Ausstellung "Tanz der Ahnen"

Von Geistern und Künstlern

Weiblicher Figurenhaken, Iatmul-Sprachgruppe, Dorf Yentschemangua; Sammlung Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition 1912-13, Holz, Perlmuttschale, Fasern
Weiblicher Figurenhaken, Iatmul-Sprachgruppe, Dorf Yentschemangua; Sammlung Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition 1912-13 © © Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ethnologisches Museum, Foto: Claudia Obrocki
Von Simone Reber · 18.03.2015
Vor rund 100 Jahren sorgten Masken und Schnitzereien aus Papua Neuguinea in Europa für Furore. Die kleinen Kunstwerke beeinflussten Expressionisten, Surrealisten und Dadaisten. Der Berliner Martin-Gropius-Bau widmet der skulpturalen Bildwelt aus Ozeanien eine Ausstellung.
Fabelhafte Mischwesen bevölkern diese Ausstellung. Menschen mit Vogelgesichtern und Echsenleibern. Die Allgegenwart des Wassers führt in den holzgeschnitzten Masken und Skulpturen zu fließenden Übergängen der Daseinsformen. Die Verwandlung ist eins der Grundmotive in der Kunst am Sepik. In ihrer Dramaturgie rekonstruieren die beiden Kuratoren Markus Schindlbeck und Philipp Peltier ihre Ankunft in einem Pfahldorf über dem Fluss. Beide Anthropologen forschten in den 1970er- und 80er-Jahren am Sepik.
"Man kommt mit dem Einbaum an, es ist ganz still. Meistens sind die Dörfer leer, weil die Bewohner auf dem Feld oder im Wald arbeiten. Und man legt am Ufer an, am Rand des Dorfes, das über dem Fluss gebaut ist und man weiß erstmal nicht, wohin man gehen soll."
Die Besucher lernen die Familienhäuser kennen, die oftmals weiblichen Personen zugeordnet sind. Zu den filigransten Objekten gehören die durchbrochenen Malubretter. Sie wurden wohl in den Gemeinschaftshäusern als Paravents verwendet. Die Geisteswelt am Sepik ist polar geteilt in Männer- und Frauengesellschaft, Tag und Nacht, sagt Markus Schindlbeck.
"Wenn die Novizen, die da in die Männerhäuser eingeführt werden, die heranwachsenden jungen Männer, wenn dann in ihre Haut die Narben eingeschnitten werden, um das Blut der Mütter herauszuholen, damit sie sich trennen können von der Frauenwelt, mit der sie immer zusammen waren und dann zu den Kriegern werden, auch diese Initiationen, die finden ganz früh morgens statt, also nachdem die Nacht vorbei gegangen ist."
Die Figur eines Mannes wird zum Fisch
Die Narben versinnbildlichen die Zahnspuren des Krokodils, das die Welt erschaffen haben soll. Ein Krokodil aus Palmfasern behangen mit Knochen und Federn, den Essensresten der Krieger, gehört zu den faszinierendsten Exponaten. In der Ausstellung lässt sich nachvollziehen, wie groß das Erstaunen westeuropäischer Künstler gewesen sein muss, als sie diese wandlungsfähigen Skulpturen zum ersten Mal sahen. Da wird die Figur eines Mannes im Profil zum Fisch. Später hat Picasso die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Perspektiven in die Malerei aufgenommen. In den Masken tauchen die Formen des Wassers wieder auf. Die Augen weiten sich zu konzentrischen Kreisen, die Stirn kräuselt sich in sanfte Wellen. Die Ahnen tanzen auf dem Fluss.
"Als ich einmal zu so einem Ort ging im Sumpf mit einem Boot gestakt bin, hat mir der Begleiter gesagt – eben hat das Kanu geschwankt und Du weißt, der Ahne fährt jetzt mit.
Die meisten Objekte stammen aus einer frühen Berliner Expedition von 1912 bis '13. Allerdings nimmt die Ausstellung dem Rundgang durch das geheimnisvolle Männerhaus den Schrecken, der die frühen Reisenden begleitet haben dürfte. Schädelhalter, breite geschnitzte Bretter, zeugen von der Bedeutung der Kopfjagd.

"Es gibt zwei Formen von Schädeln. Zum einen die Schädel der Vorfahren. Wenn ich einen großen Ahnen habe, bewahre ich seinen Schädel zu Hause auf. Ich zeige ihn. Was aber wirklich seltsam ist, ich kann einen Kopf, den ich erjagt habe, an die gleiche Stelle setzen wie den Kopf meines Ahnen."
Die Menschen am Sepik lebten mit Totenschädeln

Auch eine menschliche Figur trug ursprünglich einen Totenschädel. In der Berliner Ausstellung wurden politisch korrekt alle Köpfe entfernt. Im Pariser Musée du Quai Branly wird das anders gehandhabt, sagt Philippe Peltier, weil die Menschen am Sepik ganz selbstverständlich mit den Köpfen gelebt haben. Er selbst erfuhr das bei einem Verbrüderungsritual zu seiner Abreise.

"Man hat mir einen Freund zugeordnet, einen Tauschpartner. Und sie haben mir gesagt, dein Freund schuldet Dir fünf Köpfe. Es gibt schon seit den 30er Jahren keine Kopfjagd mehr, aber 1980 wussten sie immer noch, dieser oder jener Clan schuldet der Familie fünf Köpfe, weil es auch einen Tauschhandel mit Köpfen gibt."

Tatsächlich entsteht durch die political correctness der falsche Eindruck einer friedlichen Gesellschaft. Aber die aggressive Wucht mancher Masken, ihre existenzielle Rohheit, lässt sich nur vor dem Hintergrund der Kriegserfahrung verstehen. In der Zwickmühle zwischen Verharmlosung und Sensation gibt die Ausstellung einen Ausblick auf die Probleme, die das Humboldt-Forum zu lösen hat.
Schädelhalter, Iatmul-Sprachgruppe, Sammlung Jean Guiart 1963 (Hermann Lissauer), Palmblattscheide, Fasern, Rotang, weiße und schwarze Pigmente, gelber Ocker
Schädelhalter, Iatmul-Sprachgruppe; Sammlung Jean Guiart 1963 / Hermann Lissauer© © Musée du quai Branly, Foto: Claude Germain
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