Ausstellung "Bis hierhin und weiter!"

Umfassender Blick auf die Karikaturistenszene

Museum Weserburg für aktuelle Kunst in Bremen: Blick in die Ausstellung zum Deutschen Karikaturenpreis 2016 – "Bis hierhin und weiter!"
Museum Weserburg für aktuelle Kunst in Bremen: Blick in die Ausstellung zum Deutschen Karikaturenpreis 2016 – "Bis hierhin und weiter!" © picture alliance / dpa / Ingo Wagner
Von Anette Schneider · 12.11.2016
Das Museum Weserburg Bremen zeigt zum Deutschen Karikaturenpreis 2016 insgesamt 250 ausgewählte aktuelle Arbeiten von Karikaturisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Viele Arbeiten überzeugen, doch einiges ist schlichtweg peinlich, vulgär, sogar sexistisch.
"Bis hierhin und weiter!" sagte sich auch Peter Friese. Wie fast alle seiner Kollegen und Kolleginnen in diesem Land kämpft auch der Direktor der Weserburg für einen Etat, der wenigstens die grundlegenden Aufgaben des Museums - Sammeln, Erforschen, Bewahren und Ausstellen - ermöglicht. Doch aktuell reicht das Geld gerade einmal dafür, das Licht anzumachen, wie Friese vor einiger Zeit sagte.
Also muss er nach möglichst günstigen aber guten Ausstellungen suchen, weshalb nun auf 800 Quadratmetern dicht an dicht Karikaturen hängen.

Analytisch-kritischer Blick auf eine scheinbar aus den Fugen geratene Welt

Friese: "Ich halte die Weserburg für den geeigneten Ort für eine solche Ausstellung, weil sie in der Tradition einer Öffentlichkeit steht, in der bestimmte Themen kontrovers diskutiert werden sollen. Karikatur und Kunst haben tatsächlich etwas gemeinsam: Sie werfen einen analytisch-kritischen Blick auf eine scheinbar aus den Fugen geratene Welt."
In den besten Fällen geschieht das sarkastisch, zugespitzt und provozierend:
"Wer wird denn da gleich in die Luft gehen?" steht unter einer Zigarettenpackung, auf der ein großes IS prangt und der Hinweis "Religion kann tödlich sein".
Die NATO-Osterweiterung ist ganz friedlich und pure Selbstverteidigung? Klaus Stuttmann zeigt den Mittelfinger - und einen Bundeswehrpanzer vor einem Zaun mit dem Schild "Russland". Dazu der Text: "Mein Gott, wenn mich jetzt mein Opa sehen könnte! Der war nämlich vor 75 Jahren auch schon mal hier!"
Und die Karikaturistin Miriam Wurster präsentiert ein riesiges, cool-minimalistisch eingerichtetes Wohnzimmer, in dessen Mitte ein Paar in bequemen Sesseln vor einem Breitwandfernseher hockt und Nachrichten guckt.
Friese: "Und dann sagt der Mann: 'Dieses Flüchtlingsthema bringt mich noch an die Grenzen meiner Belastbarkeit!'. Und die Aussage steht im krassen Gegensatz zu dem weitläufigen und vollkommen abgesicherten Ambiente. Denn die Belastbarkeit ist ja eine konstruierte. Und der angedachte Nervenzusammenbruch ist gemessen an der Weltlage ein innerpsychisches Problem eines saturierten Menschen. Ich glaube, dass wir uns in diesem Bild sehr gut wieder erkennen können."

Breites Themenspektrum

Für den Deutschen Karikaturenpreis bewarben sich 228 Zeichnende aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. 70 werden jetzt vorgestellt. Das Motto "Bis hierhin und weiter!" erwies sich dabei als vielfältig interpretierbar: Es geht um Grenzen und Flüchtlinge, um Rassismus und Vorurteile, um Gewalt und Gentrifizierung, um Überwachung und Entpolitisierung. Friese:
"Diese Karikaturen halten uns einen Spiegel vor, der uns in einem Zerrbild zeigt, das uns erschrecken lässt. Und deswegen finde ich das gut. Das ist die Aufgabe übrigens der Kunst. Und der Karikatur. Und der Literatur."
Schwerpunkt bildet das Thema Flüchtlinge. Da sieht man zum Beispiel ein gekentertes Schlauchboot. Aus dem Wasser ragen die Hände Ertrinkender. Ein Schiff von Frontex schippert gemächlich durch die Szenerie. An Deck stehen zwei Männer mit einem Rettungsring und suchen sich diejenigen aus, die mit einem Diplom winken.
Natürlich wissen wir um den Zynismus der in der "Festung Europa" herrschenden Asylpolitik. Doch stumpft uns die alltägliche Bilderflut der Massenmedien auch ab. Und genau deshalb sind Karikaturen nach wie vor so wichtig, sagt Kurator Ingo Clauß:
"Wir haben das beim Jugoslawienkrieg gesehen, dass nach zwei, drei Jahren Berichterstattung die Menschen das nicht mehr hören konnten. Das Gleiche erleben wir jetzt mit der Syrienkrise und der Flüchtlingskrise. Und dahinter befinden sich menschliche Schicksale. Und Karikaturen versuchen, diesen Zahlen, die über die Nachrichten kommen, ein persönliches Antlitz zu geben."

Irritierend unterschiedliche Qualität

Irritierend ist die unterschiedliche Qualität der ausgewählten Arbeiten. Vieles überzeugt. Doch einiges wirkt auch schlichtweg peinlich, ist vulgär, sogar sexistisch. Angesichts einer Fachjury, die aus zwei Kuratoren von Karikaturen-Museen, von Redakteuren und Zeichnern besteht, verwundert das etwas. Auch fehlen wirklich scharfe Attacken gegen die stetig wachsende soziale Ungleichheit, die doch Ursache vieler Probleme ist. Da sehnt man sich nach einem Künstler wie Honoré Daumier, der wieder und wieder korrupte Politiker und Unternehmer namentlich vorführte, wofür ihn die Justiz prompt zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilte.
Doch ermöglicht die Ausstellung einen umfassenden Blick auf die aktuelle Karikaturenszene, wie er nur selten möglich ist. Und immerhin eine kleine Zeichnung verdichtet dann doch die arrogante Selbstgefälligkeit der Herrschenden in einem ganz simplen Bild: Da stehen drei Schnösel im Gespräch beisammen. Darunter die Zeile: "Ich habe mich fürs Jurastudium gar nicht erst beworben. Ich habe mich gleich eingeklagt."
Man stelle sich einmal vor: Die Museumsdirektoren dieses Landes könnten das Geld einfach einklagen, das für die grundlegenden Aufgaben dieser großartigen bürgerlichen Bildungseinrichtung notwendig wäre.
Mehr zum Thema