Ausstellung zu "Eternauta"

Argentinische Comic-Figur als Symbol des Widerstands

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 11.05.2016
Eines der prominentesten Opfer der argentinischen Militärdiktatur war 1976 der Comicautor Héctor Germán Oesterheld. Sein knapp 20 Jahre zuvor geschaffener Comic "El Eternauta" wurde so auf tragische Weise aktuell. Nun widmet sich eine Wanderausstellung dem vor Kurzem auf Deutsch erschienenen Werk.
"Es wird auch gesagt: Dieser Schnee ist eine Metapher für die Militärdiktatur. Und wenn man das Comic noch mal liest, dann heißt es: Der Schnee ist nicht so schlimm, also es wird noch schlimmer, denn diese Invasoren haben noch schlimmere Waffen. Und von dem Schnee heißt es, es ist nicht so schlimm, denn der Schnee tötet sofort. Das heißt die Methode des Verschwindenlassens war überhaupt keine Methode des sofort Tötens, sondern des Ewig-Folterns."
Auch der tödliche Schnee, mit dem die brutale Invasion der Außerirdischen beginnt, kann als Vorahnung der Militärdiktatur gelesen werden, sagt die argentinisch-deutsche Schriftstellerin Maria Cecilia Barbetta. "El Eternauta" (deutsch: "Der Reisende aus der Zukunft"), der schlicht und düster gezeichnete Schwarz-Weiß-Comic erschien 1957 und spiegelt ein kollektives Gefühl allumfassender Bedrohung.
"Und man kann natürlich diese Geschichte auch lesen wenn man kein Kenner der argentinischen Geschichte ist. Wenn man das weiß, wenn man sich da auskennt, liest man natürlich eine zweite Geschichte, oder eine dritte. Aber es geht auch ohne, und das ist wirklich großartig, dass kann nur ein Meister. Und es hat auch damit zu tun, dass Literatur sowieso - und jetzt komme ich wieder zurück zu dem Prophetischen: Literatur kann viel, viel viel mehr als der Autor."

Gestrandet auf der Suche nach seinen Liebsten

Die dunkle Science-Fiction-Geschichte um Massenmord und Widerstand wurde auf tragische Weise aktuell, als sein Autor 1976 von den Militärs verschleppt und umgebracht wurde. Diese Verbindung von verschiedenen Zeitebenen kennzeichnet allerdings die narrative Struktur von Oesterhelds Comic, sagt der Verleger Johann Ulrich, der "El Eternauta" Anfang des Jahres erstmalig in deutscher Sprache veröffentlichte:
"Allein schon die erste Seite des Buches ist ja… - es sitzt ein Comicautor in einem Vorort von Buenos Aires und vor ihm in dem Stuhl materialisiert sich auf einmal eine Person aus dem Nichts. Wir kennen das vielleicht aus Raumschiff Enterprise. Und das ist der Eternauta, der eben aus der Zukunft kommt und da jetzt gestrandet ist auf der Suche nach seinen Liebsten, seiner Frau und seiner Tochter, und gleichzeitig wird das ganze Buch aus der Rückschau von diesem Zeitreisenden erzählt, der dem Autor berichtet, was in der Zukunft 1963, also quasi sechs Jahre in der Zukunft, in Buenos Aires passieren wird. Das ist also ein faszinierendes Zeit-Paradoxon, was das ganze Buch durchzieht und was natürlich diese Deutungsebene - dass es einen geradezu prophetischen Inhalt hat, wenn man jetzt auf die Militärdiktatur der 70er-Jahre eingeht, dann bietet sich das ja geradezu an diese Deutung."

Zeitlose Geschichte vom ausdauernden Widerstand der Unterlegenen

Die Ausstellung am Wannsee unterstreicht diese politische Auslegung. Sie stellt Ausschnitte des Comics in Verbindung mit Schicksal der Familie Oesterheld, zeigt aber auch, wie sich dieses Familienschicksal in dem der ganzen argentinischen Gesellschaft widerspiegelt: unter den 30.000 Verschwundenen, den Opfern des Regimes waren auch Héctor Germán Oesterheld und seine vier erwachsenen Töchter. Die Mutter und Witwe, Elsa Oesterheld kämpfte bis zu ihrem Tod für die Aufklärung der Verbrechen der Militärdiktatur und die Bestrafung der Schuldigen. In den letzten Jahren sei Juan Salvo, der "Eternauta" erneut für viele junge Argentinier zum Symbol für für eigenes politisches Engagement geworden, sagt die Soziologin Estela Schindler.
"Der Eternauta bedeutet ziviler Widerstand. Es ist, wie Oesterheld immer wieder gerne betont hat, kein individueller sondern ein kollektiver Held, mit einer Gruppe von Freunden, die sich zusammen tut, um gemeinsam zu widerstehen, diesen unbekannten Aggressor von Aussen."
Fast 60 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung ist "El Eternauta" immer noch die beliebteste Comicfigur Argentiniens, eine zeitlose Geschichte vom ausdauernden Widerstand der Unterlegenen gegen eine scheinbar unbesiegbare brutale Streitmacht und der verzweifelte Suche nach den verschwundenen Angehörigen.

Die Comic-Ausstellung "Héctor Germán Oesterheld: Der Mythos Eternauta" ist bis 10. Juli 2016 im Literarischen Colloqium Berlin zu sehen. Es ist die zweite und letzte Station der Wanderausstellung. Weitere Informationen auf der Webseite des Literaturhauses Stuttgart.

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