Australien 20 Jahre nach Port Arthur

"Es kommen zu viele illegale Waffen ins Land"

Tausende Menschen demonstrieren in Melbourne gegen die Verschärfung der Waffengesetze Australiens nach dem Amoklauf in Port Artur im Jahr 1996.
Tausende Menschen demonstrieren in Melbourne gegen die Verschärfung der Waffengesetze Australiens nach dem Amoklauf in Port Artur im Jahr 1996. © picture-alliance / dpa / afp / William West
Andreas Stummer im Gespräch mit Isabella Kolar · 26.02.2015
Nach dem Amoklauf von Port Arthur im Jahr 1996 mit 35 Toten verschärfte die Regierung Australiens die Waffengesetze radikal. Der Schock-Effekt des Massakers habe sich inzwischen aber abgeschwächt, sagt Andreas Stummer.
O-Ton: Please don't extinguish the memory of the victims of Port Arthur! Light a candle on the 28th of April!
O-Ton William Deane: Australia itself was a victim and that what had happened was an affront to our people as a whole. Hopes unfulfilled, lives unlived.
Isabella Kolar: Australien selbst war ein Opfer, das, was passiert ist, war ein Angriff auf unser ganzes Volk. Unerfüllte Hoffnungen, ungelebte Leben. Das sagte der australische Generalgouverneur William Deane am 28. April 2001, das war der fünfte Jahrestag des Massakers von Port Arthur. Schauplatz im Jahr 1996 war der Bundesstaat Tasmanien, jene dem Festland vorgelagerte Insel im Süden. Es war ein schöner, sonniger Sonntag in der ehemaligen britischen Strafkolonie, die Leute flanierten und picknickten, und binnen Minuten wurde die meistbesuchte historische Touristenattraktion Australiens zu einem Massengrab. 35 Tote, Dutzende Verletzte. Andreas Stummer in Sydney, was war passiert?
"Ganz Australien war in Schock"
Andreas Stummer: Hunderte Touristen waren damals eigentlich wie jeden Tag in Port Arthur in den Ruinen der früheren Strafkolonie unterwegs. Das Café der Anlage war voll besetzt, als dann um 1:30 Uhr mittags ein 28-jähriger Mann durch die Tür kam, blonde, schulterlange Jahre, einen Leinensack über die Schultern geworfen. Den hat er dann ganz langsam auf den Bodengelegt, hat ihn aufgemacht und seelenruhig ein halbautomatisches Gewehr herausgenommen und hat plötzlich damit wortlos angefangen, auf die Gäste zu feuern, ohne Pause, immer wieder. Und als sich niemand mehr bewegte im Café, ging er nach draußen, erschoss dort jeden, der ihm begegnete, Männer, Frauen, Kinder, völlig wahllos. Und später hat sich dann herausgestellt, dass der Amokläufer ein Einheimischer war, geistig verwirrt. Am Ende waren 35 Menschen tot und Dutzende verletzt. Der Attentäter wurde zwar Stunden später von der Polizei gestellt, aber die Nachrichten des Blutbades gingen natürlich erstmals rund um Australien und dann auch um die Welt und ganz Australien war in Schock.
Kolar: Sie haben einmal gesagt, dass der April der Monat ist, den man in Port Arthur am liebsten aus dem Kalender streichen würde. Nie zuvor hat ein Ereignis ganz Australien so gelähmt, so zornig und so hilflos gemacht. Und im Unterschied zu den USA, wo nach Amokläufen immer viel über Waffengesetzverschärfungen geredet, aber wenig getan wird, zog der damalige konservative Premier John Howard nach Port Arthur Konsequenzen. Welche konkret?
Stummer: Das Erstaunliche war damals, dass es erstens eine konservative Regierung war, die Australiens Waffengesetze verschärft hat, und zweitens, wie schnell diese Gesetze beschlossen wurden. Denn sie traten wirklich nur eine Woche nach dem Amoklauf von Port Arthur schon in Kraft. Die Regierung hat damals ohne Wenn und Aber halbautomatische Schnellfeuergewehre, Schrotflinten und Pumpguns verboten, und zwar von heute auf morgen. Jetzt gab es aber Hunderttausende dieser Waffen, die bis zu diesem Zeitpunkt völlig legal in Australien zu haben waren, und zwar gab es die überall im Land. Für diese Waffen, die im Umlauf waren, hat die Regierung ein Rückkaufprogramm eingeführt. Also, wer sein Schnellfeuergewehr damals freiwillig zurückgegeben hat, der hat dafür Geld bekommen und die Waffe wurde dann verschrottet. Insgesamt 700.000 Gewehre wurden damals zurückgegeben, die Regierung hat sich das gut eine halbe Milliarde Euro kosten lassen. Und wer seitdem in Australien auch nur eine Handfeuerwaffe besitzen will, der muss erst einmal Mitglied eines Schützenvereins sein, und eine Lizenz wird erst nach ein paar Monaten Probezeit erteilt. Dem Schützen werden die Fingerabdrücke abgenommen, das Strafregister und die Online-Vergangenheit eines Bewerbers werden gecheckt, die Waffe wird registriert und muss in einem sicheren Safe aufbewahrt werden. Und das sind all diese neuen, verschärften Bedingungen, die damals in Kraft getreten sind. Es gibt keine Ausnahmen, es gibt keine Ausreden, so wird es seit 1996 in Australien gemacht und so wird man es auch in Zukunft machen.
