hat ein Kind ein Recht auf Eltern, auf Familie, ein Recht auf Staatsangehörigkeit, und man muss sich wirklich sorgen darum, ob dieses Recht auch angemessen umgesetzt wird.
Die thailändische Leihmutter Pattaramon Chanbua hält Gammy in ihren Armen.
Die thailändische Leihmutter Pattaramon Chanbua (l.) mit dem von ihr geborenen Baby Gammy.© AFP / NICOLAS ASFOURI
König: Ich habe mich gerade gefragt, welche Staatsangehörigkeit haben Kinder von Leihmüttern eigentlich? Das ist ja nicht so einfach.
Wiesemann: Das ist eben unklar in vielen Fällen, weil die Staatsangehörigkeit in den Ländern dieser Welt auch auf unterschiedliche Fakten gegründet wird. In Deutschland ist das Kind das Kind der Mutter, die es geboren hat, beispielsweise. Deswegen haben sich damals die deutschen Behörden darauf bezogen und haben gesagt: Das ist ein indisches Kind, das da geboren wurde, warum sollen wir einen deutschen Pass ausstellen? Genau aus dieser Inkongruenz, aus dieser Nichtvergleichbarkeit, aus diesen unterschiedlichen Ansätzen entsteht eben das Problem der Identität für die Kinder, der Zugehörigkeit – nicht nur der staatlichen, sondern eben auch der familiären Zugehörigkeit.
König: In Deutschland ist Leihmutterschaft verboten, aber es stehen nur die Vermittlung und die ärztliche Betreuung von Leihmutterschaft unter Strafe. Wer sich also ein Kind bestellt, macht sich nicht strafbar. Damit wird doch das Verbot über eine Hintertür umgangen?
Wiesemann: Ja, man kann es so sehen.
König: Ich meine, wenn man sieht, in Thailand, in Indien, in Israel, auch in einigen Bundesstaaten der USA sind Leihmutterschaften legal. Wenn man sieht, dass Kinder ausländischer Leihmütter relativ unkompliziert die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen können, ausländische Vermittlungsagenturen werben ziemlich offensiv mit ihren guten Kontakten zu deutschen Botschaften – also dieses deutsche Verbot ist doch ein halbherziges.
Wiesemann: Ja, Sie haben recht. Wir haben bislang über die negativen Aspekte der Leihmutterschaft gesprochen. Das Vertrackte an dieser Situation ist, es hat natürlich auch sehr positive Seiten. Es ist schön, wenn Menschen mit Kindern leben wollen. Und ich persönlich bin auch der Ansicht, dass beispielsweise homosexuelle Eltern, dass, wenn die einen Kinderwunsch haben, dass man etwas dafür tun sollte, dass dieser Wunsch erfüllt wird, weil ich es grundsätzlich sehr begrüße, dass wir Menschen in unserer Gesellschaft haben, die diese Leistung erbringen wollen. Man tut sich schwer, die richtigen Worte dafür zu finden. Es ist eine Kombination aus einer Tätigkeit aus Liebe, aber durchaus auch ein großer Kraftakt.
"Ein ganzes Bündel an Fragen und Problemen"
König: Aber, darf ich kurz unterbrechen – diese Schwierigkeit, Worte dafür zu finden, von der Sie sprechen, verweist sie nicht schon auch auf das Problematische des ganzen Vorgangs?
Wiesemann: Absolut! Und Sie sehen mich selbst auch ein bisschen ratlos, wie man den vielen Problemen, die dabei auftauchen, Herr werden kann - und dabei gleichzeitig aber auch nicht vergessen sollte, dass wir den Wunsch per se nicht verteufeln sollen, eine Familie zu gründen.
König: Na gut, dagegen ist ja auch nichts zu sagen, aber es ist eben die Frage, wie man das macht. Hubert Hüppe, Gesundheitspolitiker der CDU, verlangt, auch das Bestellen von Kindern unter Strafe zu stellen. Darin würden Sie ihm nicht folgen?
Wiesemann: Am Ende muss man sich fragen, wen trifft das dann. Denn das werden ganz sicher die Kinder ausbaden müssen. Die Eltern zu bestrafen und ihnen das Kind zu lassen, das wird ja Herr Hüppe nicht bezwecken wollen. Wo endet ein solches Kind dann aber? Das wird endgültig in irgendeinem völlig rechtsfreien Limbo enden. Wir müssen das Problem aus der Perspektive der Kinder betrachten und alles dafür tun, dass in ihrem Interesse das Beste gefunden wird und dass dabei es nicht zu einer Ausbeutung, ja vielleicht sogar Versklavung von Leihmüttern kommt.
Israel versucht einen anderen Weg zu gehen, indem es beispielsweise in seinem eigenen Land die Tatsache, dass man für jemand anders ein Kind austrägt, als sehr positiv bewertet. Es ist ja ein Land, das eine starke Bevölkerungspolitik macht, das es sehr wertschätzt, wenn Kinder geboren werden. Und dann auch sehr klare Verträge macht. Ich kenne die Details in diesem Fall auch nicht, auch da müsste man sicher noch mal genau hinschauen, sind das Verträge, die fair mit den Leihmüttern umgehen, und ist dann auch für die Kinder immer ganz genau klar, zu wem gehöre ich. Dürfen die ihre eigene Abstammung – kennen sie ihre eigene Abstammung?
In Israel ist es, glaube ich, so, dass die Wunscheltern auch die genetischen Eltern sein müssen. Da ist das klar. In anderen Ländern ist das unter Umständen nicht klar. Ein Kind hat aber ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Ein ganzes Bündel an Fragen und Problemen, die damit verbunden sind. Mit einem simplen Verbot befriedigt man vielleicht ein paar Menschen in der Öffentlichkeit, aber ich glaube nicht, dass das die Komplexität der Lage einfacher macht oder löst.
König: Claudia Wiesemann, die Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Göttingen und Mitglied des Deutschen Ethikrats. Frau Wiesemann, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Wiesemann: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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