Autobiografisches

Christa Wolf und Hans Magnus Enzensberger in der Sowjetunion

Parade der Werktätigen auf dem Roten Platz in Moskau am 01.05.1975. Im Hintergrund links das Staatliche Historische Museum und davor das Lenin Mausoleum.
Parade der Werktätigen 1975 auf dem Roten Platz in Moskau - sowohl Christa Wolf als auch Hans Magnus Enzensberger schrieben über die scheinbar ferne Sowjetunion. © picture alliance / Tass
Von Sergej Lochthofen · 21.02.2015
Er ist frei, sie nicht - das sollte man bedenken bei den "Moskauer Tagebüchern" von Christa Wolf sowie den Schilderungen Hans Magnus Enzensbergers seiner Besuche der Sowjetunion in "Tumult". Sie beschreiben ein fernes Land vor dem Hintergrund eines geteilten Deutschlands.
Dieselbe Zeit, dasselbe Land, zwei völlig unterschiedliche Sichten auf die Welt:
Cover Christa Wolf "Moskauer Tagebücher. Wer wir sind und wer wir waren"
Cover Christa Wolf "Moskauer Tagebücher. Wer wir sind und wer wir waren"© Suhrkamp
Da, die sich vorsichtig und unsicher an die Widersprüche der sozialistischen Realitäten herantastende junge Schriftstellerin aus dem Osten, immer auf der Hut vor sich selbst;
dort, der noch weitgehend unbekannte Nachwuchsautor aus dem Westen, der verwundert und manchmal fast selbstgefällig zur Kenntnis nimmt, wie ihn gleichermaßen sowjetische Literaturgranden und Partei-Apparatschiki ob seiner westlichen Herkunft umwerben.
Obwohl Christa Wolfs Tagebücher der Reisen in die Sowjetunion offensichtlich nie für die Veröffentlichung vorgesehen waren, ihnen also jegliche Art von Selbstinszenierung abgeht – wie wir sie von Thomas Mann oder dem ihre Wege gelegentlich kreuzenden Max Frisch kennen – geben sie einen tiefen Einblick in die Zerrissenheit jener Zeit und das fast naive Hoffen der Autorin, alles was ihr begegnet, das Schlechte wie das Gute, mögen zu einem positiven Ende finden.
Klare Worte dort, Andeutungen hier
Hans Magnus Enzensberger, den Autor aus dem Westen plagen derlei Zweifel nicht. Was beim Lesen beider Texte sofort auffällt: Er hat keine Angst vor seinen eigenen Gedanken. Er nimmt mit, was ihm gefällt, und wenn es eine Frau ist, und stößt ab, was er falsch und verlogen findet. In Moskau, in Leningrad, aber auch daheim.
Cover Hans Magnus Enzensberger "Tumult"
Cover Hans Magnus Enzensberger "Tumult"© Surhkamp
Sie, weiß nur zu gut, ein falsches Wort, egal in welcher Form von ihr zu Papier gebracht, kann das Ende ihrer Laufbahn bedeuten. Die doch gerade erst begonnen hat. So bleibt vieles Andeutung, wer noch immer gerne "zwischen den Zeilen liest", ist hier genau richtig.
Sowohl Christa Wolf als auch Hans Magnus Enzensberger schreiben scheinbar über ein fernes Land, und doch beschreiben sie immer wieder nur die Wirklichkeit des geteilten Deutschlands. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Autoren: Er ist frei, sie nicht.

Christa Wolf: Moskauer Tagebücher. Wer wir sind und wer wir waren
Herausgegeben von Gerhard Wolf
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014
266 Seiten, 22,95 Euro, auch als ebook

Hans Magnus Enzensberger: Tumult
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014
287 Seiten, 21,95 Euro, auch als ebook

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