Ausstellung

Ein deutscher Ausnahmejurist

Verschiedenste Objekte werden am 09.04.2014 im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main (Hessen) in der Ausstellung "Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht" präsentiert.
Am Mittwoch, den 9. April 2014, wird die Ausstellung über den legendären Staatsanwalt Fritz Bauer in Frankfurt eröffnet. © dpa / picture alliance / Arne Dedert
Moderation: Dieter Kassel · 09.04.2014
Ohne den Staatsanwalt Fritz Bauer wäre 1963 der Auschwitz-Prozess nicht zustande gekommen. Als Jude, Sozialdemokrat und Homosexueller war er sowohl in der NS-Zeit als auch in der Adenauer-Ära ein Außenseiter, sagt die Kuratorin Monika Boll.
Dieter Kassel: Winfried Sträter über das Leben von Fritz Bauer. Es war eine sehr kurze chronologische Skizze, sehr viel mehr erfährt man in der Ausstellung "Fritz Bauer. Der Staatsanwalt: NS-Verbrechen vor Gericht", morgen wird sie offiziell eröffnet, heute Abend gibt es eine Eröffnungsveranstaltung in Frankfurt. Und wir wollen über diese Ausstellung sprechen mit der Kuratorin und Mitherausgeberin des Begleitbands, mit Monika Boll. Schönen guten Tag, Frau Boll!
Monika Boll: Schönen guten Tag!
Kassel: Wir haben es ja gehört gerade in dieser kurzen Zusammenfassung: Fritz Bauer war vor der Machtübernahme als junger Mann schon sehr erfolgreich, war Amtsrichter in Stuttgart. Das endete natürlich 1933 mit seiner Verhaftung, mit der Zeit im KZ. Dieser Karriereknick, der das ja auch war, die Entlassung aus dem Staatsdienst, was hat das für ihn damals bedeutet?
Boll: Ja, das führte letztendlich dann zur Emigration, aber zunächst einmal ist er ja festgenommen worden, war für einige Monate im Konzentrationslager, gemeinsam mit Kurt Schumacher, dem späteren Vorsitzenden der SPD, und er hat dann ab November '33, als er wieder freigelassen wurde, natürlich nicht mehr als Richter arbeiten können, sondern hat sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser gehalten, hat ein bisschen seinem Vater im Textilgeschäft geholfen und ist aber weiter unter Observierung der Nazis geblieben und hat es dann vorgezogen, nach Dänemark zu emigrieren.
Kassel: Es gibt eine wichtige neue Erkenntnis über diese Zeit von Fritz Bauer in Dänemark ab 1936, und Sie schreiben selber im Vorwort zu dem erwähnten Begleitband, dass es bei Ihnen offenbar auch Diskussionen darüber gab, ob diese neuen Erkenntnisse in voller Form in die Öffentlichkeit gehören. Es geht da um die Homosexualität Fritz Bauers und wie die dänischen Behörden ihn deshalb überwacht haben. Warum haben Sie sich – erst mal ganz grundsätzlich – entschlossen, das tatsächlich zum Thema der Ausstellung und insbesondere auch des Begleitbands zu machen?
Boll: Weil wir der Meinung waren, dass diese Tatsache, dass Bauer in Dänemark wegen seiner Homosexualität observiert wurde, so gravierend für sein Leben im Exil war, dass das eine so wichtige Facette in seinem Leben ist, die eben auch historisch aufgearbeitet und gewürdigt gehört. Also man muss sich ja mal vorstellen, dass jemand, der in Deutschland zunächst als Sozialdemokrat verfolgt wurde, deshalb ins Konzentrationslager kam, dann als Jude emigrieren musste, dann in ein Land kam, in dem er eigentlich als Sozialdemokrat sehr willkommen war – weil Dänemark zu der Zeit sozialdemokratisch regiert wurde –, dann aber im Exilland, wo er sich eigentlich sicher fühlte, nun wiederum doch observiert wurde aufgrund seiner Homosexualität, … Das hat natürlich sein soziales Leben absolut beeinträchtigt.
Observiert wegen seiner Homosexualität
Kassel: Warum aber diese Erkenntnis erst jetzt, 45, 46 Jahre nach seinem Tod?
Boll: Also in der Bundesrepublik zu dieser Zeit gab es ja noch den § 175, der war gültig bis 1969 und da war es natürlich für einen Generalstaatsanwalt in diesem Posten, in dieser Position undenkbar, dass er sich dazu öffentlich bekannt hätte.
Kassel: Der hat es tatsächlich offenbar geschafft, bis zu seinem Tod in der Bundesrepublik es komplett geheim zu halten, dass er homosexuell war?
Boll: Ich glaube, dass er darin eine ganz durchschnittliche Biografie von Homosexuellen in der frühen Bundesrepublik war.
Kassel: Gibt es denn irgendwelche Unterlagen, ich weiß auch nicht, Briefverkehr, irgendetwas, was mit seiner Homosexualität hat aus der Zeit ab '49 wieder in Deutschland?
Boll: Nein, überhaupt nichts.
Kassel: Wir reden heute Nachmittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Monika Boll, sie ist Kuratorin der Ausstellung "Fritz Bauer. Der Staatsanwalt: NS-Verbrechen vor Gericht", die ab morgen bis September dann in Frankfurt am Main zu sehen ist und auch eine der drei Herausgeber des Begleitbandes. Nun sind wir ja schon über das Thema der Homosexualität in der Zeit wieder in Deutschland gelandet, aber warum ist Fritz Bauer in die Bundesrepublik gegangen, Frau Boll, und warum erst so spät, warum erst 1949?
