Ausstellung über Rote Khmer

Wie eine Diktatur die Gesellschaft zerrüttet

Khvay Samnang, Foto- und Videokünstler aus Phnom Penh
Khvay Samnang, Foto- und Videokünstler aus Phnom Penh, hat sich an der Ausstellung "Die Roten Khmer und die Folgen" in Berlin beteiligt. © picture alliance / dpa
Von Jochen Stöckmann · 23.01.2015
Über die Roten Khmer gibt es furchtbare Geschichten. Zum Beispiel, dass sie die Leber ihrer Feinde gegessen haben und wie sie dieser davor gefoltert haben. Eine neue Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste konzentriert sich nicht auf Bilder des Schreckens und der Folter, sie setzt sich mit der Angst der Opfer auseinander und dem Zerfall der Gesellschaft in Kambodscha.
Kunst in Kambodscha nach Pol Pot, nach dem Schreckensregime der Roten Khmer ist seit Jahrzehnten mit einem Namen verbunden: Vann Nath, der Maler, einer der ganz wenigen Überlebenden des berüchtigten Foltergefängnisses Tuol Sleng. Nach der Befreiung 1979, als das Todeslager zur Gedenkstätte wurde, zeigte der Künstler dort seine Erinnerungsbilder der eigentlich unvorstellbaren, unfassbaren Leiden:
"Für Jahre waren es immer die Images von Vann Nath, die wir benutzt haben um diesem Grauen Ausdruck zu geben. Es sind wirklich sehr fordernde Bilder, die man nicht einfach nur so konsumiert. Und die man auch im Rahmen dieser Gedenkstätte verstehen musste."
Verstörendes Puppentheater
Kurator Nico Mesterharm, der seit acht Jahren ein Kulturzentrum in Pnom Penh leitet, hat Van Naths Bilder ganz bewusst ausgelassen. In den Räumen der Berliner Akademie der Künste hätten sie wohl allzu sehr dominiert. Ebenso wie jene Serien von Porträtfotos, die die Gefängnisverwaltung anfertigen ließ, um ihre Opfer vor und nach der Folter und schließlich vor der Exekution zu dokumentieren. Künstler haben diese Zeugnisse einer mörderischen Bürokratie als Vorlagen, als Material verwendet. Aber selten sind sie so radikal und einfühlsam zugleich damit umgegangen wie Günther Uecker. Er hat mit abstrakten Mustern übermalt, woran die Kambodschaner ungern erinnert werden:
"Günther Uecker mit seinem eigenen Genozid-Verständnis als Deutscher hat wahrscheinlich genau das gefühlt und insofern sind diese Übermalungen eigentlich eine Wohltat, wenn ich mich dem entziehen möchte. Aber trotzdem verschwindet dadurch ja das Image nur aus meinem Blickfeld, aber es ist immer noch da."
Durch Ueckers Kunstgriff geraten die Dokumente des Grauens zwar aus den Augen, aber eben nicht aus dem Sinn. Dass solch ein "indirektes" Sehen womöglich eindrücklicher wirkt als jede Eins-zu-Eins-Dokumentation, demonstriert der Filmemacher Rithy Panh. Er konfrontiert Wochenschau-Sequenzen der Pol-Pot-Ära mit Puppen-Animationen. Während der knochenharte Einsatz Tausender Zwangsarbeiter den Ballettzauber einer Massenchoreographie ausstrahlt, zeigen die Holzfiguren den wirklichen Schrecken. Das beginnt schon mit der Vorbereitung der Animation, wenn da jemand die nackten Gestalten in der Hand hält und ihnen der Reihe nach identische schwarze Kleider anmalt. Wie ein Diktator, der eine Gesellschaftsutopie nach seinen Vorstellungen realisiert. Das ist verstörend, aber eben ein Puppentheater. Bisher sah man eher das Gegenteil:
"Dass die Roten Khmer die Leber ihrer Feinde gegessen haben, dann werden die Foltermethoden aufgezählt – und dann wird es zu einem Schreckens- und Horrorkabinett. Das reduziert diese Khmer Rouge auf diese sensationellen Aspekte. Aber das, was mir viele gesagt haben, ist: Das Schlimmste war die Angst, nicht zu wissen, wann man abgeholt wird."
Die Grafik zeigt eine Karte und einen kurze Chronologie der Schreckensherrschaft der Roten Khmer.
© picture-alliance/ dpa-Grafik

Eltern reden nicht über die Vergangenheit Spuren dieser Zerrüttung von Alltags- und Familienstrukturen finden sich in Gruppenporträts, die der Vietnam-Kriegsreporter Tim Page für ein Entwicklungshilfeprojekt aufgenommen, vor dem neutralen Hintergrund einer grauen Plane regelrecht inszeniert hat. Auf den ersten Blick schauen alle hoffnungsvoll, geben sich als Gewinner der jüngsten Landreform. Dann sieht man hier ein Holzbein, da ein blindes Auge – Folgen von Landminen und Stacheldraht. Optimistisch wirken nur noch die Jüngeren. "Diese Generation unter 30 weiß ganz wenig von den Khmer Rouge. Die Eltern reden nicht mit ihren Kindern über die Vergangenheit und behalten es für sich. Das heißt, wenn man sich diese Familienporträts anschaut, dann sieht man eben auch diesen generation gap in den Gesichtern der Menschen." Verborgene, verhaltene Kritik äußert Vandy Rattana, Jahrgang 1980. Der Amateurfotograf setzt kreisrunde Tümpel und Teiche technisch versiert und überaus idyllisch in Szene – und versucht so auf Tausende von Bombenkratern hinzuweisen, die durch Abwürfe aus den B-52 der USA verursacht wurden. Mit dieser Rolle des stillen Künstlers mag sich sein englischer Profikollege nicht zufrieden geben: "Tim Page, weil er dieses Flächenbombardement erlebt hat, der hält an vor diesen Bombenkratern. Und redet dann darüber. Und redet darüber, dass man eigentlich so ein Kriegsverbrechen der Amerikaner niemals hätte durchgehen lassen dürfen." Nicht lauthals und direkt, sondern auf eindrucksvoll subtile Weise vermittelt diese Ausstellung einen Eindruck von der Erinnerungsbürde, die auf einem Volk lastet, dessen Regierung jede Form der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gerne beiseiteschiebt.
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