Ausstellung

Der Wohnraum als moderne Klosterzelle

Von Christian Gampert · 23.03.2014
Konstantin Grcic ist der wahrscheinlich einflussreichste Designer Deutschlands. Sein berühmter Stuhl "Chair One" etwa wurde mehr als ein Dutzend Mal plagiiert. Die Ausstellung "Panorama" zeigt ihn und andere Objekte, die die typische Coolness und Einfachheit seiner Arbeiten besitzen.
Der prototypische Wohnraum, den Konstantin Grcic ins Vitra-Design-Museum hineingebaut hat, ist eine moderne Klosterzelle: kühle Materialien, kahle, glatte Flächen, Reduktion auf das Notwendigste, keine überflüssigen Objekte. Der Entwerfer redet auch gar nicht groß drumrum: Im Begleittext zu seinem Wohnmodul wird ausdrücklich das Renaissance-Gemälde "Der heilige Hieronymus im Gehäuse" von Antonello da Messina erwähnt. Dort lebt der forschende Kirchenvater in seinem Rückzugsort wie auf einer Bühne, und das heißt: Er muss sich Rechenschaft geben über sein Tun. Wohnen ist Arbeit und will durchdacht sein.
Natürlich bewegt sich auch Konstantin Grcic immer noch im Bannkreis des Bauhauses, das mit seinen Kleinstwohnungen ebenfalls nicht gerade für Luxus bekannt ist. Aber die Technik steht bei Grcic stark im Vordergrund: überall Steckdosen, Leuchtdioden, Lautsprecher, verschiebbare Arbeitsplatten für Laptops und andere Geräte. Man ist allein und dabei weltweit vernetzt, hinten zur Erholung ein kleiner Ausblick in ein Gartensegment. Und doch sollen die Objekte in diesem Smart House an die Tradition anschließen: Die Liege "Karbon", die Grcic 2008 entworfen hat, ist vom Material her zwar mehr Totenbahre als gemütlicher Aufenthaltsort – von der Form her nimmt sie die französische Récamiere aus dem 19. Jahrhundert auf, eine Art Halbsofa zum Ausstrecken wie zum Sitzen. Grcic, 1965 in München geboren, serbische Eltern, hat in London studiert und gibt Interviews gern auch mal auf Englisch.
Eine Arbeitslampe wird zum Insektenfänger
"Meine erste Ausbildung nach der Schule bekam ich bei einem Restaurator antiker Möbel. Und in England habe ich auch eine handwerkliche Lehre gemacht. Durch diese Lehrlingszeit entdeckte ich überhaupt erst Design."
In einem Film wird im Vitra-Museum das Leben in Grcic-Räumen demonstriert. Die konisch geformte May-Day-Leuchte, die man problemlos überall hinhängen und mitnehmen kann wie eine Arbeitslampe in der Autowerkstatt, wird im Film ironisch zum Insektenfänger. Es wird vorsichtig getanzt, entspannt und auf dem Laptop geklimpert. Moderne Zeitgenossenschaft, die sich auch in den Objekten widerspiegelt. Der ganze zweite Raum ist den Sitzmöbeln gewidmet – ein offenbar unerschöpfliches Thema. Auf dem saalgroßen Arbeitstisch stehen alle möglichen Modelle, vom berühmten, die Sitzfläche wie ein Spinnennetz umspannenden "Chair One" über rundum drehbare, sattelartige Sitzstangen bis zu Metallgestellen, in die man die Sitzpolster und Armlehnen hineinstecken und bei Verschmutzung sofort austauschen kann. Es ist rührend zu sehen, wie Grcic in einer Video-Animation den Gebrauch des Computers als Königsweg heutiger Designkunst beschwört, andererseits in einer Back-to-the-roots-Aufwallung ein paar Dachlatten zu einem ziemlich originellen Hocker-Modell zusammen nagelt. Die einfache Lösung ist immer die gute Lösung. Aber der Computer hilft.
"Der Computer spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von 'Chair One', aber immer in Verbindung mit traditionellen Modellen. Der Computer hilft enorm bei der Datenerfassung und im Modellierungsprozess."
Die Coolness und Einfachheit der Entwürfe sind wahrscheinlich auch der Grund, warum Grcics nicht unbedingt sehr teure Objekte in den Intellektuellen-Wohnungen der Mittelschicht von Berlin-Mitte ebenso zu finden sind wie in Paris oder London. In Weil am Rhein wird nun gezeigt, wie es zu diesen Möbeln kommt, wie verschiedene Lösungen hin- und hergewendet werden, wie Prototypen aus Stahlblech entstehen oder mit Styropor-Formen gefunden oder der Komfort überprüft wird.
Durchweg überzeugende Ausstellungsarchitektur
Immer mehr Möbel werden ja gedruckt, das heißt, mit einem 3-D-Drucker wird Schicht für Schicht aufgebaut. Und das passiert vor allem bei Modellen, die vorerst als Entwurf im Computer schlummern. Manchmal reitet Grcic dann der Teufel und er probiert etwas mit der reinen Form. In der Ausstellung sieht man zum Beispiel einen nur aus Glasplatten bestehenden Sessel, der als skulpturales Objekt überzeugt, als Gebrauchsgegenstand aber eher ein Folterwerkzeug sein dürfte. Aber als Idee und Spielerei taugt es natürlich, um daraus dann andere geometrische oder geschwungene Formen zu generieren und eventuell mit anderen Materialien umzusetzen – für einen industriellen Fertigungsprozess.
Grcic hat die durchweg überzeugende Ausstellungsarchitektur selbst entworfen. Aber der größte Ausstellungssaal ist leider der schwächste: vor einem illusionistisch den Raum aufbrechenden, an die Wand geklebten Stadtpanorama stehen Maschendrahtzäune und neutral gehaltene pseudokommunikative Sitzgelegenheiten, unter anderem "Chair One"-Sitzschalen auf Betonsockeln. So seelenlos sollen unsere Städte dann bitte doch nicht sein.
Hat man an der Unwirtlichkeit dieses öffentlichen Makro-Raums hinter sich gelassen, so wird man belohnt mit einem Blick in den Mikrokosmos, die Denk- und Probierstube des Konstantin Grcic, also Atelier und Archiv. Wie auf einem Laufsteg sind da Objekte aufgereiht, die Grcic entworfen hat oder die ihm wichtig sind: ein Museum der Dinge und der Inspirationsquellen. Es zeigt sich, dass die ständige Überarbeitung von Klassikern zu den wichtigsten Übungen des Entwerfers zählt – egal, ob das ein Sessel von Alvar Aalto oder der Flaschentrockner von Marcel Duchamps ist. Und dass stapelbare Gläser und Boxen, Papierkörbe und höhenverstellbare Beistelltische für den Denkprozess ebenso wichtig sind wie die große Raumgestaltung.
Auch wenn ihre Kleinteiligkeit manchmal anstrengt: Dies ist eine großartige Ausstellung, ein Plädoyer für phantasievolle Rationalität.
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