Jutta Voigt über die Boheme des Ostens

Die DDR war nicht eintönig

Die Journalistin und Autorin Jutta Voigt beim 20. Literaturfestival des Vereins Erfurter Herbstlese 2016 mit ihrem Buch "Stierblutjahre. Die Boheme des Ostens".
Die Journalistin und Autorin Jutta Voigt beim 20. Literaturfestival des Vereins Erfurter Herbstlese 2016 mit ihrem Buch "Stierblutjahre. Die Boheme des Ostens". © imago stock&people
Moderation: Britta Bürger  · 24.01.2017
Die Journalistin Jutta Voigt zeigt in ihrem Buch "Stierblutjahre - Die Boheme des Ostens", dass die DDR nicht nur grau war. Sie war selbst einst Teil des wilden freien Künstlerlebens in Ostberlin.

Jutta Voigt liest aus "Stierblutjahre" (2:29 min.):
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Boheme – das ist kein Begriff, den man mit DDR verbindet. Und doch: Es gab sie. In ihrem Buch "Stierblutjahre" erinnert die Journalistin und Schriftstellerin Jutta Voigt an eine untergegangene Zeit, die sich vor allem mit dem Prenzlauer Berg in Ostberlin verbindet.
Unter anderem weil das Leben in der DDR-Zeit so billig gewesen sei, hätten es sich viele Künstler leisten können "in den Tag hinein zu leben" und viele Stunden am Tag in den einschlägigen Cafés zu verbringen, sagte Jutta Voigt im Deutschlandradio Kultur. Für sie sei die Szene eine Art Rettungsanker im Alltag der DDR gewesen.
"Dieser Fluchtpunkt Bohème – ich hatte ja einen Ausgleich – ich bin in jeder Vorlesungspause ins Pressecafé gerannt, um normale Menschen zu sehen."

"Es erinnerte mich an so Gerüche am Morgen nach dem Krieg"

Die heute 75-Jährige war zu DDR-Zeiten Reporterin und Filmkritikerin der Wochenzeitung "Sonntag". Sie habe immer zeigen wollen, dass die DDR nicht nur grau und eintönig war. Ihre preisgekrönten Reportagen hat sie mit viel Empathie und Detailbeobachtung geschrieben. Ihr ganzes Leben hat sie am Prenzlauer Berg gewohnt.
"Also ich war immer dankbar. Ich fand auch nicht schlimm, dass der so grau war und so unsaniert, und so halbe Trümmer hatte. Und ich auch in einer Wohnung lebte, wo der Putz dann von der Decke fiel. Also das fand ich ziemlich normal, es erinnerte mich immer an das Ende des Krieges und so Gerüche am Morgen nach dem Krieg oder wie man das sah. Das waren eben Gerüche, die mir ein Leben lang Geborgenheit gegeben haben."

Suche nach dem Sinn der Mauer

Da sie zunächst eine überzeugte Bürgerin der DDR gewesen sei, habe sie am Anfang sogar geglaubt, dass der Bau der Mauer einen Sinn habe. Ihre Hoffnungen hätten sich allerdings schnell zerschlagen.
"Ich dachte damals: Jetzt kann man den Sozialismus ungestört aufbauen, ungestört von zu viel Propaganda oder Leerkauf von Ostlebensmitteln, die wirklich billig waren. Ich sah, dass die Rechnungen für Westler im Pressecafé ganz niedrig waren. Die haben ja fünf Flaschen Rotkäppchen getrunken und haben dafür – ich weiß jetzt nicht mehr – vielleicht 10 Mark bezahlt oder so, ich will es nicht beschwören. Also ich dachte das wird alles besser, und ich dachte die Mauer bleibt höchstens vier Jahre oder so. Und es hat sich alles ganz anders entwickelt, anders dargestellt, und dann habe ich die Mauer natürlich auch als ein Schrecken empfunden, aber ich habe den Schrecken verdrängt."
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