Boll: Also er war ja sehr fest eingebunden seit den 20er-Jahren in die SPD, und er war ja in Dänemark auch hauptsächlich in Kreisen der Exil-SPD, und diese Exilanten hatten sich natürlich, sobald ein Kriegsende absehbar war, die größten Hoffnungen gemacht, dass jetzt, nachdem es zu einer Kapitulation, einer militärischen Kapitulation gekommen ist, tatsächlich sich fundamental etwas in Deutschland ändern ließe. Natürlich hat sich die SPD auch größte Hoffnungen gemacht, die Wahlen zu gewinnen, möglicherweise den ersten Kanzler zu stellen. Das ist dann sehr schnell enttäuscht worden, aber alle politisch engagierten Emigranten sind mit großen Hoffnungen und Ideen zurück nach Deutschland gekommen, und Bauer berichtet auch, dass sie sich in Schweden im Exil, wo er ja Willy Brandt getroffen hat und kennengelernt hat, dass sie sich da die Köpfe heißgeredet hätten, wie denn dann nach '45 Deutschland wieder neu aufgebaut werden könnte.
Kassel: Er ist heute den meisten Menschen in Erinnerung geblieben als der Mann, der die Auschwitz-Prozesse angeschoben hat, und es ist sicherlich grundsätzlich sachlich nicht falsch und es ist auch nicht falsch, sich daran zu erinnern. Aber wenn man seine Arbeit nur darauf beschränkt betrachtet, dann wird man ihm eigentlich nicht gerecht, oder?
Boll: Die Auschwitz-Prozesse waren sicher auch für ihn selber die wichtigsten Prozesse, die er angeschoben hat und mit begleitet hat. Aber er hat natürlich darüber hinaus viele andere Prozesse auch zur Aufklärung von NS-Verbrechen eingeleitet, bei denen er nicht so erfolgreich war. Also zum Beispiel die geplanten Verfahren zu den Euthanasie-Verbrechen sind ja letztendlich im Ermittlungszustand dann beendet worden, weil dort eine Rechtsprechung, die den Tätern eben nicht nachweisen konnte, dass sie aus Mordgier und aus persönlichem Interesse gemordet hatten, eben den Tätern dort zugute kam, weil sie sich an geltendes Recht der NS-Zeit gehalten haben. Und das war immer wieder ein Hindernis, eben solche Prozesse auch durchzuführen, für ihn, und diese Prozesse sind dann auch eingestellt worden.
Anwalt im Dienst des Volkes
Kassel: Aber ich habe auch das Gefühl, dass er aber auch jemand war, der auch jenseits der Aufarbeitung von NS-Verbrechen einfach eine andere Vorstellung davon hatte, was eigentlich ein Staatsanwalt zu sein hat in einer Demokratie und wen er eigentlich vertritt, nämlich das Volk, und nicht irgendeine ominöse höhere Macht.
Boll: Ja. Das Bild hat er wirklich geändert und er hatte selber eine völlig andere Auffassung davon. Also deshalb hat die Ausstellung auch den Titel "Der Staatsanwalt", sozusagen als ein Typus, über den ein bestimmtes Bild seinerzeit noch herrschte, das von Bauer aber nicht erfüllt wurde. Also die damalige Meinung war eben, ein Staatsanwalt ist immer in erster Linie ein Vertreter der Staatsräson, und er hat einzuklagen Pflichtgefühl und Gehorsam des Bürgers gegenüber dem Staat. Und nun hat Bauer sich quasi zum Botschafter des ersten Artikels des Grundgesetzes gemacht, dass nämlich der Staat die Bürger in erster Linie zu schützen hat vor Gewalt, und zwar auch vor staatlicher Gewalt. Und das war sicher nach dem Nationalsozialismus sehr, sehr, sehr notwendig, dieses Umdenken, das war wirklich ein großer Schritt hin zur Demokratisierung, und es fiel in der allgemeinen Wahrnehmung oder in der öffentlichen Wahrnehmung über das, was ein Staatsanwalt sein soll, eben noch sehr schwer, das anzunehmen. Das haben immer am besten zum Beispiel seine Feinde gewusst. Also wir haben in der Ausstellung einen Brief, eine Postkarte, die an Bauer geschickt wurde, in dem es wörtlich heißt: "Ein Staatsanwalt steht für Ordnung, Recht und Sauberkeit, Sie sind nichts von alledem, Sie Staatsanwalt", und dann gibt es einen Schwall von Beschimpfungen, der auch vor antisemitischen Beleidigungen nicht zurückschreckt.
Kassel: Fritz Bauer, ein Mann mit vielen Facetten, beruflich aber auch privat, vielleicht nicht absolut alles, aber vieles davon wird man sehen können ab morgen, für jedermann geöffnet die Ausstellung "Fritz Bauer. Der Staatsanwalt: NS-Verbrechen vor Gericht" im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main, die ist dann zu sehen immer dienstags bis sonntags bis insgesamt zum 7. September. Wir sprachen über diese Ausstellung, über den Begleitband und natürlich über diesen Menschen Fritz Bauer mit der Kuratorin und Mitherausgeberin des Begleitbandes Monika Boll.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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