Auslandseinsatz

Showtime in Afghanistan

"The Bites" in Afghanistan
"The Bites" in Afghanistan © Axel Rahmlow
Von Axel Rahmlow · 12.01.2014
"Betreuungsmaßnahme", so heißt es im Bundeswehrdeutsch, wenn Künstler aus dem Theater, der Comedy-Szene oder der Musikbranche vor deutschen Soldaten im Auslandseinsatz spielen.
Die Bundeswehr fliegt die Künstler hin, die haben ein paar Auftritte, dann werden sie zurückgeflogen. Und doch ändert so ein Einsatz für die Beteiligten einiges, zum Beispiel ihre Sicht auf die Einsätze deutscher Soldaten im Ausland. Die Begegnung vor Ort schafft Nähe, die sich auf dem Rückflug im Bundeswehrjet nicht einfach abschütteln lässt.
Manuskript der Sendung:
Tausende Vögel kreischen über dem Flugfeld. Aber die Propeller des olivgrünen Militärtransporters, die jetzt warmlaufen, sind lauter.
An der offenen Ladeluke hinten parkt ein vollgepackter Kleinbus. Darin sitzen 30 deutsche Soldaten. Beige Tarnuniformen, Reihe für Reihe.
"Es ist eine sehr niedergedrückte Stimmung hier. Das ist der Ernstfall."
Chris Rieck hat das gleiche Ziel: Camp Marmal. Das letzte Feldlager der Bundeswehr in Afghanistan. Aber er sitzt ohne Uniform dazwischen, mit braunem Gitarrenkoffer zwischen den Beinen und rotem Anstecker der Rolling Stones an der Mütze. Er ist Ende 30 und in Deutschland eigentlich Lehrer am Bodensee. Jetzt wartet er am frühen Morgen mit seinen Bandkollegen Nadine, Oli und Gabriel auf einem Militärflugplatz in Usbekistan, 6000 Kilometer von zuhause entfernt.
"Ich bin schon ein bisschen nervös. Wie kann man da abgeklärt sein?"
In ihrer Freizeit machen sie als "The Bite" Elektro-Pop. Sie haben sich bei der Bundeswehr als "Betreuungsmaßnahme" beworben. Das ist Bundeswehrdeutsch, für Künstler, die vor deutschen Soldaten im Auslandseinsatz spielen. Fünf Konzerte waren mal angedacht, zwei sind es geworden.
"Das ist schon eine verrückte Idee nach Afghanistan zu fahren.
Es ist ein Kriegsgebiet, das muss man sich vor Augen halten. Aber jetzt freu ich mich drauf."
Wie alle in der Band haben auch Bassist Oli Rhede und Schlagzeuger Gabriel Murin die Idee mit ihren Familien abgesprochen. Die zwei Ingenieure quetschen sich mit den Soldaten durch vier schmale Sitzreihen, die längs an der Innenwand entlanglaufen. Darüber ein paar Beatmungsgeräte, Bullaugen und dicke Rohre. Oli bleibt ruhig. Er bleibt immer ruhig.
"Wenn es mal tropft und dampft, dann ist das wohl normal."
Ein großgewachsener Soldat mit raspelkurzen Haaren hilft den vier Zivilisten sich zurechtzufinden. Oberstleutnant Stefan G. besteht sehr schnell darauf, geduzt zu werden.
"Ganz nette Leute, mit denen kann man sich nicht nur über Musik unterhalten."

"The Bites" in Afghanistan
"The Bites" in Afghanistan© Axel Rahmlow
Stefan also. Er ist Pilot bei den Rettungshubschraubern und Mitte 40. Rechts auf seinem Overall ist das runde Abzeichen seiner Einheit genäht. Ein Nazgul, das ist einer der dunklen Ringgeister aus dem "Herrn der Ringe", die auf Drachen fliegen. Nazgul ist ihr internationales Rufzeichen beim Funkverkehr. Eines, was sich jeder merken kann. Stefan und die Rettungsmannschaften interpretieren das Symbol als etwas Gutes, Schnelles, Mächtiges.
