Ausstellung "Streamlines"

Künstler sprechen Klartext über Ausbeutung

Plastikmüll am Strand von Dakar, Senegal. Im Vordergrund sitzt eine magere Katze
Die Strände einiger senegalesischer Städte und Inseln versinken im Müll. © Picture Alliance / dpa / EPA / Nic Bothma
Von Anette Schneider · 03.12.2015
Die Ausstellung "Streamlines" in den Hamburger Deichtorhallen ist vor allem eins: unbequem. Ohne plakativ zu sein, erzählen 15 internationale Künstler anhand des Ozeans von Kolonialismus und Neokolonialismus, Welthandel und Flucht.
Ein riesiges Ungetüm aus alten Eisenteilen liegt in der Halle wie ein gestrandetes Schiff.
Eine Fotoserie zeigt junge Männer, die in Algier auf Wellenbrechern stehen und über das Meer in Richtung Europa blicken. In eine ersehnte bessere Zukunft.
Davor liegen auf dem Boden – als seien sie gerade angeschwemmt worden – zahlreiche Jeans, Pullover und T-Shirts.
"Viele Arbeiten behandeln das Thema Emigration. Dabei haben wir die Künstler und Künstlerinnen bereits vor über drei Jahren zu diesem Projekt eingeladen. ... Damals fragten wir sie, was ihre Vorstellung vom Meer sei, welche Ideen, welche Gedanken sie damit verbinden. Und für den einen symbolisierten die Meere Handel, für andere Sklavenhandel. Es gab auch autobiografische Geschichten – und eben die Flüchtlingstragödie. Es haben sich ganz viele Antworten angesammelt."
Die französische Kuratorin Eva Barois de Caevel entwickelte die Ausstellung zusammen mit ihrer senegalesischen Kollegin Koyo Kouoh. Und deren Auswahl macht schnell klar: Hier wird Nichts geschönt. Hier sprechen Künstler Klartext.
Abdoulaye Konaté aus Mali etwa schuf für Hamburg drei großformatige Collagen aus Stoff. Sie zeigen: einen grauen Flugzeugträger, Symbol der europäischen Aufrüstung der Meere. Gestapelte Container, umgeben von Kakao- und Kaffeebohnen, die stellvertretend für all die Rohstoffe stehen, die Europa seit Jahrhunderten reich machen. Und – auf sechs Meter Länge und drei Metern Höhe! – ein farbenprächtiges Gewimmel hunderter unterschiedlicher Fische im Meer.
"Es ist seine Vision des Meeres als dem Beginn allen Werdens, allen Lebens. 'Mutter Leben' nennt er die Arbeit. Und darin steckt auch, dass die Meere der Ort sind, wo wir Nahrung finden, dass sie Transportwege bilden."
Alfredo Jaar hängt eine dunkle Wolke unter der Decke
Gleichzeitig erscheint die fantastisch-bunte Unterwasserwelt als Utopie: So gemeinschaftlich könnte Leben auch sein.
Alle afrikanischen Künstler beschäftigen sich mit den Folgen von Neokolonialismus, Kriegen und billigem Rohstoffraub durch europäische Unternehmen. Der äthiopische Künstler Theo Eshetus geht noch einen Schritt weiter. Er greift in seiner Videoinstallation ein sehr theoretisches Thema auf...
"Seine Idee war, in einer Art Meditation über Freihandelszonen nachzudenken: Was bedeuten sie? Welche finanziellen und politischen Folgen haben sie? Wem nutzen und wem schaden sie? Darüber hält er keine Vorlesung, sondern entwickelt auf sehr abstrakte und metaphorische Weise eine Meditation über das, was diese 'Freihandelszonen' sind."
Esthus zeigt eine Fahrt durch die Kanäle des Hamburger Freihafens, die von einem auf dem Boden liegenden Spiegel leicht zeitversetzt gedoppelt wird: Man sieht Speicher, in denen billig eingekaufte Rohstoffe aus Afrika lagern, die in Europa gewinnbringend weiter verarbeitet werden. Man fährt durch eine der Wirtschaftszonen, in denen geheime Steuerregeln gelten, die landeseigene Unternehmen fördern und ausländische Konkurrenz ausschalten – und so die herrschende Ungerechtigkeit festschreiben. Plötzlich aber gerät der Film außer Kontrolle, überschneidet sich das Material, und – begleitet von Bachschen Chorälen – versinken die Speicher in den Fluten!
Wie das Meer können auch Wolken als Metapher für gesellschaftliche Zusammenhänge gelten. Der chilenische Künstler Alfredo Jaar beschäftigt sich seit Jahren mit Gewalt, Sklaverei und Ausbeutung. Jetzt hat er all sein Unbehagen gegenüber den herrschenden Verhältnissen in einer Wolke verdichtet: sechs Meter lang und aus Polyester hängt sie unter der Decke der Deichtorhalle und wirft einen bedrohlichen Schatten auf jeden, der unter ihr steht.
"Wir leben wieder in einer sehr finsteren Zeit"
Kuratorin Koyo Kouoh:
"Unglücklicherweise leben wir wieder in einer sehr finsteren Zeit... Damit müssen wir uns beschäftigen. Deshalb hat diese Ausstellung für mich auch etwas Prophetisches: Sie schafft einen Raum für das, was sonst verdrängt wird und in Vergessenheit gerät. Ein Raum, der bewusst macht: Wir sitzen alle in der Klemme. Nicht nur die 'anderen'!"
Nur: Die einen sind die Täter, die anderen die Opfer.
Der Filmemacher Mark Boulos beschäftigt sich in seiner 2-Kanal-Videoinstallation mit dem globalen Geschäft mit nigerianischem Öl: Auf einer Wand sieht man Börsenmakler, die mit dem schwarzen Gold handeln. Gegenüber erzählen Rebellen aus dem Nigerdelta, wie die Ölmultis ihre Heimat zerstören und verseuchen.
Bei solch einem politischen Thema wie "Streamlines" hätte die Ausstellung leicht plakativ und platt-didaktisch werden können. Stattdessen ist sie vor allem eines: unbequem. Jedenfalls für den nordeuropäischen Betrachter. Denn auch wenn allgemein bekannt ist, dass die großen aktuellen Probleme mit dem jahrhundertealten Beharren des Westens auf politischer und ökonomischer Vormacht zusammenhängen: Die Ausstellung macht einem das – und die eigene Verantwortung – noch einmal auf ganz andere Weise bewusst.
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