Ausstellung im Frankfurter Museum für Moderne Kunst

"Die Kunst ist immer wieder bedroht"

Passanten gehen am Donnerstag (02.06.2011) in Frankfurt am Main an einer Fensterscheibe vorbei, in der sich das Museum für Moderne Kunst spiegelt.
Das Frankfurter Museum für Moderne Kunst beherbergt "Das imaginäre Museum" © picture alliance / dpa / Marc Tirl
23.03.2016
Was wäre, wenn es keine Kunst und keine Museen mehr gäbe? Diese Frage hat sich das Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) in der Ausstellung "Das imaginäre Museum" gestellt - und überraschende Antworten gefunden.
Korbinian Frenzel: Es ist etwas schwer, in Tagen wie diesen, Zukunftsvisionen zu entwickeln, wenn die Gegenwart derartig präsent ist. Aber vielleicht sollte und muss man es gerade deshalb tun. Stellen Sie sich vor, das Jahr 2052: Museen sind von der Auslöschung bedroht, die Kunst droht zu verschwinden, und in diesem Szenario gibt es eine große Rettungsaktion. Die wichtigsten Werke der europäischen Kunst werden in einem transnationalen, in einem imaginären Museum gerettet. Sie müssen nicht bis 2052 warten, eine solche Ausstellung, das "Imaginäre Museum", wird heute Abend eröffnet, eine Ausstellung, für die sich drei renommierte Museen zusammengeschlossen haben, das Centre Pompidou, die Tate und das Frankfurter MMK. Dessen Vizedirektor und Kurator der Ausstellung begrüße ich bei uns, Peter Gorschlüter, guten Morgen!
Peter Gorschlüter: Guten Morgen!
Frenzel: Wie sind Sie auf diese Idee gekommen, die Welt ohne Kunst zu denken?
Gorschlüter: Das Szenario ist inspiriert von einem Science-Fiction-Roman, von Ray Bradburys "Fahrenheit 451", ein Roman, der 1853 verfasst wurde, und der eben eine düstere Zukunft beschreibt, in der die Welt der Literatur verbrannt ist. Literarische Werke werden von der Feuerwehr nicht mehr gerettet, sondern verbrannt, und es gibt nur eine kleine Gruppe von Rebellen, von Widerständlern, die sich zurückziehen an die Ränder der Städte und beginnen, diese Werke zu memorieren, auswendig zu lernen, um sie für zukünftige Generationen zu bewahren.
Kollektives Experiment mit den Museumsbesuchern
Frenzel: Und das übertragen Sie auf die Kunst, das heißt, man lernt die Werke auswendig?
Gorschlüter: Genau. Im ersten Schritt haben wir uns zwei Fragen gestellt. Die erste Frage ist, was wäre, wenn tatsächlich die Kunst in der nahen Zukunft, im Jahr 2052, aus der Gesellschaft verschwinden würde? Was würden wir bewahren wollen, was würden wir vermissen? Was sind eigentlich die Eigenschaften, die Qualitäten, die Potenziale der Kunst. Was bedeutet diese für unsere Gesellschaft? Und daraus haben wir einen Parcours entwickelt, indem wir Werke aus den drei Sammlungen zusammengetragen haben, unter verschiedenen Aspekten, was Kunst bedeutet. Der zweite Schritt, die zweite Frage, die wir uns gestellt haben, wie könnte man die Kunst bewahren, wenn sie denn tatsächlich bedroht wäre, und da erwartet uns ein kollektives Experiment mit unseren Besucherinnen und Besuchern, denn am Ende der Ausstellung werden die Werke tatsächlich verschwinden, und die Ausstellung wird erneut eröffnen, und die Werke werden ersetzt sein durch Personen, die sie an ihrer Stelle erinnern.
Frenzel: Das heißt, am Anfang kann man schon etwas sehen, am Ende dann aber nicht mehr, da gibt es dann nur noch Erzählungen?
Gorschlüter: Richtig. Dann sind nur noch Menschen da und ihre Erinnerungen und ihre persönlichen Interpretationen. Das geht auch zurück auf die Beobachtungen, die wir als Museumsmenschen, als Ausstellungsmacher immer wieder feststellen können, dass Besucherinnen und Besuchern ein bestimmtes Werk in Erinnerung bleibt. Und sie tragen diese Erinnerungen, diese Emotionen, vielleicht auch diese geistige Beziehung, die sie zu einem Werk aufgebaut haben, mit nach draußen, mit nach Hause, aber selten wird die uns zurückgespielt in die Museen. Diese Ausstellung will genau diesen Prozess sichtbar machen, nämlich, dass die Besucherinnen und Besucher zurückkehren mit ihren Erinnerungen, ihren Interpretationen und diese im Museum präsentieren.
Dreijährige Debatte mit den beteiligten Museen
Frenzel: Sie haben mit dem Centre Pompidou und der Tate wichtige große Kooperationspartner. Haben Sie sich denn blind verstanden mit Blick auf diese Fragen, die Sie da anfangs formuliert haben, was eine solche transnationale Ausstellung ausmachen sollte?