"Egal welche Zivilisten oder welche Soldaten, egal ob Sprengfalle oder Angriff oder auch Verkehrsunfall, dass wir denen aktiv helfen. Das ist was für mich zählt."
Es ist seine siebte Tour in Afghanistan. "The Bite" kennen das Land dagegen nur aus den eigentlich immer schlechten Nachrichten. Ein halbes Jahr lang haben sie jetzt immer wieder mit Freunden diskutiert: Ob sie durch ihre Konzerte nicht einen Auslandseinsatz oder sogar einen Krieg unterstützen.
"Ein Abenteuer"
"Wir wollen nicht signalisieren, dass wir den Krieg dort gut heißen. Aber die Soldaten gehören dazu und warum nicht denen auch ein stückweit Solidarität zeigen?"
"Wir haben keine politische Message. Wir machen es für die Leute und für uns. Es ist ein Abenteuer. Manche sagen der Krieg ist verloren, manche sagen nein, aber wir ziehen uns zurück. Wenn sie mal ein bisschen Unterhaltung und Party brauchen, dann in dieser Situation. Sie warten darauf, dass sie abgezogen werden."
Im Cockpit bereiten die beiden Piloten den Start vor. Ein Soldat überwacht an einem Laptop den Luftraum. Falls die Maschine mit Raketen beschossen wird, muss er Magnesiumsalven abschießen, um sie abzulenken.
"Angeschnallt biste?"
"Ja!"
"Check!"
Die Stimmung vorne ist trotzdem gelöst. Auch bei Nadine Maikler. Die Sängerin darf im Cockpit sitzen, der freundliche Hubschrauberpilot hat das spontan organisiert. Sie ist Ende 20, studiert noch Jura und hat bisher nie mit der Bundeswehr zu tun gehabt. Sie kriegt einen Kopfhörer auf ihre blonden Haare und stellt den Piloten jede Menge Fragen.
"Werden wir Spaß haben"
Die Piloten beschleunigen. Nadine hält sich an einer Konsole fest. Aber grinst.
"… jetzt kann es losgehen. Sie haben die technischen Details gecheckt. 9 Grad in Afghanistan. Werden wir Spaß haben."
Die Maschine steigt steil nach oben, die Piloten drehen nach Süden, Richtung Grenze. Die Sonne scheint, der Himmel ist klar. Nach wenigen Minuten taucht ein Felsmassiv vor dem Flugzeug auf, die ersten Ausläufer des Hindukush. Davor die Sandhügel der Wüste. Und Mazar-e Sharif, die größte Stadt im Norden mit den blauen Kuppeln einer Moschee. Daneben gleich Camp Marmal.
"Wenn wir aus dem Cockpit rausschauen, sehen wir schon die Landebahn. Jetzt geht’s los."
Der Grund: Schnell runterkommen, wenig Zielfläche für Beschuss bieten. Erst kurz vor dem Boden ziehen sie die Flugzeugnase hoch. Nach 20 Minuten sind die Soldaten und "The Bite" in Afghanistan gelandet.
Der Militärflugplatz ist Teil des Lagers. Es ist staubig. Hinter den Mauern ist Wüste. Chris dreht sich um, zieht seine Mütze ein Stück ins Gesicht, schaut in die Berge.
"Das ist ein wunderschönes Bild, das sich da bietet. Die Wolken darüber. Das ist ein sehr schönes Stück Land."
Neben der Landebahn ist Stau. Die Neunankömmlinge werden von ihren Einheiten abgeholt. Ein älterer Soldat beschwert sich, dass sein Jeep zugeparkt ist. Er trägt eine Pistole an der Hüfte. Jeder hier ist bewaffnet.
Auch Andreas S. Er darf seinen vollen Namen ebenfalls nicht nennen. Wie alle hier. Der Offizier wird sich um die Band kümmern, duzt gleich alle. Er verfrachtet die vier in sein Auto, ein normaler Kleinbus mit Bundeswehrlogo. Es gilt Tempo 20, überall im Camp. Ihr "Hotel" - ein Wohncontainer für Gäste - ist nur ein paar Meter entfernt. Nadine kriegt ein schmales Einzelzimmer, die Jungs teilen sich eins. Soldatenalltag.
