Außenpolitik

Für ein neutrales Deutschland

Eine Statue der Justitia
Deutschland sollte vermitteln - und nicht für eine Seite Partei ergreifen, meint Vlad Georgescu. © dpa / picture alliance / Reinhardt
Von Vlad Georgescu · 23.05.2014
Deutschland muss sich unabhängig machen, fordert der Journalist Vlad Georgescu - von russischem Gas und von der amerikanischen Dominanz. Nötig sei eine neue deutsche Art der Neutralität.
Die Krise in der Ukraine hat vor allem eins gezeigt: Deutschland ist abhängig. Es kann in politisch brisanten Situationen nicht frei entscheiden. In die Enge getrieben wird es durch alles bestimmende Importe, zum einen von Informationstechnologie, zum anderen von Energierohstoffen. Oder geografisch ausgedrückt: Es wird dominiert zum einen von den Vereinigten Staaten, zum anderen von Russland.
Die amerikanische Dominanz im Internet ist erdrückend – derart, dass sich selbst Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende des Axel Springer Verlags, offen seine Furcht vor Google eingesteht. Die großen Spieler im Netz sammeln Daten, betreiben Plattformen, bieten Software und Endgeräte – und öffnen den amerikanischen Geheimdiensten die Hintertür. Sie bestimmen die Regeln und haben den fest im Griff, der ihr Kunde wird.
Den Privaten geht es nicht anders als der Wirtschaft oder den Behörden. Sie werden ausgespäht. Kaum eine wichtige und sensible Nachricht oder Innovation bleibt hierzulande anonym. Und wer sensible Informationen vor Spionage schützen will, muss sich wiederum auf amerikanische Programme verlassen.
Zeit für ein strategisches Umdenken
Unabhängigkeit sieht anders aus - auch im Energiesektor. Zwar pochen die Kanzlerin und ihr Wirtschaftsminister auf eine schnelle Energiewende. Nur kommt sie nicht wirklich voran. Die Bedenken sind größer als die praktischen Fortschritte. Die geopolitischen Folgen spüren zunächst die osteuropäischen Nachbarn und mit ihnen auch die Deutschen, eben weil sie ohne Alternative sind.
Es ist also an der Zeit, strategisch umzudenken. Die Republik muss sich unabhängig machen - vom russischen Gas und von der amerikanischen Dominanz. Doch es geht nicht nur darum, technologisch aufzurüsten, um eigene Wege gehen zu können, so wie dies schon vielfach diskutiert wird. Von Nöten wäre auch eine neue politische Haltung, eine neue deutsche Art der Neutralität.
Natürlich würde es nicht funktionieren, das Modell von Ländern wie Österreich, Finnland oder die Schweiz abzukupfern oder einer Blockfreiheit alten Stils das Wort zu reden. Denn Deutschland ist Europas größte Wirtschaftsmacht und außerdem ein unentbehrlicher Partner im westlichen Militärbündnis.
Nein, es sollte anders herumdenken. Gerade seine prominente Rolle in EU und Nato könnte es nutzen, wirkungsvoll politische Enthaltsamkeit zu demonstrieren, sich eher als Vermittler anzubieten, denn freiwillig oder unfreiwillig Partei für eine Seite zu ergreifen, deren Sache es nicht wirklich teilt. So muss sich Berlin nicht in neu aufflammende und global ausgetragene amerikanisch-russische Konflikte hineinziehen lassen.
Was immer in Syrien, Afghanistan, Libyen oder auch in der Ukraine passiert, die Lage in diesen Ländern bedroht nicht die Sicherheit der Bundesrepublik oder Europas. Wohl aber ist es in deutschem und europäischem Interesse, politische Lösungen zu finden, wo immer gute Nachbarschaft ihrer bedarf.
Primus inter pares in der Europäischen Union
Im Konzert der Großmächte steht Deutschland Luxemburg näher als China. Es mag zuweilen ein Primus sein, sollte aber stets inter pares handeln. Es mag einflussreich sein, aber sich stets als Gleicher unter 28 europäischen Partnern sehen, eher mit, denn ohne Polen und Frankreich Politik machen.
Und dazu braucht dieses Deutschland innere Unabhängigkeit und eine neutrale Distanz zu Interessen, die nicht seine, nicht europäische sind. Es könnte aber anderen eine Plattform für pragmatische Verhandlungen ohne Gesichtsverlust bieten – als ein Vermittler, der durch seinen Handel gut vernetzt in der Welt, der durch Partnerschaft fest im westlichen Bündnis verankert ist.
Und sollte Deutschland durch seine diplomatischen Dienste unverzichtbar werden, sollte es sich durch Innovation unabhängig von wirtschaftlicher Erpressung machen, dann könnte es auch für sich und seine europäischen Nachbarn Bedingungen setzen, sich gegen amerikanische Spionage und gegen eine fragwürdige russische Gas-Politik wehren.
Vlad Georgescu, 1966 geboren, studierte Chemie an der TU Hannover und Journalistik an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Er ist freier Wissenschafts- und Wirtschaftsjournalist und leitete zusammen mit Marita Vollborn seit 2001 das internationale Biotech-Webzine LifeGen.de. Er ist Mitglied der Wissenschaftspressekonferenz (WPK). Gemeinsam mit Marita Vollborn schrieb er "Die Joghurt-Lüge. Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie" und "Kein Winter, nirgends. Wie der Klimawandel Deutschland verändert".
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