Auslandseinsatz

Kehrtwende am Horn von Afrika?

Von Antje Diekhans · 10.02.2014
Die multinationale Atalanta-Mission der EU mit deutscher Beteiligung zeigt Wirkung. Erfolgreiche Piraten-Angriffe an Afrikas Ostküste sind auf Null zurückgegangen.
"Piratenjagd im Indischen Ozean. Die Mission Atalanta …"
Ein Werbefilm der Bundeswehr zum Einsatz am Horn von Afrika. Seit Ende 2008 beteiligt sich Deutschland an der EU-Mission Atalanta – zurzeit mit der Fregatte "Hessen". Die somalischen Piraten haben über Jahre fette Beute gemacht. Die Weltbank schätzt, dass sie insgesamt fast 400 Millionen Dollar Lösegeld kassierten. Doch zuletzt ist es ruhig vor Ostafrikas Küste,sagt Gerhard van Rooyen vom Büro für Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen:
"Es gab 2013 keine erfolgreichen Angriffe. Es wurden keine Lösegelder gefordert."
Zeitweise wurden im Jahr mehr als zweihundert Frachter und Öltanker überfallen. Der Ablauf war immer ähnlich: Piraten nähern sich mit Schnellbooten, schießen, entern das Schiff und nehmen die Besatzung gefangen. Dann ein Anruf bei der Reederei.
"This is somalia group …"
Der Auftakt zu zähen Lösegeldverhandlungen. Verzweifelte Appelle der Geiseln sollten die Summen in die Höhe treiben:
"Uns geht es nicht gut. Bitte helft uns!"
Viele Reedereien beschlossen, lieber vorab in Sicherheitskräfte zu investieren. Sie zogen Stacheldraht an der Reling und bauten sogenannte Panic Rooms ein, in denen sich die Mannschaft im Falle eines Angriffs verschanzen kann.
Die Aufrüstung an Bord zeigt Wirkung, meint Kapitän Kurt Leonards, der vergangenes Jahr mit der deutschen Fregatte "Niedersachsen" vor Ostafrika kreuzte:
"Seit 2011 ist die Piraterie signifikant zurückgegangen. Dafür gibt es mehrere Faktoren. Einmal die privaten Sicherheitsteams, die viele Händler an Bord haben, die unmittelbar reagieren können, wenn Piraten angreifen. Zum Zweiten sind es aber auch diese passiven Maßnahmen vom Stacheldraht über Feuerlöschschläuche. Und das Dritte ist das viel umfassendere Lagebild der Marinekräfte vor Ort."
Mehrere koordinierte Missionen
Der EU-Einsatz ist nicht der einzige gegen die Piraten. Auch die NATO und die USA schickten Kriegsschiffe. Nach Anlaufschwierigkeiten gelang es immer besser, die Missionen zu koordinieren. Informationen wurden abgeglichen und die Piraten-Hochburgen an Land aus der Luft beobachtet.
So entstand das Lagebild, von dem Leonards spricht:
"Mit diesem Lagebild kann man viel besser abschätzen, wo hält sich wer auf, wo könnte der nächste Angriff starten. Es kann nicht perfekt sein, dieses Lagebild, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Piratenangriff erneut erfolgreich durchgeführt wird, die hat sich doch messbar deutlich zurückentwickelt."
Seit einer Erweiterung des Atalanta-Mandats können die Soldaten auch gegen Stützpunkte der Piraten vorgehen und dabei bis zu zwei Kilometer ins Landesinnere vordringen. Gebrauch gemacht haben die Beteiligten davon bisher aber kaum. Es sei schwierig Piratenstellungen von normalen Fischerdörfern zu unterscheiden, meint Kapitänleutnant Jan Pahl:
"Weil man natürlich nie mit Sicherheit feststellen kann, okay, diese Fässer die da jetzt stehen – gehören die tatsächlich einfach nur den Fischern, die natürlich auch Sprit brauchen für ihre Außenbordmotoren. Oder sind das jetzt die Fässer, die für eine Piraterie-Vorbereitung gebraucht werden."
Entscheidung über Verlängerung
Der Bundestag muss bald darüber entscheiden, ob die Deutsche Marine sich weiter am Atalanta-Einsatz beteiligt. Das jetzige Mandat läuft Ende Mai aus. Nach dem ruhigen Jahr 2013 vor Ostafrikas Küsten könnte die Mission überflüssig erscheinen – doch das wäre ein Trugschluss, sagt Korvettenkapitän Daniel Peter, der für Aufklärungsflüge über Somalia zuständig ist:
"Ich denke, dass die Struktur schläft. Und ich denke, das ist ein Verdienst des Militärs hier. Ich gehe davon aus, dass in dem Moment, wo man hier das Engagement zurückfahren würde, die Piratenbedrohung wieder rapide steigen wird."