"Selbst Offiziere leben so, das stelle ich mir extrem belastend vor."
Gepäck weg und weiter geht’s mit dem Kleinbus Richtung Konzertort. Noch fünf Stunden Zeit bis zum Auftritt. Es geht vorbei an Parkplätzen voller gepanzerter Jeeps mit Maschinengewehren auf dem Dach, vorbei an endlosen Wohncontainern und abgeriegelten Bereichen, vorbei an Stacheldrahtzaun, Generatoren - zwei Quadratkilometer, alles sieht gleich aus. Mehr als 3000 deutsche Soldaten sind hier. Andreas beantwortet alle Fragen. Chris schreibt alles in seinem Notizbuch auf.
Alles völlig sicher?
"In den zehn Jahren, die der Krieg schon dauert, ist das Lager zweimal beschossen worden und beide Male gab es nur Sachschaden. Also ich für meine Teil fühle mich völlig sicher hier."
Beim Thema Sicherheit hat Andreas eine Bitte. Es geht um Fotos, die im Internet landen können.
"Keine Gesichter, keine Namen. Weil die Familien teilweise zuhause Drohanrufe kriegen, von Taliban. Hier ist wirklich Krisengebiet."
Andreas hält vor dem "Planet Mazar". In dem Camp-Café sitzen Soldaten auf Sofas, reden und lesen, kickern. In der Ecke steht ein einsames Podest. Zwei Lichterketten baumeln an der Wand. Die Bühne.
Soldaten rollen schwarze Kisten an. Boxen, ein Mischpult, Schlagzeug, Keyboard und hunderte Kabel - "The Bite" haben alles mitgebracht. Chris sagt, was zu tun ist. Nach ein paar Stunden hat die Bühne den Namen verdient. Es wird schon dunkel in Afghanistan.
"Wir haben gerade den ersten Test gemacht und es hat schon mal bunt geblinkt."
Auftritt vor 150 bewaffneten Soldaten
Nach anderthalb Stunden, um kurz vor acht, liegt schon Wüstenstaub auf den Instrumenten, er schafft es durch jede Ritze. Die Band hat sich nach dem Soundcheck umgezogen. Oli, Chris und Gabriel tragen schwarze Hemden und orangene Krawatten, Nadine statt Jeans und Turnschuhen jetzt Kleid und Highheels. Sie stehen vor 150 bewaffneten Soldaten.
"Das ist schon irgendwie surreal in Afghanistan zu sein."
"Jetzt geht es um die Wurst."
Nadine steht am Mikrofon, im gelben Scheinwerferlicht. Chris zelebriert das Gitarrespielen. Olli zupft stoisch an seinem Bass. Dahinter gibt Gabriel am Schlagzeug den Beat vor.
Der Sound macht Spaß! Nadine ist eine selbstbewusste Frontfrau. Aber vor der Bühne klafft ein Loch. Mit drei Metern Sicherheitsabstand sitzen die Soldaten an Tischen um die Band herum. Sie wippen mit dem Fuß zum Beat. Fast alle sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Aber tanzen? Es ist eher soldatisch freundliche Aufmerksamkeit.
"The Bites" in Afghanistan - Auftritt im Bundeswehr-Camp
"The Bites" in Afghanistan© Axel Rahmlow
"Militärischer Applaus" lacht einer an der Bar. Wenigstens ein paar Soldaten kommen in die Mitte. Sie tanzen nicht wirklich, aber sie bewegen sich zur Musik. Einer von ihnen mit einem Gewehr über der Schulter.
"Wenn wir schon die Möglichkeit einer Band haben, dann muss man sich überwinden ..."
Anne S. ist Mitte 20. Eine von ganz wenigen Frauen im Camp. Sie ist Assistentin im OP. Es ist ihr dritter Einsatz.
"Ich sehe, was wir leisten. Wir flicken die Soldaten wieder zusammen und bin ich so froh, dass wir Ablenkung bekommen und ich meinen Kopf freikriege. Aber es gibt geteilte Meinungen. Viele Soldaten sagen: Wir sind im Einsatz, und da gehört das nicht hin."