Kolar: Der fünfte Kontinent wurde also nach Port Arthur abgerüstet, im Ergebnis gab es weniger Waffen und auch weniger Tote durch Schusswaffen. Sie berichten uns aber in Ihrem Feature, das wir gleich hören werden, dass Rumballern in Australien wieder schick ist, dass der Waffenbesitz wieder deutlich ansteigt. Wie kommt das, wurden die Gesetze seitdem wieder gelockert oder verändert?
Port-Arthur-Effekt hat sich abgeschwächt
Stummer: Nein, die Gesetze hat man seit Port Arthur weder geändert noch gelockert und dafür gab es auch keinen Grund. Was sich aber verändert oder – besser gesagt – abgeschwächt hat, das ist der Effekt, den Port Arthur auf jeden Australier damals hatte. Wie gesagt, 1996, das ganze Land war im Schock. Wer auch nur eine Waffe besaß damals, wer jagen ging, wer in einem Schützenverein Mitglied war, der fühlte sich fast mitschuldig an dieser Tat, wie ein Komplize bei einem grauenhaften Verbrechen. Das ist jetzt aber 20 Jahre her, eine neue Generation ist mit diesen strikten Waffengesetzen aufgewachsen und findet das auch gut so. Niemand möchte in Australien wie in den USA Waffen an der Tankstelle und Munition im Supermarkt kaufen können. Und dazu kommt: Fast 20 Jahre nach Port Arthur ist in Australien die Schande, eine Waffe zu besitzen und sie auch benutzen zu wollen, heute einfach nicht mehr da. Und dann kommt noch der Einfluss von Videospielen dazu, die natürlich seit einer Generation immer populärer geworden sind, und fertig ist ein neues Interesse am Schießen, am Jagen und am Waffenbesitz.
Kolar: Das heißt, zwar auf der einen Seite nicht wie in Amerika die Zustände, aber auf der anderen Seite schon: A gun makes fun, wieder?
Stummer: Die Australier machen viel nach, was die Amerikaner vormachen, also von Fastfood bis zu Fernsehserien. Aber mit der Waffenkultur der USA hat man wirklich überhaupt nichts am Hut, eigentlich im Gegenteil. In Australien trägt niemand sein Gewehr einfach so herum oder seinen Colt wie Gary Cooper im Halfter über die Straße. Man kann nicht verstehen, warum Amerikaner so besessen von Waffen sind und warum nach den Tragödien der letzten Jahre nicht mehr getan wird, um den Waffenbesitz in den USA stärker zu regulieren. Es gibt keine Waffenindustrie in Australien und vor allen Dingen gibt es keine übermächtige Schusswaffenvereinigung wie die NRA in den Vereinigten Staaten, die von den US-Waffenherstellern ja mit Unsummen hinter den Kulissen mitfinanziert wird. Und mit diesem Geld kommt Einfluss und deshalb kann die NRA auch seit Jahren die politische Diskussion um die Waffengesetze in den USA bestimmen, mitbestimmen, vielleicht sogar auch steuern. In Australien ist das einfach nicht der Fall und deshalb werden Waffen hier auch nie so akzeptiert werden, sie werden vor allen Dingen nie so Teil der Kultur sein, wie das in den USA einfach der Fall ist.
Kolar: Gab es in der Folge der Geiselnahme in Sydney Mitte Dezember, bei dem neben dem geistig verwirrten iranischen Täter zwei Menschen ums Leben kamen, vielleicht doch noch mal eine Diskussion um die Waffengesetze? Es war ja nicht ganz klar, ob er trotz seiner kriminellen Vergangenheit eine offizielle Waffenlizenz hatte oder nicht.
"Enorme Probleme für den Zoll und die Polizei"
Stummer:!! Die Ermittlungen haben bestätigt, dass der Geiselnehmer von Sydney keine Waffenlizenz hatte. Das heißt, das System hat funktioniert. Was ihn aber auch auf der anderen Seite nicht davon abgehalten hat, sich mehrere Waffen besorgen zu können. Und das macht ein großes Problem für die australischen Behörden deutlich, es kommen zu viele illegale Waffen ins Land. Übers Internet, mit der Post und als Schmuggelware versteckt in angeblich harmlosen Schiffscontainern. Das sind enorme Probleme für den Zoll und für die Polizei, die beide ja eigentlich verhindern sollten, dass diese Waffen in falsche Hände geraten.
Kolar: Noch eine kleine Bilanz zum Schluss: Fast 20 Jahre nach Port Arthur wieder eine neue Waffeneuphorie in Australien. Das heißt, man hat aus diesem Ereignis, aus diesem tragischen Massaker nichts gelernt?
Stummer: Doch, man hat gelernt. Nach Port Arthur hat man ein Zeichen setzen wollen, bis hierher und nicht weiter, und das Verschärfen der Waffengesetze war dann auch wirklich einer der seltenen Anlässe, an dem sich Politiker und die Öffentlichkeit auch wirklich einig waren. Man kann es nie jedem recht machen und es gibt immer Leute, die versuchen, das Gesetz zu umgehen oder zu unterhöhlen, aber wirklich die überwältigende Mehrheit der Australier ist seitdem einer Meinung, dass man keine halbautomatischen Sturmgewehre braucht, um Tiere auf dem Land, auf einer Farm zu schießen, jagen zu gehen oder auch nur ein Sportschütze zu sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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