Autobiografie

Ringen mit der Liebe

Ein Brautpaar posiert für Hochzeitsfotos im Hafen von Ushuaia auf Feuerland
Für Priester tabu: die Ehe - Brautpaar posiert für ein Hochzeitsfoto. © dpa / picture alliance / Jan Woitas
Von Michael Hollenbach · 07.12.2014
Der Wiener Religionssoziologe Paul Zulehner ist die liberale Stimme der katholischen Kirche. In seiner Autobiografie erzählt der 75-jährige Theologe von der schmerzhaften Entscheidung gegen die Liebe zu einer Frau und für das Priesteramt.
Man kennt Paul Zulehner als einen scharfsinnigen Analytiker, als einen akribisch arbeitenden Pastoraltheologen, der immer wieder versucht, mit seinen wissenschaftlichen Studien seiner Kirche neue Wege aus der Krise zu weisen. In dem Buch "Mitgift" lernt der Leser aber auch einen Menschen kennen, der an einem Scheideweg gestanden hat. Denn Zulehner ist nicht nur Wissenschaftler, sondern auch ein zölibatär lebender Priester. Er spricht offen darüber, dass er während seiner Arbeit viele interessante Frauen kennengelernt habe:
"Es lässt sich ja unter den heutigen Bedingungen nicht mehr verhindern, wenn du mit jemanden arbeitest, ganz intensive Kontakte hast, dass da zwischen den Menschen auf der existenziellen Ebene ein Gleichklang entstehen kann. Und wenn man unter den heutigen Bedingungen sagt, das ist ganzheitlich, das ist nicht nur platonisch, das sind Menschen mit Fleisch und Blut, (...) dann spürst du dann als einer, der ehelos angetreten ist, dass da eine Freundschaft, eine Liebe wächst, die sich immer mehr in Richtung Partnerschaft entwickelt. (...) Und da denkst du zunächst gar nicht dran, sondern erlebst nur diese Freude der Begegnung. Und man sagt ja auch, dass man auf einer anderen Wolke lebt. Ich kann das für mich nur sagen: Ich habe das als Zeiten der intensiven Lebendigkeit erlebt, mit viel mehr Lebensfreude und Lebensdynamik, und dann kommt man zu dem Punkt, das man sagt: Was mache ich jetzt in meiner Kirche mit dieser meiner Liebe als eheloser Priester."
Paul Zulehner erzählt, dass er damals auch überlegt habe, eine klandestine, eine heimliche Priesterehe zu führen. Aber: Er entschloss sich schließlich dagegen:
"Das halte ich für schlecht für alle Beteiligten, obwohl ich weiß, es gibt viele, obwohl ich weiß, dass viele Gemeinden es dulden, vor allem jene Gemeinden, die sagen: Sonst würden wir den Pfarrer auch noch verlieren, die nehmen das in Kauf."
Für ihn stellt sich aber in einer heimlichen Priesterehe, wie sie viele Geistliche führen, ein doppeltes Problem:
"Erstmal wenn man jemanden wirklich existenziell liebt, dann will man sich mit dieser Person öffentlich sehen lassen. (...) ich kann nicht in der Kirche auftreten und sagen: das ist meine geliebte Frau. (...) und das zweite, was ich für sehr fragwürdig halte: Mir ist aufgefallen, dass in diesen klandestinen Priesterehen eine Spaltung in der Sexualität passiert. Man spaltet die generative Seite der Sexualität ab, weil für Kinder ist in einer klandestinen Priesterehe kein Lebensraum."
Entscheidung gegen die Liebe
Paul Zulehner hat lange überlegt, ob er sein Priesteramt aufgibt. Letztlich hat er sich gegen die Partnerschaft und für seine Kirche entschieden. Ein Entschluss, der schmerzhaft war – nicht nur wegen der Liebe zu der Frau:
"Ich hätte jetzt gern Kinder und fühle da eine Wunde ein meinem Leben. Ich verstehe zunehmend die afrikanische Kultur: In Afrika meint man, man würde nur weiterleben in den Kindern. Das ist ein Körnchen Wahrheit dran. Das ist tiefe Kultur, dass man das Leben sieht, wie es weitergeht, wenn es in Kindern weitergeht."
Von der katholischen Kirche und vor allem von Papst Franziskus erhofft sich der Wiener Pastoraltheologe, dass der Vatikan sich vom Zwangszölibat verabschiedet und den Priestern mehr Freiheiten eröffnet.
Zulehner setzt insgesamt große Hoffnungen auf den Papst aus Argentinien, wobei er kritisch anmerkt, dass Franziskus gerade bei den Bischofsernennungen sich gegen konservative Machtpolitiker im Vatikan durchsetzen müsse. Der Österreicher hofft auf eine Demokratisierung bei der Berufung der Bischöfe:
"Es braucht mehr Partizipation der Betroffenen. Und von einer Bischofsernennung ist als erste betroffen die Diözese. Also muss man zusehen, wie man Formen findet, dass in den Diözesen die Suche nach den Kandidaten anders aussieht als bisher. Ich bin ja – was Köln zum Beispiel betrifft – auch nicht glücklich, wenn nur das Domkapitel die Kandidaten bestimmt. Es gibt Laienräte, es gibt Räte der pastoralen Mitarbeiter, es gibt Räte der Priester, es gibt engagierte politische Laien, warum können die nicht in einem großen Hearing sagen: das sind unsere Leute, schaut euch die gut an."
Papst Franziskus als Motivator für Überzeugungschristen
Gerade die Berufung unfähiger Bischöfe führe dazu, dass sich engagierte Katholiken von ihrer Kirche abwenden würden.
"Wenn es keine Synergien zwischen der Leitung und den Engagierten gibt, dann droht eine innere Kündigung der besten Leute, und es gibt keine größere Schwächung einer Organisation, als wenn das Personal nach innen wegkündigt."
Das sei aber fatal für eine Kirche, die in Deutschland wie in Österreich längst keine Volkskirche mehr sei, sondern bestenfalls eine Kirche im Volk. Dennoch sei das kein Grund zur Klage, denn die Kirchen verfügten nach wie vor über mehr hochmotivierte Menschen als jede andere Organisation. Allerdings:
"Sie braucht dann natürlich nicht Erbchristen, sondern Überzeugungschristen."
Als einen Motivator für diese Überzeugungschristen sieht Paul Zulehner Papst Franziskus. Von ihm verspricht er sich eine Abkehr vom römischen Zentralismus, eine Demokratisierung und Stärkung der Basis in den Ortskirchen und eine Liberalisierung in dogmatischen Fragen.
"Ich wünsche, dass ihn keiner umbringt: weder von der Mafia noch irgendein katholischer Fanatiker, dann habe ich große Hoffnung, dass die Kirche endlich ihre Geburt in diese moderne Welt nach einer unendlich langen Risikoschwangerschaft zu Ende bringt und wirklich zur Welt kommt."

Paul Zulehner: "Mitgift. Autobiographisches anderer Art"
Patmos-Verlag, Ostfildern 2014
176 Seiten, 19,99 Euro

Mehr zum Thema