Ausstellung

Funktionalist und Vordenker

Blick in die Ernst-Neufert-Ausstellung im Neuen Museum in Nürnberg
Blick in die Ernst-Neufert-Ausstellung im Neuen Museum in Nürnberg © picture alliance / dpa / Foto: Daniel Karmann
Von Thomas Senne · 03.12.2013
Er hat die Fußgängerbrücke der Messe Hannover und die Wasserbauhalle Darmstadt gebaut – Ernst Neufert. Begonnen hatte er seine Karriere als Maurer und verdankte seinem Durchbruch als Industriearchitekt vor allem einem Bauhausstudium in Weimar und seinem Mentor Walter Gropius. In Nürnberg wird jetzt eine Retrospektive gezeigt.
Eigentlich ist der 1900 in Freyburg an der Unstrut geborene Ernst Neufert nur ein gelernter Einschaler, Betonierer und Maurer. Dass er später als bedeutender deutscher Industriearchitekt Anerkennung findet, hat er letztlich seinem kurzen Studium am Weimarer Bauhaus und - Walter Gropius zu verdanken. Der holt ihn nämlich schon 1922 in sein Privatbüro und bescheinigt ihm "außerordentliche fähigkeiten“. Bald überträgt Gropius dem jungen Mann wichtige Projekte. Beispielsweise die Errichtung der sogenannten "Meisterhäuser“ in Dessau und des dortigen neuen Bauhaus-Schulgebäudes, sagt der Kurator Udo Gleim von der Technischen Universität Darmstadt.
"Ich würde sagen, dass Gropius auf jeden Fall für Neufert sehr prägend war. Walter Gropius hat sich in den 20er Jahren sehr stark für eine Industrialisierung eigentlich geradezu für den Fordismus im Bauwesen eingesetzt. Und das ist eine Entwicklung, die Neufert später intensiv weiterführen wird."
Als Gropius, der die Prinzipien industrieller Fließbandfertigung in der Architektur propagiert, Neufert sogar eine Büropartnerschaft anbietet, lehnt der überraschenderweise ab und wird lieber Professor an der Staatlichen Bauhochschule Weimar. Biografische Details, die der Ausstellungsbesucher im Foyer des Neuen Museums Nürnberg bebilderten Texten auf Stellwänden entnimmt oder in weißen Tischvitrinen aufgeblätterten Publikationen.
Rezeptbuch für Architekten
Mit der Veröffentlichung seiner "Bauentwurfslehre“, einer Art Rezeptbuch für Architekten, wird Neufert 1936 international berühmt. Das normative Nachschlagwerk erscheint heute etwas überarbeitet immer noch - in der 40. Auflage. Es enthält für die Erstellung von Grundrissen wesentliche Abmessungen und Funktionsabläufe: vom Hasenstall bis zum Großflughafen. Auch Hitlers Baumeister Albert Speer fühlt sich von diesem Kompendium angesprochen und ernennt Neufert zum "Reichsnormenbeauftragten“.
Der soll das gesamte deutsche Bauwesen – um im Zweiten Weltkrieg Kosten zu sparen – standardisieren. Nicht das Individuelle steht im Mittelpunkt dieser Planungen, sondern normierte, leicht reproduzierbare Baumaße wie das "Oktameter-System“, das auf einem Achtel Meter basiert und sich gut für die massenhafte Errichtung von Baracken eignet. Auch für den Bau von Konzentrationslagern?
"Was die Bauordnungslehre, die 1943 erschien, als zweites Bauhandbuch nach der Bauentwurfslehre, von der letzteren unterschied, war beispielsweise, dass in der Bauordnungslehre nun auch Bauaufgaben behandelt wurden, die tatsächlich für die Rüstungsproduktion wichtig waren. Dazu kamen auch Behelfsbauten und Baracken. Also auf diese Art und Weise ist die Arbeit Neuferts sicherlich auch in diese Bereiche der Bauproduktion eingeflossen."
Quelle-Versandhaus - Ikone der Wirtschaftswunderzeit
Nach dem Krieg wird Ernst Neufert im Rahmen der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft. Inzwischen Professor an der TH Darmstadt kann der Funktionalist nahtlos seine Erfahrungen beim Wiederaufbau des zerbombten Deutschlands einbringen. Beim Großversandhaus "Quelle“, dessen ersten Abschnitt er 1955 für den Arisierungsgewinnler Gustav Schickedanz fertig stellt, greift Neufert, wie jetzt Illustrationen und Bildprojektionen an den Ausstellungswänden belegen, auf alte Entwürfe zurück. Die riesige Quelle-"Versandmaschine“ entpuppt sich so als eine Art Zwillingsschwester einer 1941 im Elsass errichteten Rüstungsfabrik. Kurator Udo Gleim:
"Das Großversandhaus Quelle an der Fürther Straße in Nürnberg war zu seiner Entstehungszeit weltweit einmalig. In diesem Bau verbergen sich neuste Technologien der Lagerhaltung und der Logistik und sie sind verpackt in eine extrem funktionale Hülle, die allerdings bei näherer Betrachtung bis ins Detail unglaubliche gestalterische Qualität aufweist."
Ein über 250.000 Quadratmeter großes Gebäudeareal mit orange-brauner Klinkerfassade, das nach der Quelle-Insolvenz 2009 weitgehend leer steht. Was aber tun mit dieser Riesen-Immobilie? Als denkmalgeschützte "Ikone der Wirtschaftswunderzeit“ erhalten und neu beleben? Oder: Abreißen, wie der bayerische Finanzminister Markus Söder vorschlägt? Die Nürnberger Vorsitzende vom Bund Deutscher Architekten und Mitträgerin der Ausstellung, Annemarie Bosch, hat dazu ihre eigene Meinung.
"Ich plädiere vor allen Dingen zunächst dafür, dass man sich intensiv mit dem Gebäude auseinandersetzt und dass wir dem Prozess Zeit geben - einer Neuentwicklung, Weiterentwicklung."
So stellt die etwas papierlastige Nürnberger Ausstellung einerseits den 1986 in der Schweiz verstorbenen Architekten Ernst Neufert in all seinen Facetten vor und liefert andererseits gleichzeitig wichtiges Anschauungsmaterial für eine sachliche Auseinadersetzung mit einem kulturpolitisch brisanten Thema. Eine Schau, dicht am Pulks der Zeit.
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