"Wir sind im Krieg"
Einer davon ist Benedik G. Der junge Mann nickt. Während die Band spielt, sagt er, riskieren draußen Soldaten ihr Leben.
"Wir sind im Krieg. Das ist eine Ausnahmesituation. Das hat bei der Bundeswehr in einem Krisengebiet nichts zu suchen."
Damit verabschiedet er sich. Er will noch duschen, bevor sich im Wohncontainer eine Schlange bildet.
Denn mittlerweile ist es zehn Uhr, Sperrstunde. "The Bite" müssen Schluss machen. Viele Soldaten kommen jetzt nach vorne, bedanken sich bei der Band, plaudern kurz. Nadine und Oli haben Verständnis für ihr tanzfaules Publikum.
Chris fasst zusammen: Alle in Uniform. Fast nur Männer. Alle stocknüchtern.
"Ich habe ein Feedback bekommen nach dem Konzert. Da wurde mir gesagt: Es hat hier noch nie jemand getanzt. Das ist einfach nicht möglich. Auch wegen diesen Dienstgraden nicht. Das wussten wir auch nicht. Und die Menschen, die uns gesagt haben, ihr habt uns echt glücklich gemacht hier, das ist was hängenbleibt und zählt und das ist perfekt."
Um kurz vor Mitternacht ist alles wieder aufgeräumt. Die Band verabschiedet sich vom letzten Gast: Stefan von den Hubschrauberpiloten hat sich alles vom Sofa in der Ecke angeschaut.
"Ich fand es sehr interessant. … Gute Mischung: Deutsch. Englisch. Original. Cover. Die Band hat mich überzeugt, die 90 Minuten waren klasse, war richtig gut."
Die Band ist jetzt bereit in den Betten zu verschwinden. Es ist still draußen, die Fußwege zwischen den Containern sind vereinsamt und dunkel. Vor dem improvisierten Hotel gibt es noch eine letzte Abendzigarette. Auf dem Rollfeld starten und landen noch immer die Flugzeuge.
Auf dem Flugplatz beginnt auch der nächste Tag für "The Bite", sie sollen eine Führung kriegen. Aber keiner hier weiß von was. Da geht die Nebentür auf. Die Lache kennen die vier mittlerweile.
Stefan der Pilot kommt zufällig von einer Besprechung. Und nimmt sie einfach mit.
"Die Band hat mich gestern gut unterhalten. Warum nicht mal nen Hubschrauber zeigen?"
Auf einmal stehen Chris, Nadine, Oli und Gabriel direkt vor einem Bundeswehr-Rettungshubschrauber. Schwarz lackiert, mit zwei Extratanks an der Seite, die wie Zigarren aussehen.
"Diese riesigen Teile hier sind viel größer als man sich das vorgestellt hat. Sehr bedrohlich, ehrlich gesagt."
Inzwischen haben sich Techniker und Mediziner um die Band versammelt. Viele tragen den runden Aufnäher der Einheit am Ärmel oder der Brust - den Nazgul, die Ringgeister aus dem Herrn der Ringe.
Viele Soldaten hier beklagen sich über "freundliches Desinteresse" aus der Heimat. Und sind froh, wenn mal jemand Fragen hat. Die Rettungsflieger bedanken sich dafür bei "The Bite" mit einem spontanen Angebot: Ein Auftritt zusammen mit der Hobbyband der Flieger, am Abend im Bereitschaftsraum. Die Band sagt sofort zu.
Austausch bei einer Jam-Session
"Dadurch, dass wir wegen der Musik hier sind, haben wir jetzt Musiker gefunden, die hier stationiert sind. Ich glaube, es kann keinen besseren Austausch geben als eine Jam-Session zusammen."
Eigentlich sollten sie heute nur noch auf den Abflug warten. Den letzten Auftritt, in einem Nebencamp der Amerikaner ein paar Kilometer außerhalb, hat die Bundeswehr absagen müssen, denn das Equipment kann nicht rechtzeitig dorthin gebracht werden. Das ist jetzt aber völlig egal.
Vorher will der Betreuungsoffizier Andreas der Band noch einen besonderen Ort im Camp zeigen. Die Band läuft in ein Kiesfeld. In der Mitte liegt ein mannshoher heller Felsbrocken. Auf einer Inschrift steht: "Zum Gedenken an unsere toten Kameraden". Es ist der Ehrenhain für die Gestorbenen.
