Aussöhnung durch Erinnerung an den Krieg

Von Jürgen König · 24.04.2013
Nach einem Jahr Umbaupause wurde das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst mit einer neu konzipierten Dauerausstellung wiedereröffnet. Neu ist vor allem der Wechsel zwischen deutscher und sowjetischer Perspektive auf den Krieg. In den Blick gerät jetzt auch das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland.
Wissenschaftler aus Russland, Weißrussland, der Ukraine und aus Deutschland haben diese neue Dauerausstellung des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst erarbeitet - die inhaltlich nicht grundsätzlich neu ist, sondern vor allem medial neue Vermittlungswege sucht: mit neuem Design und neuen Texten, die - neben Deutsch und Russisch - nun auch auf Englisch zu lesen und zu hören sind, durch zeitgenössische Filmausschnitte und filmische Biografien historischer Persönlichkeiten, multimedial aufbereitet.

Inhaltlich bietet die neue Ausstellung im Vergleich zur alten vor allem eine deutlichere Perspektivsetzung. In zehn Sälen bildet sie konzentriert vor allem den deutschen Überfall auf die Sowjetunion und die Kriegsjahre bis 1945 ab: von Saal zu Saal wechselnd aus deutscher und aus sowjetischer Perspektive. Das Spannungsverhältnis, das sich aus dem Perspektivwechsel ergibt, erklärt der Direktor des Deutsch-Russischen Museums Jörg Morré, am Beispiel des historischen Arbeitszimmers von Marschall Schukow, das auch zum Deutsch-Russischen Museum gehört.

"Das ist für die russische Erinnerung extrem wichtig. Schukow, der große Marschall, der Kriegsgewinner: Diesen Ort zu erhalten, ist wichtig, fast genauso wichtig wie hier dieser Kapitulationssaal. Für uns ist Schukow in erster Linie der erste Chef der sowjetischen Militäradministration, und es folgten weitere darauf, und wir sagen nicht, das Arbeitszimmer Sokolowskis oder das Arbeitszimmer Tschuikows, auch wenn sie genauso dort saßen. Also hat das so eine Art Scharnierfunktion, und durch unser Konzept meinen wir, dem insofern gerecht werden zu können, als der historische Ort als solcher bestehen bleibt. Ich hab das selber erlebt, dass KZ-Überlebende, Rotarmisten, die im KZ Ravensbrück am Ende inhaftiert waren, hier in diesem Arbeitszimmer Schukows ihrem Befreier Schukow dankten, find ich vollkommen in Ordnung, ist nicht meine Geschichte, aber: das müssen wir leisten können – und gleichzeitig kann ich hier hingehen und kann sagen: 'Ja, was macht denn diese Militäradministration?'"

Fotos, Propagandaplakate, Bücher, Ausweise, Soldbücher, Feldpostbriefe, Landkarten, Tagebucheinträge, Militärbefehle, Akten, Urkunden dokumentieren das deutsche Vorgehen als Vernichtungsfeldzug. Uniformen und Waffen aus beiden Armeen werden schlicht präsentiert: als Dokumente - ohne Heroisierung.

Der Mantel eines Kriegsgefangenen, daneben eine Weisung Eduard Wagners, Generalquartiermeister des deutschen Heeres: weiße Schrift auf schwarzer Wand: "Nicht arbeitende Kriegsgefangene in den Gefangenenlagern haben zu verhungern". 5,7 Millionen Angehörige der Roten Armee gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft, 3,3 Millionen von ihnen starben.

Das Foto einer Frau, die durch einen Fluss waten muss, in dem deutsche Soldaten Minen vermuteten. Fotos von brennenden Gehöften zeigen, wie die deutsche Wehrmacht den Führerbefehl umsetzte, bei ihrem Rückzug nichts als verbrannte Erde zu hinterlassen: Von den 27 Millionen Toten auf sowjetischer Seite waren 14 Millionen Zivilisten.

Um Objektivität bemüht, wird auch die sowjetische Kriegspropaganda gezeigt, für die alle Deutschen Faschisten waren. Auch die Vergewaltigungen deutscher Frauen durch Soldaten der Roten Armee vor und nach der Einnahme von Berlin werden ausführlich dokumentiert. Kulturstaatsminister Bernd Neumann bei der Ausstellungseröffnung:

"Ich möchte auch sagen, dass ich es erwähnenswert finde, bemerkenswert ohnehin, dass trotz der deutschen Kriegsschuld, die die Ursache allen Schreckens und aller Verbrechen war, auch in dieser Ausstellung das Schicksal deutscher Kriegsgefangener und das Schicksal auch ... oder das Leid der deutschen Zivilbevölkerung dargestellt wird – alle ja betroffen durch den von Hitler ausgelösten Krieg. Auch das ist nicht selbstverständlich, und dafür möchte ich der russischen Seite an dieser Stelle meinen Dank aussprechen."

Zur Aufarbeitung der Vergangenheit und zur Verständigung und Aussöhnung der Völker will dieses von Deutschland und Russland gemeinsam getragene Museum beitragen.

Die Ausstellung verzichtet auf alles Spektakuläre, auch auf Neudeutungen der Verbrechen der Wehrmacht. Sie dokumentiert in wissenschaftlicher, quellenkritischer Nüchternheit den deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, und sie lässt auch Themen wie den Hitler-Stalin-Pakt oder die Massaker von Katyn nicht aus. Alexander Nikonov, Vorsitzender des Trägervereins des Deutsch-Russischen Museums:

"Ich muss sagen, dass es für mich die größte und wichtigste Leistung bei der Erarbeitung dieser Ausstellung in den letzten zwei Jahren war, dass es niemals, zu keiner Zeit, Widersprüche gab, die nicht durch Diskussionen gelöst worden wären. Wir, deutsche und russische Wissenschaftler, haben immer zu einem Konsens gefunden – das kann doch wirklich als Zeichen der Annäherung beider Völker gesehen werden."

Gerade ihre Sachlichkeit macht die Ausstellung so wirkungsvoll. Sie unterstreicht das Grauenvolle des Dokumentierten. Und sie ruft einen der großen Verbrechenskomplexe des Nationalsozialismus in Erinnerung, erinnert an Opfergruppen, die in der deutschen Öffentlichkeit weithin vergessen sind.


Links zum Thema bei dradio.de:
"Wir stellen Krieg dar"
Der Direktor Jörg Morré zur Wiedereröffnung des Deutsch-Russischen Museums in Berlin