Ausstieg aus dem Islam

Eine Reise in die Freiheit

Koran und Gebetskette
Marwa hat sich der Religion abgewendet - und wurde Atheistin. © dpa / picture alliance / Roos Koole
Von Thilo Guschas · 28.02.2016
Die Ägypterin Marwa hat ihren muslimischen Glauben verloren – und wirbt im Internet für eine Akzeptanz des Atheismus in der arabisch-islamischen Welt. Die Geschichte einer mutigen Aussteigerin.
"Ich gehöre nicht mehr dazu, und jeden Tag, der läuft, bin ich noch ein Stück weiter woanders gelandet."
Marwa, eine Ägypterin Mitte 40, glaubt nicht an Gott. Wer sich wie sie in der arabischen Welt dazu bekennt, wird schnell ausgegrenzt.
"Nachgewiesen: Zusammenhang zwischen Atheismus und psychiatrischen Problemen ..."
... behauptet eine Artikelüberschrift einer arabischen Zeitung. Atheismus bedeutet in den meisten arabischen Ländern, mehr oder weniger aus der Gesellschaft auszusteigen. Wer sich zu diesem Schritt entschließt, wird schnell gebrandmarkt, als krank, radikal, narzisstisch und unmoralisch. Erste Zweifel an der Religion kamen Marwa schon in der Grundschule in Kairo.
Marwa: "Ich hatte so eine Frage gestellt an den Religionslehrer. Er hat so eine Geschichte erzählt von einem Wunder vom Propheten Muhammad. Gott hat ihm geholfen, indem er etwas geschickt hat, sodass die Leute nicht mehr sehen oder hören können. Und dann hab ich ihn gefragt: Und warum hat ihn Gott nicht selber verschwinden lassen? Wenn er der Mächtige ist, warum konnte er das nicht einfach machen? Und dann hat er mich einfach bestraft. Das war richtig schlimm für ein Kleinkind, so eine Frage zu stellen und diese Reaktion zu bekommen, als ob ich einen großen Fehler gemacht habe. Seit dieser Situation habe ich immer alle sehr skeptisch angeschaut. Bei allem, was sie mir gesagt haben, habe ich immer nachgedacht, ob das stimmt oder nicht. Vielleicht habe ich keine Frage mehr gestellt, aber für mich selbst habe ich immer versucht, zurechtzukommen mit all diesen Informationen, die ich nur annehmen soll, ohne nachzufragen."
Mit Anfang 20, mittlerweile war sie Kunststudentin, stieg Marwa aus. Und entschied sich für den Atheismus. Nach dem Studium zog sie nach Deutschland. Hier kann sie als arabische Atheistin unbeschwert leben, sagt sie.
"Atheismus ist gegen die menschliche Natur."
"Atheismus bedroht die Identität des Einzelnen."
"Radikalisierung und Atheismus greifen auf unsere Kinder über."
Arabische Zeitungen und Internetartikel greifen das umstrittene Thema Atheismus immer wieder auf. Gewalttätige Ausschreitungen, so wird oft suggeriert, gehen entweder auf Islamismus zurück - oder auf Atheismus.
Obwohl es sich eigentlich nur um eine philosophische Überzeugung handelt, schwingt vieles andere mit. Von beiden Seiten. Die, die den Atheismus ablehnen, verbinden ihn mit psychischen Störungen, Egoismus, Neigung zu Gewalt und Extremismus. Für viele, die sich zur Gottlosigkeit bekennen, ist er Teil eines umfassenden Selbstbilds, eines unangepassten, selbstbestimmten Lebens. So kommt es, dass die innere Überzeugung, dass es Gott nicht gibt, in religiös-konservativen Gesellschaften wie der ägyptischen auch äußerlich sichtbar werden kann, eine soziale Erscheinungsform bekommt.
Marwa: "Wie ich mich anziehe, wie ich mich bewege. Ich habe geraucht in der Öffentlichkeit, ich habe Alkohol getrunken. Und das war alles für eine muslimische Frau sehr komisch eigentlich. Und ich hatte immer Auseinandersetzungen, auf der Straße, auf der Arbeit oder an der Uni. Immer. Und das gibt's glaube ich bis jetzt. Nicht mit mir, weil ich hier lebe, aber ich glaube, die Gesellschaft ist halt so strukturiert. Der anders aussieht oder der sich anders verhält, ist einfach komisch."

Zwei bis 4,5 Millionen Atheisten leben in Ägypten

Vielfach wird in den arabischen Medien der Atheismus abgelehnt und verteufelt. Doch es gibt auch Erklärungsversuche – die Marwa allerdings nicht überzeugen.
Zitat: "Nur zwölf Prozent der Atheisten lehnen die Religion ab. 64 Prozent haben nur Schwierigkeiten mit ihrem Imam."
Marwa: "Solche Statistiken gibt es nicht. In der arabischen Welt äußert man sich nicht so einfach. Es steht nicht im Ausweis. Man weiß das gar nicht, viele verstecken das."
Je nach Schätzung gibt es zwei bis 4,5 Millionen Atheisten in Ägypten, das wären mindestens zwei Prozent der Bevölkerung. Dass sie eine Größe sind, über die öffentlich gesprochen wird, ist für Marwa ein persönlicher Erfolg. Als Pionierin hat sie ein arabischsprachiges Internetforum mit aufgebaut, durch das sich atheistische Aussteiger miteinander vernetzen konnten. In einer Zeit, in der es Atheismus öffentlich gar nicht zu geben schien.
Marwa: "In dem Moment, wo wir dieses Forum gemacht haben, das war 2005/2006, es kamen immer so Gegenstimmen, gegen den Islam oder gegen alles, was vorher stabilisiert war, weißt Du. Und das war nur in der Religionsgeschichte, und das war sehr wichtig in der Zeit. Aber jetzt, wenn ich jetzt rede nach dem Arabischen Frühling oder wie man das nennt, jetzt darf jeder sagen, was er will. Das ist wirklich der Vorteil von diesem Arabischen Frühling. Es sind nicht mehr diese Ängste, nicht mehr diese Kontrolle und Zensur überall."
Talkshow: "Der ägyptische Schauspieler Mahmoud el Gindy verrät, wie er Atheist wurde."
Marwa: "Es gibt jetzt viele Foren, viele Plattformen, wo man sich äußern kann, sogar im Fernsehen. Also, 2005 durfte kein Atheist im Fernsehen auftauchen, oder im Radio oder einer Zeitschrift sich ausdrücken. Aber jetzt gibt es das einfach. Das heißt, wir haben es vielleicht geschafft, einigermaßen."
Ihre engen Freunde in Ägypten akzeptieren mittlerweile, dass Marwa Atheistin ist. Anders ginge es nicht, sagt sie. In Gesprächen mit ihrer Mutter nimmt sie das Wort "Atheismus" dagegen nicht in den Mund. Zu groß ist das Tabu. Wenn Marwa gelegentlich in Kairo zu Besuch ist, hält sie es nur wenige Tage aus. Sie fühlt sich eingeengt. In ihrer atheistischen Überzeugung lässt sie sich nicht beirren.
Marwa: "Es hat viele Jahre gebraucht, aber es ist so eine Reise in mir drinnen. Vor ein paar Jahren habe ich diese Entscheidung getroffen, ich mache nichts auf dieser Erde, was gegen mich ist, ich mache nur, was ich denke und was ich fühle. In mir war so eine Reise zur Freiheit. Ich fühle mich jetzt freier."
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