Ausstellung

Das heilige Amt des Toraschreibers

Ein Sofer schreibt die letzten Zeilen für eine neue Torarolle in der Synagoge der Jüdischen Gemeinde Halle/Saale.
An Schawuot erhielt Mose die Tora: ein Toraschreiber heute © picture-alliance / dpa / Jan Woitas
Von Carsten Dippel · 18.04.2014
Im Jüdischen Museum Berlin erklärt "Die Erschaffung der Welt", wie wichtig die Schrift in der jüdischen Kultur ist. In der Ausstellung können die Besucher einen Toraschreiber bei der Arbeit beobachten.
Reuven Yaacobov sitzt an einem großen, weißen Schreibpult. Vor ihm liegt ein Stück Pergament. Daneben ein paar Gänsefederkiele, ein kleines Fläschchen mit schwarzer Tinktur. Zwei Lampen leuchten alles hell aus. Das Pergament ist an den vier Enden mit kleinen Blöckchen beschwert. Auf zuvor fein geritzte Linien setzt er mit erstaunlich ruhiger Hand hebräische Buchstaben:
"Ich schreibe gerade eine Megilla, Megillath Esther. Das ist so eine Megillahrolle genau gleich wie ein Torarolle. Zuerst muss das genau geschrieben werden Wort für Wort. Zweites, das muss auf ein Pergament geschrieben werden, mit einer besonderen Tinte und nur mit einer Feder."
Reuven Yaacobov ist Rabbiner und Toraschreiber. Das uralte Handwerk hat er in Israel erlernt. Bevor er mit dem Schreiben beginnt, geht er in sich und spricht ein Gebet.
"Wir schreiben ein heiliges Buch, das wir von Gott damals in Berg Sinai bekommen haben. Bevor man schreibt, muss man zuerst Ruhe haben und dann sitzen und sich einfach konzentrieren mit dem ganzen Kopf auf den Text und versuchen, jeden Buchstaben so schön zu schreiben, genau gleich, wie es in einer anderen Rolle steht."
Zeilenmaß mit Präzision
Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort kopiert Yaacobov die Zeichen des heiligen Textes von einer gedruckten Vorlage. Präzision ist gefragt. Das Zeilenmaß muss stimmen, die Buchstaben genau gesetzt werden. Es darf sich kein Fehler einschleichen. Im Talmud heißt es: Wenn auch nur ein Buchstabe der Tora hinzugefügt oder weggelassen würde, könnte das die ganze Welt zerstören.
Kugelmann: "Also es gibt auch eine sehr verbreitete Vorstellung im Judentum, dass die Tora schon da war, bevor Gott die Welt erschaffen hat und dass die Tora die Grundlage für die Erschaffung der Welt war. Das heißt, Gott hat sich an der Tora orientiert. Und der Toraschreiber, der das kopiert, kopiert im Grunde genommen oder ahmt nach, die Erschaffung der Welt."
Von diesem Schöpfungsakt erzählt jetzt auch eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin. Gezeigt werden kostbare Stücke aus der weltweit größten Privatsammlung jüdischer Handschriften, der Braginsky Collection. Viele dieser seltenen Objekte sind aufwendig illustriert. Mittelalterliche Gebetbücher, prächtige Ketubbot und Estherrollen.
Zentrale Bedeutung der Schrift
Im Mittelpunkt steht stets die Schrift, erklärt Kurator Emile Schrijver:
"Das Judentum legt eindeutig ganz großen Wert auf Schriftlichkeit. Es ist vor allem nicht so sehr das Buch als Objekt, sondern das Schreiben als Akt und das Geschriebene als Endprodukt. Das Studium, das ständige Studieren, das ist ein Ausgangspunkt im Judentum, worin die Bücher eine sehr große Rolle spielen."
Inmitten dieser Zeugnisse einer reichen jüdischen Schriftkultur sitzt nun Rabbiner Yaacobov täglich für zwei Stunden und verfasst an seinem Pult heilige Texte. Wenn er sich dabei doch einmal verschreibt, nimmt er ein Skalpell, schneidet ganz vorsichtig den fehlerhaften Buchstaben weg und setzt einen neuen ein. Zum Einsatz kommt eine spezielle Tinte. Sie ist nach alter Tradition aus Kräutern, Öl und Asche zusammengesetzt. Die genaue Rezeptur jedoch ist geheim. Sie bleibt so perfekt am Pergament haften, dass keine hässlichen Kleckse entstehen:
"Diese Tinte ist sehr besonders, weil das wird von der Natur ausgestellt. Das ist die einzige Tinte, was auf dem Pergament kann man schreiben und das Rezept von dieser Tinte wir haben vor 3300 Jahren erst mal von Gott bekommen und bis heute wir benutzen genau das gleiche Rezept und eigentlich darf man das nicht mit anderer Tinte auf dieses Pergament schreiben."
Rabbiner Yaacobov betreut die orthodox-sefardische Gemeinde in Berlin. Zum Abendgebet in der kleinen Synagoge gleich hinter dem Kudamm hat sich ein knappes Dutzend Männer versammelt.
Viele der rund 300 Familien kommen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien oder dem Kaukasus. Andere wiederum aus Marokko, dem Jemen oder Israel. Ihr noch junger Rabbiner ist in Usbekistan aufgewachsen. Als Kind kam Yaacobov nach Israel. Schon sein Großvater war Toraschreiber.
Großvater als Vorbild
Yaacobov wollte nicht nur Rabbiner sein. Er hat sich auch zum Mohel, Schochet und Sofer stam, dem Schriftenschreiber, ausbilden lassen. Heilige Texte zu verfassen, will jedoch gelernt sein:
"Man geht in eine Yeshiva. Dann fängt er an, die Gesetze zu lernen: Wie man das schreibt, mit welcher Tinte schreibt man das, welche Feder benutzt man, wie man die vorbereitet. Und dann er fängt an, die Buchstaben zu schreiben, wie man richtig diese Buchstaben schreibt, wie man die Fehler korrigiert. Und dann nach fast einem halben Jahr fängt er an, erste Schriften zu schreiben und seine Handschrift zu verbessern. Nach einem Jahr, er hat schon eine feste Handschrift, dann fängt er an, eine Torarolle zu schreiben."
Mindestens drei Monate braucht Reuven Yaacobov für eine Sefer Tora. Unter Umständen auch ein ganzes Jahr. Zum Schreiben kommt er jedoch kaum. Meist sind es Ausbesserungsarbeiten, für die er von Gemeinden beauftragt wird. Da ist mal ein Buchstabe kaputt oder der Rand des Pergaments eingerissen. Pflege und Erhaltung der Schrift sind wichtig.
Yaacobov: "Man weiß, das ist nicht irgendwelcher Brief, sondern es ist ein heiliges Buch. Und jeder Buchstabe ist entscheidend. Bevor man das lernt zu schreiben, lernt man, wie man sich konzentriert, wie man sich von der ganzen Welt ausschließt und einfach sitzt und schreibt. Ein Buchstabe nach dem zweiten Buchstabe und aus den Buchstaben werden die Worte und aus Worten werden die Sätze, das ist einfach schön."
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