Autonomiekämpfer, Demokratieerzieher, frühe Europäer

12.07.2010
Die drei Bände beschäftigen sich mit weitaus mehr als der Darstellung der Medien im Saarland. Sie erzählen von der Nachkriegszeit in dem kleinen Bundesland, von Machtverhältnissen und Lebenswelten und zeigen, wie Pressepolitik auf das Selbstverständnis einer Region einwirkt.
Warum, um alles in der Welt, soll man sich mit der Medienlandschaft des Saarlandes befassen? Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Buch über einen Spezial-Gegenstand in einer randständigen Region, ist bei näherer Betrachtung weit mehr als ein Kompendium für Medien-Freaks und Landeskundler: "Medienlandschaft Saar" erzählt sehr viel über die Nachkriegszeit im Saarland, über Machtverhältnisse und Lebenswelten, über Selbstverständnis der von 1945 bis 1956 autonomen Saarländer – und auch über das spezielle Verhältnis von Politik und Presse: der saarländische Ministerpräsident Johannes Hoffmann (1947-1955) war Journalist. Die Untersuchungen illustrieren, welche Funktionszuweisungen die Presse in einer Region erfährt, die vom französischen Gouvernement als "Keimzelle Europas" konzipiert wurde und durch Presse-Erzeugnisse bewusst auf Demokratie und französische Lebensart getrimmt werden sollte. Vorbildcharakter hat das Buch dadurch, dass es die erste mediengeschichtliche Gesamtdarstellung für ein Bundesland ist.

Die Fülle der Themen und Zugänge sei beispielhaft illustriert an drei Untersuchungen: Natalie Pohl stellt unter der Dachmarke "Demokratisierung im inneren Widerspruch" die französische und saarländische Printmedienpolitik der Jahre 1945 bis 1955 dar – und kommt zu überraschenden Ergebnissen: Wurde die Pressepolitik unter dem Einfluss des französischen Militärgouverneurs bisher als sehr restriktiv und kontrollbetont dargestellt, so widerlegt die Autorin das Bild vom Militärgouvernement als Zensor mit harter Hand.

Die französischen Stellen förderten ausdrücklich die Gründung von Parteizeitungen, um die Überparteilichkeit der unabhängigen Neugründung "Neue Saarbrücker Zeitung" sicherzustellen – das Saarland war Vorreiter mit Parteizeitungen der CVP, der Kommunisten, der Sozialdemokraten sowie der Bewegung, die das Saarland politisch an Frankreich anschließen wollte. Mit "Charme" erschien eine der ersten Frauenzeitschriften der Nachkriegszeit – eine Publikation, die durch Themenauswahl und Berichtstendenz das Interesse der Saarländerinnen an französischer Kultur und Politik wecken sollte.

Alexander König geht in seinem Beitrag "Die Saarproblematik in der Berichterstattung der Saarbrücker Zeitung 1947 – 1955" auf die Darstellung der politischen Kräfte ein, die im Saarland mal verdeckt, mal offen wirkten: Autonomie-Kämpfer, Demokratie-Erzieher, Vertreter französischer Staatsideale, frühe Europäer und Streiter für die Angliederung des Saarlandes an Deutschland. Anhand der Berichterstattung über die Feierlichkeiten zum französischen Nationalfeiertag, der auf Wunsch der französischen Militärregierung zum "Symbol für die Europäische Einigung" umgerubelt wurde, lässt ahnen, welch divergenten Kräften und Interessen das kleine Land, das einmal mehr zwischen Frankreich und Deutschland stand, ausgesetzt war.

Die Berichterstattung über einen besonderen Aspekt der saarländischen Wirtschaftsgeschichte steht im Mittelpunkt von Judith Hayers Untersuchung: Sie beleuchtet die Wahrnehmung italienischer Gastarbeiter in der saarländischen Presse von den 1950er bis in die 1970er Jahre. Sie kategorisiert die Berichterstattung und ergründet, warum der Großteil der Artikel die "Interaktion der Gastarbeiter mit der saarländischen / deutschen Gesellschaft" abbildet und wie die Gastarbeiter mal als "fremde Südländer", mal als "italienische Saarländer" beschrieben werden. Erschreckend die Illustration der Untersuchung mit Fotos: ein Aushang an einem Gasthaus kündet noch 1956: "Eintritt für Italiener verboten".

Die zeitgenössische Medienlandschaft wird mit ausführlichen Analysen zur Programmpolitik des Saarländischen Rundfunks und zum Themen-Portfolio der "Saarbrücker Zeitung" abgebildet.

Das Buch ist deshalb so interessant, weil es in aller Ausführlichkeit und mit den unterschiedlichsten Zugängen zeigt, wie Pressepolitik und publizistisches Wirken auf das Selbstverständnis, aber auch auf das Lebensgefühl einer Region einwirken – einer Region, die noch bis weit in die Nachkriegszeit hinein ein Spielball zwischen den benachbarten Mächten Deutschland und Frankreich war. Das Buch ist interessant, weil es illustriert, wie viel Pressevielfalt in einem Land existieren kann, das von zwei Monopolisten bedient wird: der "Saarbrücker Zeitung" und dem Saarländischen Rundfunk. Und es interessant zu sehen, welches Selbstverständnis Medien entwickeln in einer Region, in der jeder jeden kennt – oder zu kennen glaubt.

Besprochen von Holger Hettinger

Clemens Zimmermann, Rainer Hudemann, Michael Kuderna (Hg.): Medienlandschaft Saar. Von 1945 bis in die Gegenwart
Oldenbourg Verlag, München 2010
3 Bände, 1547 Seiten, 49,80 Euro