Ausstellung

Der Charme des digitalen Trashs

Welcome-Website aus dem One Terabyte of Kilobyte Age Archive in der Ausstellung "Digitale Folklore" im HMKV im Dortmunder U
Welcome-Website aus dem "One Terabyte of Kilobyte Age Archive" in der Ausstellung "Digitale Folklore" © Geocities Research Institute
Von Michael Köhler · 24.07.2015
Glitzernde Sternenhintergründe, Fotos süßer Kätzchen, Regenbogenfarbverläufe: Kitsch, von Usern gefertigt, bestimmte das WWW der frühen Jahren. Eine Dortmunder Ausstellung untersucht nun mit künstlerischen Mitteln diese "digitale Folklore".
"Die ausgestellten Beispiele sind wie Höhlenzeichnungen aus der frühen Ära des Internets. Einfache Figuren, Kätzchen, pinkelnde Männchen oder Drachen laufen, fliegen, bewegen sich vor animierten Hintergründen, die Wolken oder Weltraum darstellen. Alles ist irgendwie noch handgemacht und hat den Charme des Naiven und Trashigen. Aus dem Archiv des ehemaligen Web-hosting-Dienstes GeoCities bedienen sich Olia Lialina und Dragan Espenschied", sagt die Dortmunder Kunstvereinsleiterin Inke Arns.
Arns:"Für mich war GeoCities eine totale No-go-Area. Ich fand das ganz schlimm. Das war ne Verflachung. Aber heute im Rückblick ist es interessant, weil das wirklich ne Massenkultur war. Und da mal zu schauen, was die Leute eigentlich gemacht haben. Auch was für ne Art Selbstermächtigung das war. Weil ja, wenn man's mit heute vergleicht, wenn man's mit Social Media vergleicht, gab's da ja auf den frühen Webseiten wahnsinnig viel, was man selber machen konnte und auch selber machen musste."
Der Name des archivierten Amateur-Internet-Datenmaterials ist halsbrecherisch und klingt nach Steinzeitmonster "One Terrabyte of Kilobyte Age". Kuratorin Olia Lialina scannt persönlich täglich über siebzig Seiten daraus. Sie kann einige wiederkehrende Strukturmerkmale und Bausteine benennen, die auf den selbstgemachten Homepages wiederkehren und regelmäßig aufblinken:
Private Massenkultur der frühen Neunzigerjahre
Lialina:"Ja natürlich gibt's das. Das ist das Welcome-sign. Wenn man schon eine Webpage gemacht hat, dann sagt man: Welcome to my homepage. Dann natürlich das Under-construction-sign – das ist sehr, sehr wichtig. Und auch seit '97 wurden die Schritt für Schritt entfernt vom WWW, weil das Webdesign war schon profession. So, Under-construction-sign, Welcome-sign, Star-backgrounds, also Sterne-Hintergrund oder Outerspace-Hintergrund. Und dann natürlich Background-Sound, Midi-Sound, dass die Webseiten laut sind."
Begrüßung, Baustelle und bestirnter Himmel. Das ist fast immer dabei. "Digitale Folklore" sei aber nicht digitalisierte Folklore und auch nicht der merkwürdige Humor der Hacker, betont Netzkünstlerin Olia Lialina, die an der Stuttgarter Merz Akademie, der Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien, lehrt. Es handelt sich also nicht um Heimatkunst im herkömmlichen Sinne, die spießig, borniert, antiintellektuell, antistädtisch ist, sondern private Massenkultur der frühen Neunzigerjahre, sagt auch Inke Arns. Die Vorform der Bild- und Jpeg-Dateien von heute sind die einfacheren GIFs.
Arns: "Es heißt ja nicht nur Folklore, sondern es ist digitale Folklore. Und Folklore ist ja auch etwas, wo man oft die Autoren nicht kennt. Das ist hier genauso. Die animierten GIFs – nur in seltensten Fällen haben Oli und Dragan herausgefunden, wer die Autoren von bestimmten animierten GIFs waren. Und eben, es ist eine Massenkultur."
"Wir versuchen, diese Kultur sehr ernst zu nehmen"
Die digitale Kultur des frühen Netzes entspricht nicht den professionalisierten Seiten von heute. Kurator Dragan Espenschied rehabilitiert gewissermaßen den Amateurstatus daran. Der Charme liege auch in der Begrenztheit der Mittel und Möglichkeiten. Die Unser mussten alles selber machen. Da räkeln sich auf dem Bildschirm manchmal nur wenig animierte Frauenfiguren, die an die amerikanische Neonreklame der Fünfziger erinnern, wenn ein Pin-up die Beine abwechselnd anwinkelt. Da gibt es Wasserreflexe und Wolkenteppiche, gewissermaßen eine Art digitaler Fototapete.
Espenscheid: "Wir versuchen, diese Kultur sehr ernst zu nehmen und sie auch darzustellen, weil wir eben der Ansicht sind, dass die Geschichtsschreibung da irgendwie falsch läuft."
In jener Zeit als das Netz sich professionalisierte, wurden diese User noch als Looser diskreditiert, sagt Dragan Espenscheid. Zur ganzen Geschichte der Netzkultur gehören wesentlich aber auch diese amateurhaften Anfänge, sagt Kurator Espenscheid. Da gibt es etwa häufig Fan-Seiten von Musikgruppen und Bands.
Espenscheid: "Es ging nicht drum, die offizielle Backstreet-Boys- Fanseite zu machen. Es gab nicht mal ne offizielle Backstreet-Boys-Fanseite zu der Zeit, sondern es wurde alles komplett von Fans gebaut."
Es gab keinen Starkult, keine Autorschaft und keinen Markt
Das Projekt "Digitale Folklore" ist eine lohnenswerte Archivarbeit und kulturelle Archäologie. Es zeigt wie unabhängig, frei und friedlich sich die Nutzer bewegten. Es gab keine werbegestützte Popkultur, keinen Starkult, keine Autorschaft und keinen Markt.
Leider erliegt die Ausstellung genau dieser friedlich - freundlichen Verführung der Anfänge und problematisiert weder den Eskapismus noch die fragwürdige Identitätskonstruktion, die dahinter steht. Die Frage müsste nicht nur lauten, was haben die User damit gemacht, sondern was haben die Seiten aus den Usern gemacht. Insofern bleibt die Ausstellung buchstäblich an der Oberfläche.
Kurator Dragan Espenschied verfällt in eine Art archaisches Wortfeld und erklärt, die Nutzer hätten sich ihre Seiten gebaut, um sich einzurichten und ihren Platz zu "claimen". Das ist Folklore eben auch: Kampf um Territorien.
Olia Lialina fasst es so zusammen: "Deswegen ist Folklore Heimat von Usern."

Die Ausstellung "Digitale Folklore" läuft bis zum 27.9.2015 in der Dortmunder U, Zentrum für Kunst und Kreativität.

Mehr Infos auf der Homepage.
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