Die Frage ist, was die Piraten heute machen. Die erpressten Lösegelder für Frachter und Öltanker haben früher ausgereicht, um ganze Dörfer in Somalia zu ernähren. Vor allem sahnten die Hintermänner ab. Drahtzieher, die zum Teil nicht mal in Somalia, sondern in komfortablen Hotelzimmern in London und anderswo gesessen haben sollen.
Sie machten mit den Pirateneinnahmen große Geschäfte,sagt Stuart Yikona, der an einem Weltbank-Bericht zur Piraterie mitschrieb:
"Mit dem Geld wurden legale und illegale Investitionen getätigt. Auf der einen Seite wurden Hotels, Restaurants und auch Transportunternehmen finanziert. Andererseits wurde das Geld auch genutzt, um Menschenhandel aufzubauen, Waffengeschäfte zu erweitern und Milizen zu unterstützen."
Die somalischen Piraten haben unter anderem Verbindungen zur radikal-islamischen Shabaab. Die Miliz kontrollierte lange Zeit den kompletten Süden Somalias. Sie zwackte Teile der Lösegelder ab. Für die Piraten wurde eine Art Hafengebühr fällig, wenn sie Anlegestellen in Shabaab-kontrollierten Orten nutzte. Inzwischen sind die Islamisten allerdings eingekesselt von Truppen der Afrikanischen Union. Die AU-Soldaten haben viele Hafenstädte zurückerobert. Hierher können keine gekaperten Frachter mehr geschleppt werden. Geschlagen ist die Miliz allerdings noch lange nicht. Insgesamt bleibt die Situation in Somalia instabil. Das Land ist seit mehr als 20 Jahren ein Konfliktherd. Die staatlichen Strukturen sind weitgehend zusammengebrochen.
Somalia bleibt Krisenstaat
Daran muss sich etwas ändern, wenn die Piraterie dauerhaft bekämpft werden soll, meint UN-Experte Gerhard van Rooyen:
"Da liegt viel Arbeit vor uns. Die Region muss stabilisiert werden. Gut ist, dass Somalia eine neue Regierung hat und dass es Strategien gibt, um auch die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln. Die Menschen sollen sehen, dass Frieden möglich ist und dass gewaltsame Verbrechen nicht der einzige Weg sind, um sich über Wasser zu halten."
Ein Einzelkämpfer, der sich besonders für die Aufklärung der Dorfbevölkerung in Somalia einsetzt, ist Abdi Nassir Mohammed. Der junge Mann arbeitet für ein Friedensprojekt in Puntland, Somalias äußerstem Norden. Vor einigen Jahren kam ihm eine Idee: Er nahm die grausamsten Szenen über Somalias Piraten, die er auf Internet-Kanälen wie YouTube finden konnte. Daraus schnitt er einen Film, organisierte eine aufblasbare Leinwand und fuhr an die Küste – mitten rein in die Piratendörfer:
"Der Film, den wir gezeigt haben, hat eine klare Botschaft gesendet. Mütter, Väter und die Ältesten, sie alle hatten nie davon gehört, wie gefährlich das Piratenleben wirklich ist. Unser Film hat ihnen gezeigt, dass Piraten erschossen werden oder anders umkommen. Das hat ihre Meinung verändert und sie haben die Piraten vertrieben."
Ein kleiner Erfolg – doch die Stimmung kann schnell wieder umschlagen. In einem Land wie Somalia, wo ständige Auseinandersetzungen zum Alltag gehören, haben viele junge Männer das Gefühl, dass sie nichts zu verlieren haben. So wie der frühere Pirat Abdi, der mit 17 zum ersten Mal bei einem Überfall auf ein Schiff dabei war:
"Seit ich klein war, bin ich es gewohnt, Menschen sterben zu sehen. Als ich drei Jahre alt war, gab es schwer Kämpfe in unserem Dorf. Viele sind erschossen worden. Das sind meine ersten Erinnerungen. Ich bin ins Boot gestiegen, darauf eingestellt, jemanden zu töten. Und ich war auch bereit, selbst zu sterben."
Abdi lebt inzwischen im benachbarten Kenia und hat mit der Piraterie aufgehört. Aberihm können jederzeit andere junge Männer folgen. Somalia bleibt ein Krisenstaat – und damit nach Einschätzung von Gerhard von Rooyen ein idealer Nährboden für Islamisten genauso wie für Piraten:
"Wir glauben nicht, dass die Probleme an Land gelöst wurden. Es sind noch die gleichen Strukturen da, die vor einigen Jahren die Angriffe vor der Küste so schnell ansteigen ließen. Die Überfälle sind jetzt zwar zurückgegangen – aber die Piraterie ist nicht vorbei."
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