Ausstellung

Moderne Kunst trifft Ethnologische Sammlung

Museumsleiter Wulf Köpke sitzt am 09.01.2013 vor dem Maori-Haus «Rauru» im Völkerkundemuseum in Hamburg.
Museumsleiter Wulf Köpke sitzt vor dem Maori-Haus. © picture-alliance / dpa / Christian Charisius
Von Anette Schneider · 14.06.2014
Das Völkerkundemuseum Hamburg kooperiert für eine Reihe mit Rik Reinking, der zeitgenössische Kunst und ethnologische Objekte sammelt. "Beyond Melancholia" heißt die erste Ausstellung und bietet Kultur als gefühligen Zeitvertreib.
Im Raum für Sonderausstellungen ist es dunkel. Die einzelnen Objekte werden nur sparsam beleuchtet. Im Zentrum erkennt man - Kiel nach oben - ein langes, dunkles, aufgedocktes Ruderboot. Man sieht ein Ölbild à la Caspar David Friedrichs Mönch am Meer, nur dass hier ein junger Mann mit Kapuzenpulli auf's Wasser sieht. Etwas weiter steht eine geschnitzte indische Tempeltür. In einer Vitrine liegen bemalte Menschenschädel aus Tirol. Ein Bild von Banksy zeigt ein Mädchen mit Gasmaske. Wulf Köpke, Direktor des Völkerkundemuseums:
"Wir haben einfach mal beschlossen: Wir wollen ganz neu auf völkerkundliche Objekte und auf moderne Kunst gucken. Unbelastet von allem kunsthistorischen und völkerkundlichen Ballast."
Der "Ballast" sind die für das Verständnis der Objekte notwendigen Informationen. Sie fehlen völlig. Warum?
"Weil wir gemerkt haben, völkerkundliche Objekte sind sehr schwer zum Sprechen zu bringen. Man muss immer sehr, sehr viel erklären. Aber das Thema Gefühle erlaubt einfach auch, zu fühlen. Man kann es einfach erfühlen, wenn wir es gut machen."
Kaum Infos zu den Exponaten
So erfährt man über die Kunstwerke nur Titel und Künstler. Über die ethnologischen Dinge nur, woher sie stammen. Nicht einmal die Entstehungszeit wird genannt. Der Sammler Rik Reinking:
"Die Entscheidung, alle Entstehungsdaten wegzunehmen war eine ganz bewusste, um eben diese Zeitspanne aufzuheben. Um eben nicht zu sagen: Oh, das Boot ist 100 oder 200 Jahre alt. Und darum hat es einen Wert. Sondern einfach, dass alles von dem Zeitstrang runterzunehmen, und zu gucken: Wo berührt mich das emotional."
Zwischen großteils peinlich platten zeitgenössischen Werken, zwischen Masken, bemalten Totenköpfen, dem Boot und einem Bienenkorb steht der Besucher also in jeder Hinsicht im Dunkeln: Herausgelöst aus den historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen, werden die ethnologischen Objekte ihrer spezifischen funktionalen und ideologischen Eigenheiten beraubt. Sie werden gleichgemacht. Ob eine Maske aus Ozeanien von heute stammt oder um 1900 ans Haus kam, und vielleicht koloniale Raubkunst ist - alles wurscht. Kunstwerk oder Alltags- und Ritualobjekt? Egal! Wulf Köpke:
"Wir zeigen ja menschliche Gefühle, in diesem Fall Melancholie und Ekstase. Und das soll man ganz unmittelbar spüren, ohne dass ich etwas erkläre. Also ganz unmittelbar soll man in die Ausstellung gehen. Ganz unbelastet. Es gibt einen kurzen Text, mehr nicht."
Trendiges Konzept
Immer wieder präsentieren Museen völkerkundliche Objekte zusammen mit aktueller Kunst. Oft erklären sie dabei die Objekte mit imperialem Habitus zu Kunst, berauben sie damit ihrer Geschichte und Funktion. So bespielt Rik Reinkings Sammlung auch gerade die Weserburg. Die Berlin Biennale verfolgt ein ähnliches Programm.
Nun ist Hamburg dran. Die dortige Reduzierung von Kunst und Kultur auf einen gefühligen Zeitvertreib rechtfertigt Köpke auch mit der Behauptung, die Besucher seien der vielen Erklärungen müde. Als sei es nicht Aufgabe der Museen, durch allgemeinverständliche Formulierungen neugierig zu machen und aufzuklären.
Doch, so Wulf Köpke:
"Man muss es auch mal wagen, dass die Objekte so zu einem sprechen. Ich merke auch, dass ich in Kunstmuseen oft mit den ganzen kunsthistorischen Erklärungen nichts anfangen kann. Ich les es einfach nicht mehr. Und da wird ein Insider-Kreis erzeugt. Und das wollten wir einfach mit Rik Reinking auch durchbrechen und sagen: Komm, lass das mal auf dich wirken. Und wenn es um Gefühle geht, kann man sich das auch erlauben. Und das find ich einfach eine ganz wichtige Sache, einfach diesem Gefühl nachgeben, nicht immer alles sehr intellektuell machen."
Meditation statt Aufklärung
Man müsste diese Ausstellung nicht allzu ernst nehmen, wenn nicht noch sechs weitere zu anderen Gefühlen geplant wären. Und wenn sich das Projekt nicht einreihen würde in einen Trend, der sich seit einiger Zeit im Umgang mit Kunst und Kultur bemerkbar macht: einer massiven Entintellektualisierung. Fühlen statt Denken und Nachdenken heißt das neue Motto! Meditation statt Aufklärung. Unterhaltsame Entspannung statt lustvollem Widerspruch.
Da zeigen führende Kunstmuseen den Modemacher Karl Lagerfeld. Marina Abramovic schwärmt von ihrem neuen Projekt als meditative Aktion mit viel positiver Energie. In Hamburg präsentiert sich alljährlich "Lux Aeterna" als "Musikfest für die Seele" und spielt ausschließlich spirituelle Musik.
"Wir machen ja die Erfahrung, dass die Menschen ins Maori-Haus kommen - das ist auch kontextutalisiert - und die sagen: Das interessiert uns alles nicht, wir wollen hier nur sitzen und meditieren."
Kunst und Kultur sollen, bitte schön, nicht mehr anstrengen, nicht mehr provozieren und zu neuen Gedanken anregen. Sie sollen wohltun und entspannen wie ein Nachmittag im Spa. Dafür aber braucht es auf Dauer keine Museen.