Chris, Oli, Nadine und Gabriel werden still. Auf vielen, vielen weißen Tafeln stehen die Namen der Toten. Gabriel hat sich eine Sonnenbrille aufgesetzt. Aber seine Stimme verrät ihn.
"Es wird einem schon deutlich, dass hier nicht nur Soldaten hier stationiert sind, sondern das welche auch ihr Leben lassen. Ein schweres Gefühl, was man hier erfährt."
An einigen Tafeln stehen erloschene Kerzen, an anderen hängen Fotos mit lachenden Gesichtern. Chris, sonst der inoffizielle Band-Leader, findet erst mal keine Worte. Auch Nadine zögert.
"Ich finde es sehr, sehr bedrückend. Ich muss fast mit den Tränen kämpfen. Der Krieg ist nicht nur so eine Fiktion, sondern Realität und wir sind mittendrin …"
Alle drehen sich um. Ein Kampfjet der Amerikaner hebt ab.
"Und ich finde es toll, dass es so eine Gedenkstätte gibt, damit sich die Menschen daran erinnern."
Aber viel mehr Zeit zum Sacken lassen ist jetzt nicht. Sie sind eine Betreuungsmaßnahme. Und ein Publikum wartet.
Der Bereitschaftsraum der Rettungsflieger sieht aus wie eine kleine Skihütte. Massive Holzbalken halten die Decke. Überall Fotos von Hubschraubern. "The Bite" sind im "Heli Inn". Ein gemütlicher Rückzugort, von der Gemeinschaft aufgebaut und betreut. In der Mitte macht sich die Fliegerband bereit: "The Captains and the Morgans"
"Starten wir mal ganz, ganz sachte."
Die Hausherren spielen einen Song von Udo Lindenberg. Am Schlagzeug sitzt Gabriel, Chris übernimmt ein Gitarrensolo. Im Publikum: Piloten, Techniker, Ärzte, ein Militärpfarrer. Und mittendrin Nadine und Stefan.
"Ich genieß es in vollen Zügen. Es könnte keinen besseren Abschluss geben als dieses Konzert."
"Ich muss betonen, ohne dass da groß Alkohol im Spiel ist. Ne richtig schöne Party, ohne Exzesse."
Und exklusiv. Denn nur wer Zugang zu den Rettungshubschraubern hat,kommt auch hier rein. Man kennt sich, vertraut sich. Die Stimmung ist viel gelöster als beim Konzert gestern.
Bandwechsel.
"The Bite" brauchen einen Freiwilligen. Sie wollen Highway to Hell von ACDC singen. Torsten V. wird von den anderen Soldaten freundlich in Richtung Bühne geschubst.
Das Heli Inn wird zur Karaoke-Bar. Weil "der Freiwillige" Torsten stimmlich ziemlich gut an das Original herankommt. Und weil die Soldaten sich hier auch trauen mitzusingen und zu johlen.
"The Bites" in Afghanistan
"The Bites" in Afghanistan© Axel Rahmlow
"Herzklopfen pur"
Danach tröpfelt Torsten V. der Schweiß von der Glatze. Zusammen mit Nadine geht es in den Innenhof für ein Erinnerungsfoto.
"Ich hab nach dem ersten Refrain gemerkt: Der Mann kann echt gut singen. Er hat ihn gerockt, das war gigantisch."
"Das war absolut Hammer. Ich wurde ins kalte Wasser geschmissene. Hat geschockt. Absolut Wahnsinn. Herzklopfen pur."
Das sieht der Rest der Rettungsflieger am Ende des Abends ähnlich. Spontan gibt es eine Abstimmung im Heli Inn: Die Band wird Ehrenmitglied der Einheit.
"Heute war der Beschluss, dass ihr uns nen geilen Abend gemacht habt, dass ihr überhaupt den Arsch in der Hose gehabt habt nach Afghanistan zu kommen. Und deswegen möchten wir euch hier den Patch geben."
Die Band ist einen Moment still. Für solche Situationen ist Chris zuständig.
