Ausstellung im Hamburger Bahnhof

Do-it-yourself Kunst von Michael Beutler

Künstler Michael Beutler im Museum "Hamburger Bahnhof"
Künstler Michael Beutler arbeitet am 16.04.2015 im Museum "Hamburger Bahnhof" in Berlin an seiner Installation "Moby Dick". © picture alliance / dpa / Foto: Stephanie Pilick
Von Simone Reber · 16.04.2015
Alurohre werden mit Klettband zusammengehalten und Stahlgitter sind mit Folie bezogen. Diese Materialien verwendet der Künstler Michael Beutler für seine Installation. Dazu ist jetzt im Hamburger Bahnhof in Berlin seine Ausstellung "Moby Dick" zu sehen.
Drei hohe Torbögen spannen sich auf schlanken durchsichtigen Pfeilern quer durch die lichte Bahnhofshalle. Dahinter sitzt wie ein dicker Guglhupf das transparente Drehtor. Es soll einmal auf Wasser schwimmen und rotieren. Mit seiner Treibhausarchitektur bringt Michael Beutler die ursprüngliche Funktion des Kopfbahnhofs wieder zum Vorschein.
"Dieses Drehtor ist eine Abwandlung des Eingangsbereichs der großen beiden Bögen, wo früher die Eisenbahn durchgefahren ist, auf dem Vorplatz gedreht worden ist und wieder raus gefahren ist, weil die Lokomotiven halt nicht rückwärts fahren konnten. Das heißt, die Idee der Drehung der Lokomotiven durch die Tore ist hier in eine Form gebracht."
Glas und Gusseisen der Bahnhofsarchitektur nimmt der Künstler in seinem Luftschloss optisch auf. Aber als Material verwendet er mit Folie bezogenes Stahlgitter, sogenanntes Pecafil. Es dient auf dem Bau für Betonverschalungen. 3000 qm Wandfläche hat Michael Beutler von einer Spezialfirma produzieren lassen.
"Die haben einen großen Backofen und da wird dann halt das Gitter geschweißt. Und danach wird die Folie drum gelegt, dann läuft es durch den Backofen und dann wird die Folie warm und weich und klebt aneinander und dann läuft es durch eine Mangel durch und hinten kommt halt das eingepackte umschrumpfte Material raus."
Vor Ort kann der Bildhauer nun die fertigen Elemente nach Bedarf einsetzen. Die Dachabschnitte sind mit Seemannsknoten vertäut. Jeder Arbeitsschritt ist auf dieser Baustelle sichtbar. Unter dem geschwungenen Dach herrscht sanftes, milchiges Licht.
"Das Material ist nicht nur so genommen, wie es aus der Fabrik kommt, sondern wurde eben gemalt, von beiden Seiten. Mit einer Schattierfarbe, die auf Gewächshäuser aufgestrichen wird. Was mit der Architektur zu tun hat. Und das Schöne an der Gewächshausfarbe ist, dass, wenn es hier regnen würde, dann würde sie transparent werden. Und es kommt mehr Licht ins Gewächshaus, obwohl es bewölkt ist."
Wie die Atemfontäne eines Wals
Von außen betrachtet erinnert das runde Dach auch an die Atemfontäne eines Wals. Moby Dick, im Roman von Hermann Melville der furchterregende Feind des Kapitän Ahab, ist für Michael Beutler eher ein freundlicher Begleiter. Ebenso wie die Berliner Zugverbindung zum Seehafen Hamburg hat auch der Walfisch mit seinem Tran für die Lampen zur Industrialisierung beigetragen. Auf seiner Baustelle dreht Michael Beutler das Rad zurück. Er zerlegt industrielle Produktionsprozesse, vereinfacht sie und entwirft eigene Maschinen, um Baustoffe selbst herzustellen. Am Spinnrad dreht sich gerade ein mit Leim überzogenes Alurohr wie am Spieß.
"Das ist eine Kreuzung aus einem Spinnrad und einer Drechselmaschine und damit werden jetzt Alurohre und Bambusstangen mit Fäden umwickelt und vor allem hat das den Effekt, dass an dem Bambus ein Klettband hält."
In Kolumbien hat Michael Beutler Baugerüste aus Bambus gesehen. Statt mit Knoten verbindet er seine Stangen mit Klettband. Wie praktisch, dass ein französischer Klettbandhersteller gleichzeitig Kunstsammler ist. Als die Spindel hakt, bleibt der Künstler ruhig. Das Problem können die Arbeiter alleine lösen.
"Große technische Probleme sind auf einfache Probleme reduziert. Das sind halt diese Werkzeuge. Und dann ist das Werkzeug so ausgelegt, dass man daran besser werden kann. Das heißt, man kann sich mit der Arbeit entwickeln und in der Arbeit etwas untersuchen. Als Arbeitender."
Besucher können an diesem Riesenwerk die Details untersuchen. Die vielfarbigen Fäden stammen aus einer Weberei für Flugzeugteppiche. Weiche Bänder fand Beutler im Katalog für Großgärtnereien. Auf jeder Reise studiert er hochspezialisierte Handwerkstechniken, um, wie er sagt, seine Palette zu erweitern. Mit Moby Dick führt der Bildhauer die Industrialisierung auf das Do-it-yourself Verfahren zurück. In der gigantischen Bau-Maschine wird der Mensch auf diese Weise wieder zum gestaltenden Subjekt. Deshalb stimmt es für Michael Beutler auch nicht, dass sein Werk mit dem Abbau der Ausstellung wieder verschwindet.
"Es bleibt recht viel. Das Gerät bleibt da. Der Apparat bleibt da. Es bleibt ein Wissen darum, wie man den bedient. Es gibt Materialien dazu, wo man sieht, was damit gemacht worden ist. Das Handwerk bleibt eben erhalten."

Die Ausstellung "Moby Dick" von Michael Beutler ist noch bis zum 6. September im "Hamburger Bahnhof" in Berlin zu sehen.
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