Auswahl journalistischer Juwelen

18.07.2008
Scharfsinnige Analysen, kompromisslose Suche nach der Wahrheit und ein breites Spektrum von Meinungen - das bot die Wochenzeitschrift "Weltbühne" in der Weimarer Republik. Um auch den heutigen Lesern einen Geschmack von diesem Journalismus der Spitzenklasse zu bieten, hat der Lukas Verlag nun ein Lesebuch mit besonders gelungenen Fundstücken herausgebracht.
Die "Weltbühne" begann im Jahr 1905 als "Schaubühne". Herausgeber war Siegfried Jacobsohn. Der Theaterkritiker wollte mit seinem Wochenblatt im Westentaschenformat" das Theater wieder zur Würde eines Kunstinstituts erheben".

Bald schon erkannte er, dass dies nicht ausreichte und nahm Gesellschaftskritik und politische Debatte in den Themenkanon auf, und nach dem Ersten Weltkrieg machte Jacobsohn unter wesentlichem Einfluss des jungen politischen Feuerkopfes Kurt Tucholsky aus der "Schaubühne" die "Weltbühne". Sie wurde ein munteres Debattenorgan, deckte Skandale auf und wies früh auf die vom Nationalsozialismus ausgehende Gefahr hin.

Seit dreißig Jahren gibt es eine vollständig reproduzierte Ausgabe der 29 Jahrgänge der "Weltbühne". Zur Auswahl für das Lesebuch Stefanie Oswalt, die mit einer Arbeit über Siegfried Jacobsohn promoviert wurde, Mitherausgeberin des Bandes:

"Ich hab mich ja schon sehr lange mit der 'Weltbühne' beschäftigt und hatte immer das Gefühl, dass in diesen unglaublichen 48.000 Seiten doch einige Juwelen versteckt sind, die man aber nie findet, weil kein Mensch sich ein tausendseitiges Buch vornimmt, um dann einen zweiseitigen interessanten Artikel da drin zu finden. Und also war immer schon meine Sehnsucht, mal diese wichtigen Artikel rauszusuchen, unterhaltsame auch unterschiedlicher Genres und die thematisch geordnet zu publizieren. Und das fand der Verlag auch überzeugend, das Konzept."

Die Auswahl umfasst Kapitel zu den wichtigsten Schwerpunkten der "Weltbühne": Militarismus, Innen- und Außenpolitik, Wirtschaft, Gesellschaft, Pressefreiheit, Judentum und Nationalsozialismus.

"Wir waren total verblüfft, Texte zu finden, die also über die Probleme der Globalisierung schon vor fast hundert Jahren irgendwie reflektieren, die über Probleme der Massenarbeitslosigkeit reflektieren, über Niedriglöhne und dergleichen mehr. Hatten wir so nicht erwartet. Dann gibt es Texte im Politikteil zum Beispiel, wo es um die Frage der Einigkeit der Linken geht. Also: Müssen sich Kommunisten und Sozialisten irgendwie gegenseitig das Wasser abgraben?

Finde ich auch äußerst verblüffend, wenn man jetzt das Radio andreht, kann man sofort zum gleichen Thema was hören. Ähnliches aber auch in so einem Thema wie Gesellschaftspolitik, wo es dann irgendwie geht um die Frage der Schulreform. Also, wie modernisiert man das Bildungswesen? Da gibt es einen Herrn Fritz Karsen, der Schulreformer war 1920, der damals Modelle vorgelegt hat, die werden heute diskutiert nach Pisa."

Fritz Karsen, nach dem heute Schulgebäude und Straßen benannt sind, entwickelte im preußischen Kulturministerium die Gemeinschaftsschule. Sein Ideal:

Die gegenseitige Kontrolle und das gegenseitige Helfen hebt die Schule auf ein höheres Niveau, als irgendeine autoritative Aufsicht es tun könnte.

"Man liest über den Raubstaat Liechtenstein. Den Text haben wir gefunden, gerade als wir über Liechtenstein, diese ganzen Bankenskandale irgendwie gehört haben. Das ist Unsinn zu sagen, das ist jetzt eins zu eins wie in der Weimarer Zeit, aber es ist doch interessant, wie viele dieser Probleme damals in einer ähnlichen Form existiert haben."

Rudolf Augstein argumentierte vor dreißig Jahren anlässlich der Reprint-Ausgabe der ziegelroten Hefte in seinem "Sturmgeschütz der Demokratie" namens "Spiegel", die Radikalopponenten um Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky hätten sich mitschuldig gemacht am Untergang der Republik. Stefanie Oswalt:

"Man kann vielleicht argumentieren, dass sie doch sehr leidenschaftlich oft waren, und auch in dieser ganzen Leidenschaft die ja auch teilweise positiven Errungenschaften der Republik nicht genug gewürdigt haben, aber die These, dass sie beigetragen haben zum Untergang, die scheint mir nicht plausibel. Und ich denke, die Texte in dem Buch widerlegen das auch. Es gibt ja auch eine ganze Menge Texte, die eben auch die positiven Entwicklungen darstellen."

Zu den negativen Entwicklungen gehörten das zähe Festhalten von Behörden an obrigkeitsstaatlichen Ritualen und die Gleichgültigkeit der Justiz gegenüber rechtsradikalen Tendenzen, um nur zwei Beispiele zu nennen, zu denen Texte in diesem Füllhorn brillanten Journalismus zu finden sind.

"Für uns eine Entdeckung: Leo Lania oder Heinz Pol, Leute, die Nationalsozialismus-Analysen geschrieben haben. Wir haben auch versucht, die Frauen mal zu Wort kommen zu lassen, die normalerweise auch völlig untergehen. Also es kommt Hilde Walter vor, mit einem Text über Judentum, Gabriele Tergit, auch Martha Maria Gehrke, allerdings Hans Glenk, glaube ich, war ihr Pseudonym. Auch Edith Schiffer, die Frau von Siegfried Jacobsohn, die mit einem - wie ich finde - sehr interessanten Text über Erziehungsfragen vertreten ist."

Es sind also Entdeckungen zu machen in diesem sorgfältig edierten Buch. "Weltbühnen"-Autoren sind zwar in Gesamtausgaben vorhanden, Tucholsky, Ossietzky, Kästner etwa, dort aber fehlt das Umfeld. In diesem "politischen Lesebuch" finden sich diese Bezüge wenigstens ansatzweise. Wer wissen möchte, was zu einer Republik gehört, wird hier reichhaltiges Material finden.

Rezensiert von Jens Brüning

Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt (Hg.): Aus Teutschland Deutschland machen. Ein politisches Lesebuch zur 'Weltbühne'
Mit einem Vorwort von Heribert Prantl
Lukas Verlag, Berlin 2008
540 Seiten, 29,80 Euro