Ausstellung "Athen-Triumph der Bilder" in Frankfurt

Sex und Crime aus dem antiken Athen

Eine Besucherin der Pressevorbesichtigung nimmt am 03.05.2016 in Frankfurt am Main in der Skulpturensammlung Liebieghaus ein Foto des experimentellen und farbig rekonstruierenden Nachgusses der Statuengruppe Erechtheus und Eumolpos in der Ausstellung "Athen. Triumph der Bilder"
Eine Besucherin fotografiert in der Ausstellung "Athen. Triumph der Bilder" in der Skulpturensammlung Liebieghaus Frankfurt. © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Von Rudolf Schmitz · 03.05.2016
Die Ausstellung "Athen - Triumph der Bilder" ist inszeniert in zwölf Räumen, die den Monaten des Jahres entsprechen. Hundert Leihgaben aus den großen Sammlungen der Welt feiern im Frankfurter Liebieghaus einen Mythos: den der Stadtgöttin Athena und ihres Sohnes Erechtheus.
Vinzenz Brinkmann: "Die Ausstellung nimmt sich ein großes Thema vor, es ist ein Experiment, der Besucher soll etwas erleben, er soll sich zurückversetzt fühlen in ein antikes Jahr. Er läuft durch zwölf Monate und erlebt auf diese Art und Weise auch die großen Feste dieser Stadt Athen. Und das tut er in einem Moment, wo Athen letztendlich strahlt und blüht wie nie zuvor."
Denn Perikles, so erzählt Kurator Vinzenz Brinkmann, hatte schlicht und einfach die Gelder des delisch attischen Verteidigungsbündnisses nach dem Sieg über die Perser missbraucht, um sie in Kunst und Architektur zu stecken. Und der Mythos der jungfräulichen Athena, die von der Erdgöttin Gaia, als "Leihmutter", Erechtheus austragen lässt, den sie dann als Sohn annimmt, ist in allen großen Festen des Jahres präsent. Und Vinzenz Brinkmann, bekannt für seine Forschung zur Farbigkeit antiker Skulptur, präsentiert in der Ausstellung "Athen. Triumph der Bilder" die Skulpturen, Vasen und Friese in zwölf petrolfarbenen Räumen, die die Geschichte des Jahres erzählen. Und das beginnt in Athen mit dem ersten Monat Hekatombaion, der unserem Juli entspricht.

Ein großes verziertes Wickeltuch

Immer wieder wird auf Vasen die Geburt des Erechtheus dargestellt, den Athena von Gaia entgegennimmt, um ihn in ein großes verziertes Tuch zu wickeln. Dieses Wickeltuch wurde im alten Athen neun Monate lang gewebt, um dann im ersten Monat des Jahres den Priestern übergeben zu werden. Athena wurde als Mutter gefeiert. Das zeigt auch eine Statue aus den Staatlichen Museen zu Berlin:
"Da sehen wir Athena, völlig überraschend für uns, vollständig ungewohnt, nicht als Kriegsgöttin, nicht als Schutzgöttin der Stadt, sondern wir sehen sie als Madonna mit Kind, als Mutter mit Kind. Sie hält das Baby nackt sichtbar in ihrem linken Arm."
Die jungfräuliche Mutter, das kommt uns natürlich bekannt vor. Die Frankfurter Ausstellung präsentiert viele verblüffende Belege für diese mythische Konstellation:
"Das ist ein bekannter Topos, er wird sehr intensiv ausgebildet in Athen, und man könnte mit Fug und Recht annehmen, dass die christliche Sekte um Christi Geburt sich an diese Athena-Variante anlehnt. Denn Athen ist omnipräsent in diesen Jahren, Athen ist das Leitbild nicht nur in der Philosophie, nicht nur in der Wissenschaft oder im politischen Diskurs, sondern natürlich auch in der Bilderwelt."
Im vierten Monat des Jahres, der unserem Herbstbeginn entspricht, feierte Athen die Ernte und die Gewinnung der neuen Saat. In der eleganten griechischen Vasenmalerei tauchen plötzlich überdimensionale Phallusdarstellungen auf:
"Das heißt, man tritt in den Phalluskult ein, man backt Sexkonfekt, aus normalem Backteig: Formen der menschlichen Genitalien. Es ist dann aber auch kein Zufall, dass in diesem Monat die Empfängnis der Gaia gefeiert wird. Also letztlich jener Moment, als Hephaist in Liebe zu Athena seinen Samen auf dem Oberschenkel der Athena vergießt. Und sie wischt diesen Samen ab, wirft ihn zur Erde und befruchtet auf diese Weise die Erde, also Gaia."

Zwei rekonstruierte Riace-Bronzen im Zentrum

Im Zentrum der Ausstellung dann die beiden vom Liebieghaus rekonstruierten Bronzen der zwei Krieger von Riace. Die Bronzegüsse sind durch Einlegearbeiten aus Silber, Kupfer und Mineralien farbig gestaltet und um Waffen und Kopfschmuck ergänzt. Und hier beschert Vinzenz Brinkmann den Besuchern - und der Wissenschaft - eine Sensation:
"Das ist unser ganz kesser Sprung vorwärts in der Forschung: Wir haben die berühmten Riace-Bronzen in den letzten Jahren untersucht, rekonstruiert, wir wollten etwas mehr über ihre ursprüngliche Farbigkeit erfahren. Aber wir haben quasi als Nebenprodukt sie dekodiert, ihr Rätsel gelüftet, nämlich die Frage: Wen stellen sie denn überhaupt dar, diese zwei schönsten Bronzekrieger der klassischen griechischen Antike."
Nämlich: Erechtheus und Eumolpos, die Söhne von Athena und Poseidon, die einen blutigen Krieg gegeneinander führen. Athenas Sohn muss sich opfern, um den Sieg Athens zu sichern. Muss man das nun alles wissen, um diese Ausstellung mit großartigen Leihgaben genießen zu können? Wandgrafiken, die Figuren aus der griechischen Vasenmalerei mit eingefügten Filmen von Originalschauplätzen verbinden, sind hilfreich für Besucher ohne humanistischen Bildungshintergrund. Denn auch sie sollen auf ihre Kosten kommen:
"Man kann ja auch durch diese vielen Räume, die sehr atmosphärisch sind, einfach hindurchlaufen und sich die schönen Dinge angucken, die Bilder an den Wänden. Da spricht ja sehr viel schon vom menschlichen Leben, von grundsätzlichen Dingen. Aber man kann es vertiefen, nach dem Mythos suchen, und nach dem Konnex, der Verbindung zwischen Mythos und den Bildern."
Vinzenz Brinkmann vom Frankfurter Liebieghaus versteht es, die Rätsel der Antike so darzubieten, dass auch Nicht-Kenner Faszination verspüren. Und schließlich geht es hier um drastische Geschichten, um Sex und Crime. Aber eben auch um die grandiose Art, solche Reißerthemen in Skulptur, Malerei und Architektur zu servieren.

Die Ausstellung "Athen. Triumph der Bilder" ist vom 4.5. bis 4.9.2016 im Liebieghaus Frankfurt zu sehen.

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