Außenseiter Ungarn bei der EM

Nach 44 Jahren wieder dabei

Ungarn gegen Österreich
Auf Jubel bei einer Fußball-EM musste Ungarn Jahrzehnte warten. Hier im Spiel gegen Österreich am 14. Juni. © picture alliance/dpa/Foto: Caroline Blumberg
Von Anja Schrum · 19.06.2016
Mit seiner Teilnahme in Frankreich hat sich Ungar erstmals seit 1972 wieder für eine Fußball-EM qualifiziert. Währen der Erfolg der Nationalelf gefeiert wird, dümpelt die heimische Fußballliga vor sich hin.
Ungarische und deutsche Rufe hallen über einen der Rasenplätze des Leistungszentrums in Telki. Die ungarische U18 absolviert ein Freundschaftsspiel. Gleich neben dem Trainingsfeld heben Bauarbeiter Gräben aus, pflastern den Weg. Ein Bild mit Symbolcharakter. Denn auch der ungarische Fußball ist eine Baustelle. Und der Bauleiter kommt aus Deutschland. Seit März 2015 ist Bernd Storck Sportdirektor des ungarischen Fußballverbandes MLSZ, seit Juli auch Nationaltrainer.
"Wir haben einen neuen Fitness-Bereich aufgebaut, der von der Jugend aber auch von der A-Nationalmannschaft genutzt werden kann. Wir haben speziellen Speed-Court gekauft für die jungen Spieler, um die Handlungsschnelligkeit zu trainieren. Das ist einmalig, ich glaube, das gibt es hier gar nicht, hier in Ungarn."
Im Speisesaal des Trainingszentrums hängen – so viel ist durch die offene Flügeltür zu erkennen – Bilder der Großen des ungarischen Fußballs. Der Aranycsapat, der goldenen Elf, der 50er-Jahre. Damals blieben Ferenc Puskàs und Co in 31 Länderspielen ungeschlagen. Doch das ruhmreiche Erbe erweist sich heute für viele junge Spieler als Bumerang:
"Sie damit zu vergleichen, das wird dem nicht gerecht. Wir müssen dieser neuen Generation auch eine Chance geben, sich zu etablieren und das ist wichtig. Und da tue ich mein Bestes, um das in diese Richtung auch zu lenken."

Hunderte Millionen Euro für den Ausbau der Stadien

Überall im Land sind Fußball-Akademien zur Nachwuchsförderung entstanden. Das ungarische Steuerrecht wurde geändert, sodass das Sponsoring von "beliebten Mannschaftssportarten" steuerlich absetzbar ist. Hunderte Millionen Euro sind in den Ausbau der Stadien geflossen. Profitiert haben dürfte auch so mancher regierungs-nahe Bauunternehmer, kritisieren Oppositionsparteien und unabhängige Medien. Am umstrittensten ist wohl die Pancho-Arena in Felcsùt, dem Heimatort von Regierungschef und Fußballfan Viktor Orban. Das Stadion in dem 1800 Einwohner Dorf hat Platz für rund 4000 Besucher. "Geld allein hilft nicht", analysiert Nationaltrainer Bernd Storck.
"Was sich noch nicht geändert hat, ist natürlich die Art und Weise wie ich Fußball trainiere, wie ich das den Spielern beibringe. Der Ausbildungsstand…"
Bernd Storck hat vor allem auch die jungen Spieler im Blick, die im hierarchisch strukturierten ungarischen Fußball kaum zum Zuge kommen. Spieler wie Lazlo Kleinheisler etwa, der als Storck ihn bei der EM-Quali gegen Norwegen einsetzte, in der zweiten ungarischen Liga spielte. Jetzt ist er bei Werder Bremen unter Vertrag.
"Und ich habe gesagt, wir haben talentierte Spieler, aber ihr müsst ihnen Chancen geben auch zu spielen. Gebt ihnen die Möglichkeit, bringt sie rein. So und viele Trainer trauen sich nicht oder können das nicht erkennen, dieses Talent…"

Werden junge Spieler eingesetzt, fließt Geld

Um das zu ändern, setzt der Verband auf ein finanzielles Anreizsystem: Werden junge Spieler eingesetzt, fließt Geld an die Klubs. Während die Nationalmannschaft auf die erfolgreiche EM-Qualifikation verweisen kann, muss auf Klub-Ebene noch viel passieren, weiß Sportdirektor Storck. Trotz der Millionen-schweren Umbauten herrscht gähnende Leere in den Arenen. Fangruppen kritisieren die Überwachung mittels eines landesweiten ID-Systems, das erst den Ticketkauf ermöglicht. Zum Teil grottenschlechte Spiele verschrecken die Besucher. Das Nachrichtenportal 444.hu hat im Frühjahr nachgezählt. Teilweise kamen nur wenige hundert Fans zu einem 1. Liga-Spiel. Doch Bernd Storck bleibt optimistisch:
"Wir haben Traditionsclubs, aber wo spielen sie? Nur in Ungarn und ich glaube, wenn wir international diese Clubs etablieren könnten, dann würden wir genauso viele Zuschauer haben wie jetzt mit der Nationalmannschaft, da bin ich sicher und daran ist zu arbeiten."
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