Ausstellung

Röhren wie Stäbe aus Eis

Von Anette Schneider · 28.11.2013
Geboren 1936, floh die Hamburger Künstlerin noch als Kind mit ihrer Familie vor den Nationalsozialisten. In den USA arbeitete Eva Hesse bis zu ihrem frühen Tod im Jahr 1970. Ihre Arbeiten werden jetzt in der Hamburger Galerie der Gegenwart präsentiert – es ist erst die zweite bundesdeutsche Ausstellung.
An einer Wand lehnen 50 Röhren. Jede ist knapp 1 Meter 50 lang. Die Röhren wirken wie große Stäbe aus Eis: ihre Oberfläche glitzert, wirkt aus der Nähe feucht und kristallin, kompakt - und doch zerbrechlich.
Eva Hesse schuf die Röhren 1968 aus Glasfaser und Polyesterharz. Drei Jahre zuvor hatte sie sich von der Malerei ab- und der Skulptur zugewandt, in der sie mit bis dahin völlig unüblichen Materialien arbeitete: Mit Plastikfolie, Plastikrohren, Plastikschläuchen - und, so Kuratorin Petra Roettig:
"Vor allem hat sie die Glasfaser und das Polyester für sich entdeckt. Damit konnte sie formen, gerade bei der Glasfaser. Das sind ja so kleine Platten die hat sie übereinander geschichtet, darunter Plastik zum Beispiel gelegt, und dadurch wirklich neue, ganz aufregende Formen gemacht. Und sie selbst wusste ja auch nicht, wie das reagiert, wie das funktioniert. Aber es sind eben diese weichen Materialien, das sehr, sehr sinnliche Material - und damit hat sie wirklich wild experimentiert."
Sie bestrich zartestes Leinen mit zahlreichen Schichten Latex, und hängte sie auf wie Wäsche zum Trocknen. Sie schuf eine quadratische Box aus dicken Plastikplatten, in die sie tausende Löcher bohrte, durch die sie kurze harte Plastikschläuche zog, die nach innen zeigen - und so einen brutalen Kontrast schuf zwischen der glatten Außenfläche und dem bedrohlichen, chaotischen Innenleben.
Riesiger Freundeskreis von Künstlern in New York
Und während ihre minimalistischen Künstlerfreunde Donald Judd und Carl Andre klinisch saubere Quadrate und Rechtecke produzierten, um die angeblich "reine Form" zu feiern, irritierte Hesse mit Reihungen und Wiederholungen von transparenten Gefäßen oder Kisten, in die sie winzige Unterschiede einbaute.
"Ich glaube schon, dass es so eine Idee war, etwas ganz Neues zu schaffen, - was schon auf die Minimal-Kunst aufbaut, aber noch einmal einen ganz anderen, sehr persönlichen Charakter hat. Und sie hat immer wieder gesagt, es geht ihr auch um das Serielle. Um diese, das hat sie immer gesagt: "absurdity". Also auch das, was im Seriellen als Absurdität sich entwickelt."
Eva Hesse, 1936 in Hamburg geboren, floh zwei Jahre später mit der Familie vor den Faschisten nach New York. In den 50er Jahren studierte sie dort Kunst, verbrachte 1964 mit ihrem Mann ein Jahr in der Bundesrepublik, entdeckte auf Reisen Duchamp und den Surrealismus, und lernte Jean Tinguely und Beuys kennen. Zurück in New York trennte sich das Paar, und Eva Hesse begann mit ihren Skulpturen. Die waren so neu und überraschend, dass sie schnell zahlreiche Ausstellungsangebote erhielt, und trotz der absolut männlichen Dominanz der jungen New Yorker Kunstszene von dieser ernst genommen wurde.
"Das war ein riesiger Freundeskreis. Man hat sich getroffen, über Kunst unterhalten, fast täglich gesehen bei den Studios, hat über die Arbeit diskutiert, über die eigene und die der anderen. Und sie war sehr, sehr angesehen. Sie hat diesen intellektuellen Austausch gehabt. Sie hat sehr viel gelesen, mit Mel Bochner diskutiert, hat Jasper Johns verehrt etc. ... Sie hat es wirklich geschafft, sich durchzusetzen in dieser Männerwelt der Minimal-Kunst. Und das war nicht einfach!"
Serielles aus fragilen Materialien
Die Ausstellung zeigt, wie konsequent sie in den letzten fünf Jahren ihres Lebens ihren Weg verfolgte: Unermüdlich beschäftigte sie sich in Objekten, Installationen und Zeichnungen mit dem Seriellen. Fast methodisch führte sie an scheinbar gleichen Formen Widersprüchlichkeiten, Gegensätze, Eigenheiten vor. Genau das ist es wohl auch, was viele ihrer großen Objekte so anrührend macht. Bei allen künstlerischen und kunsttheoretischen Überlegungen, die sie getrieben haben mögen, wirken viele ihrer transparenten, filigranen Arbeiten, als ginge es hier auch um elementar-menschliche Empfindungen: Um das Beharren auf individuellen Eigenheiten in der Gruppe, um Verletzlichkeit und Vergänglichkeit.
Dass diese Arbeiten nun in Hamburg zu sehen sind, kostete die Kuratorinnen Brigitte Kölle und Petra Roettig viel Geduld und Überzeugungskraft. Erst einmal lehnten sämtliche Museen ihre Leihanfragen ab. Weil, so Petra Roettig:
"Es eben wirklich hochfragile Arbeiten sind. Glasfaser, Polyester. Das kann man sich vorstellen: Das altert, das verändert auch seine Farbe. Aber vor allem: Es wird dann wirklich wie Glas. Und diese Arbeiten sind inzwischen 50 Jahre alt. Und das ist natürlich für ein Museum auch nicht leicht, diese wirklich großen, großen Arbeiten dann über den Atlantik hierher zu schicken."
So ist die Ausstellung ein doppelter Glücksfall: Sie zeigt Kunstwerke, von denen einige wohl zum letzten Mal auf Reisen geschickt wurden. Und sie ehrt endlich eine Künstlerin, die - in Hamburg geboren -, hier als Jüdin verfolgt und aus ihrer Heimat vertrieben wurde.
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