Gorschlüter: Da kommen sicherlich ganz unterschiedliche Aspekte zusammen und unterschiedliche Prägungen. Jede Sammlung, so breit gefächert sie auch ist, hat dann doch ihre spezifischen Potenziale und ihre Qualitäten. Und auch die Kuratoren der drei Häuser – wir haben ja tatsächlich zusammengearbeitet mit einem Kuratorenteam, an dem alle drei Museen beteiligt waren, und das ist dann eine Diskussion, die über drei Jahre geführt wurde, wo wir immer wieder abgeglichen haben, wieder diskutiert haben, debattiert haben, welche Werke repräsentieren für uns diese Aspekte, die wir für wesentlich halten in der Kunst.
Frenzel: Und welche sind das?
Gorschlüter: Da gibt es zum Beispiel ein Kapitel, das heißt "Die Verwandlung", da geht es um die Fähigkeit der Kunst, Dinge des Alltags zu transformieren, sie in ihrer Größe zu ändern, in ihrer Materialität, ihrer Beschaffenheit, und sie sozusagen in den geistigen Raum zu führen, in unsere Vorstellungswelten, in unsere Träume und vielleicht auch in unsere Albträume. Oder es gibt ein anderes Kapitel, das ist betitelt, da geht es um Werke, die mit dem Aspekt von Zeit sich auseinandersetzen, die uns reisen lassen durch Zeiträume, aber auch durch reale Räume.
"Dinge, die einen fast gespenstischen Charakter entwickeln"
Frenzel: Haben Sie ein paar Namen, damit ich mir das vorstellen kann, also, was man am Anfang zumindest noch sehen kann?
Gorschlüter: Zum Beispiel in dem Kapitel "Die Verwandlung" sieht man zunächst eine hyperrealistische, überdimensionale Skulptur eines jungen Teenagermädchens im Badeanzug, eine Skulptur von Ron Mueck, der ja bekannt geworden ist mit seinen plastischen Figuren, die gleichzeitig auch alptraumhafte Zustände beschreiben. Oder ein Werk von Claes Oldenburg, "Soft Typewriter, Ghost Version", eine überdimensionale Schreibmaschine aus Textil, die in sich zusammensackt. Alles Dinge, die sozusagen aus dem Alltag heraus vielleicht uns bekannt sind, aus unserer Realität, unserer Wirklichkeit, aber einen fast gespenstischen Charakter entwickeln.
Frenzel: Imaginäres Museum, ich nehme das Stichwort noch mal auf. Mal ganz praktisch gefragt, wo finden wir das denn? In Frankfurt und auch an den anderen Standorten, oder auch möglicherweise darüber hinaus, im Netz?
Gorschlüter: Genau. Zunächst ist das eine Ausstellung, die bereits in der Tate Liverpool gezeigt wurde, jetzt bei uns im MKK 2, in unserer Dependance gezeigt wird bis zum vierten September, und anschließend ans Centre Pompidou nach Metz wandert. Darüber hinaus ist es aber auch so, das imaginäre Museum entsteht eigentlich erst am Ende der Ausstellung, wenn die Werke verschwinden und die Erinnerungen der Besucher sozusagen präsentiert werden. Wir haben verschiedene Anreize geschaffen, in der Ausstellung diesen Prozess des Memorierens einzugehen. Man kann die Werkbeschriftungen mitnehmen, als Abrisskalender sind die an den Wänden montiert. Die Wandtexte sind aus Zukunftsperspektive geschrieben, und wir werden diese Beiträge, die im Verlauf der Ausstellung entstehen werden, sammeln, digitalisieren, und so wird auf unserer Webseite nach und nach ein digitales Archiv entstehen, das man auch als imaginäres Museum bezeichnen könnte.
Kunst schafft es immer wieder in die Nachrichten
Frenzel: Ich möchte noch mal den Bogen spannen zum Beginn. Ist dieses Zukunftsszenario, eine Welt ohne Kunst, eine Art Spielerei, oder machen Sie sich ernsthaft Sorgen, dass es so kommen könnte?
Gorschlüter: Zunächst mal ist sie wirklich im Bereich der Science Fiction angesiedelt, aber wenn man die Ereignisse der letzten Monate betrachtet, da hat es die Kunst dann doch immer wieder auch in die politischen Nachrichten geschafft, leider meistens mit Negativnachrichten. Sei es, dass bedeutende Kulturdenkmäler zerstört wurden in Syrien, im Nordirak oder in Afghanistan. Oder dass der iranische Staatspräsident zu Gast ist in Italien und man dort antike Skulpturen verhängt, um ihm nicht zu nahe zu treten, letztendlich aus wirtschaftlichen Interessen. Diese Aufzählung könnte ich noch fortsetzen. Es sind vielleicht unzusammenhängende Ereignisse, aber trotzdem geben sie ein gewisses Bild wider. Und es zeigt auch, dass die Kunst durchaus immer wieder bedroht ist oder bedroht war.
Frenzel: Der stellvertretende Direktor des Museums für Moderne Kunst, des MMK, Peter Gorschlüter. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Gorschlüter: Vielen Dank!
Frenzel: Heute Abend also die Eröffnung der Ausstellung, über die wir sprachen. Das imaginäre Museum, Thema dann auch in "Fazit", der Kultur vom Tage bei uns im Deutschlandradio Kultur ab 23 Uhr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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