"Wow. Vielen, vielen herzlichen Dank. … Wir haben gesagt, ja, wir machen das für die Jungs da unten und alleine der Abend heute, der war es wert. Stay safe und macht weiter so. Jungs, Riesenapplaus."
Ab nach Hause
Und dann ist ganz schnell wieder Sperrstunde. Und Schluss. Keine Exzesse. Die Soldaten machen Fotos mit der Band, Adressen werden ausgetauscht. Dann ist Ruhe im Heli Inn. Morgen müssen alle wieder früh raus. Die Band als allererste. In ein paar Stunden geht es zurück nach Hause.
Stefan bringt die Band noch zu ihrem Wohncontainer zurück. Zu Fuß laufen sie über den stillen Flugplatz, eine Transall steht schon bereit. Gabriel geht ein Gespräch mit einer Soldatin nicht aus dem Kopf, einer Rettungsassistentin.
"Die hat mir erzählt, dass sie schon wöchentlich schwere Gefechtsverletzungen behandeln, rausfliegen und ihr eigenes Leben riskieren, das beschäftigt mich sehr."
Nadine geht es ähnlich: Sie wollte wissen, wie die Soldaten den Einsatz in Afghanistan erleben. Sie hat mehr erfahren, als sie geglaubt hat.
"Ich hätte nicht gedacht, dass die Menschen so offenherzig sprechen und sagen, wie sie sich fühlen und dass sie in gewissen Situationen Angst haben. Das war für mich sehr emotional, gerade die Ambivalenz zwischen Leben und Tod und dem Menschen der dahinter steht."
Am Container wird Stefan von allen umarmt - und dann nochmal umarmt.
Party im Kriegsgebiet
Ein paar letzte Lacher, dann verschwindet der Pilot auf der langen Hauptstraße von Camp Marmal. Abschiedsstimmung kommt auf - in einem Krisenland. Spaß in Afghanistan. Party im Militärlager. Gabriel und Oli sehen darin keine Widersprüche.
"Also mich hat das ziemlich angesteckt und man vergisst, dass rings herum Krieg herrscht und die Leute Sorgen haben. In diesen Momenten kann man es ausblenden."
"Das ist für mich eine ganz andere Ebene. Und die Leute sind gut drauf, es ist nicht so, dass die immer ein langes Gesicht machen, weil sie um ihr Leben bangen. Die haben einen Weg damit umzugehen. Deswegen ist es für mich kein Widerspruch, die Tatsache hier in diesem Camp zu sein, wo Krieg geführt wird, und gleichzeitig eine ausgelassene Party zu feiern."
Chris guckt nochmal Stefan hinterher. Ein Abenteuer sollte es werden, hat er gesagt. Ohne politische Botschaft. Jetzt sind sie Ehrenmitglieder der Rettungsflieger. Verbrüdert mit Piloten und Ärzten. Aber auch mit Soldaten, die an Maschinengewehren sitzen und im Notfall den Weg freischießen.
"Und in diesem Konfliktfeld bewegen wir uns im Moment. Hier die Menschen, die ihr Leben riskieren. Hier der Krieg, der um mal vorsichtig zu sprechen, nicht mehr sinnvoll erscheint. … Das sind gedankliche Prozesse, die bei uns allen gerade ablaufen."
Zeit genug dafür haben sie erst mal. Bis Nadine, Oli, Chris und Gabriel wieder zuhause am Bodensee sind, wird es späte Nacht in Deutschland sein. In Afghanistan geht dann schon wieder die Sonne auf.
Axel Rahmlow: "Wir haben in Afghanistan total viele lustige Sachen erlebt, wir haben dort viel Spaß gehabt und mit den Soldaten gelacht. Aber ich tu mir schwer damit das zu sagen, denn für die Soldaten dort ist das nicht lustig, die riskieren ihr Leben und die dürfen nicht nach drei Tagen schon wieder nach Hause. Ich bin immer noch ein wenig ratlos, wie ich dieses Abenteuer beschreiben soll und ob ich es überhaupt Abenteuer nennen darf."
Reporter Axel Rahmlow
Reporter Axel Rahmlow© privat