Autobiografischer Roman

Eine lohnende Wiederentdeckung

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Porträt des deutschen Schriftstellers Hans Fallada (1893-1947). © picture alliance / dpa
Von Wolfgang Schneider · 16.05.2014
Seit einigen Jahren gibt es eine erstaunliche Hans Fallada-Renaissance. Sie begann mit der Wiederentdeckung von "Jeder stirbt für sich allein" in England und den USA. In vielen weiteren Ländern wurde das Buch über den Widerstand der "kleinen Leute" im Nationalsozialismus mit über 60-jähriger Verspätung zum Bestseller. Jetzt kommt sein autobiografischer Roman "Der Alpdruck".
Hans Fallada war in der späten Weimarer Republik ein gefeierter Autor, mit sozialkritischen Romanen wie "Kleiner Mann, was nun?". Doch zunehmend war sein Leben geprägt von politischen Schwierigkeiten, Eheproblemen, Alkohol- und Drogensucht, Aufenthalten in der Nervenklinik. Nach Kriegsende schrieb er in rauschhafter Eile noch zwei Romane: "Jeder stirbt für sich allein", jenes Werk, das jüngst zum Weltbestseller wurde und die Fallada-Renaissance einleitete. Und den autobiografischen Roman "Der Alpdruck".
"Er lag am Fuße eines ungeheuren Bombentrichters, auf dem Rücken, die Arme fest an die Seiten gepresst, im nassen gelben Lehm."
Kein großer Erfolg
Dieser Alptraum sucht Doktor Doll allnächtlich heim. Er ist nicht weit entfernt von der grausigen Wirklichkeit des Jahres 1945. "Der Alpdruck" erschien wenige Monate nach dem Herztod Falladas im Jahr 1947. Kein großer Erfolg; die Menschen wollten nicht von dem Elend lesen, dem sie gerade verzweifelt zu entrinnen versuchten. Dass viele die Hitler-Jahre schon wieder verklärten, davon singt dieser Roman ein bitteres Lied.
Die ersten Kapitel spielen kurz vor der totalen Niederlage. Der Schriftsteller Doll hat sich mit seiner jungen Frau aus den Bombengewittern Berlins in eine mecklenburgische Kleinstadt zurückgezogen. Die beiden gehören zu jenen, die das Nazi-Regime verachten – und die Russen als Befreier verstehen. Als die ersten Sowjet-Soldaten in den Keller steigen, tritt Doll ihnen mit geballter Sozialistenfaust und einem russischen Willkommensgruß entgegen. Doch die Faust sinkt, sein Lächeln weicht der Scham über den plumpen Anbiederungsversuch.
Verdrossenheit über das Kriechertum der Nazis
Trotzdem wird der Schriftsteller nach einer politisch-moralischen Mahnrede, die bei den Mitbürgern allerdings eher für Verstimmung sorgt, von den Besatzern für einige Zeit zum Bürgermeister des Kleinstädtchens gemacht. Das Amt reibt ihn nur weiter auf, verstärkt seine düstere Stimmung, seine Verdrossenheit über das Kriechertum der vielen kleinen Nazis und Kriegsprofiteure. In der dramatischsten Szene des Romans verpasst Doll einem alten Tierarzt wegen übler Nachrede eine leichte Ohrfeige, worauf der Mann zu weinen beginnt, dass ihm die Tränen über sein "Nussknackergesicht" laufen. Damit hat sich Doll am Ort unmöglich gemacht.
Im Sommer 1945 kehrt er ins kaputte Berlin zurück. Not, Trümmer, Verzweiflung sind die Leitmotive der Berlin-Passagen; es wird der vielen Frauen gedacht, die nicht wissen, was aus ihren vermissten Söhnen und Ehemännern geworden ist. Die Dolls versinken in Depression und Drogen. Unter den Ärzten, die ihnen Morphium verschaffen, ist einer, hinter dem der Arzt und Dichter Gottfried Benn zu erkennen ist.
Nach einigen Zusammenbrüchen und Entziehungskuren bekommt Doll schließlich kräftige Ermutigungen von einem charismatischen Publizisten, der dem späteren DDR-Kulturminister Johannes R. Becher nachgebildet ist. Der "Alpdruck" weicht. Auch wenn der Roman kein Hauptwerk Falladas ist, überzeugt er durch die prägnanten Stimmungsbilder der unmittelbaren Nachkriegszeit – eine lohnende Wiederentdeckung.

Hans Fallada: Der Alpdruck
Roman
Aufbau Verlag, Berlin 2014
285 Seiten, 19,99 Euro

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