Auslandsaufenthalt

Zwei Semester in der Heiligen Stadt

Die Davidszitadelle in der Altstadt Jerusalems.
Die Davidszitadelle in der Altstadt Jerusalems. © Deutschlandradio Kultur / Philipp Eins
Von Paul Stänner · 05.10.2014
Über 900 angehende evangelische und katholische Theologen haben in den vergangenen 40 Jahren das "Theologische Studienjahr Jerusalem" absolviert. Das hat die Theologie verändert.
"Hier in der Krypta, ein so genannter Memorialort, ein Gedächtnisort, der von vielen vielen tausend Pilgern jeden Tag und jedes Jahr besucht wird und deswegen sehr voll ist."
Pater Ignatius erläutert die Grabeskirche auf dem Zionsberg in Jerusalem, die zum Benediktiner-Kloster "Dormitio Mariae" gehört. In ihrer Nachbarschaft liegt das Davidsgrab, eine wichtige jüdische Kultstätte, und der Saal, in dem Jesus das letzte Abendmahl gefeiert haben soll. In einem wunderschönen Garten des Benediktinerklosters befindet sich das Studienhaus "Beit Josef". Seit 1969 können Studenten hier leben und arbeiten. Was mit Sommerkursen anfing, wurde 1973 zu einem Studienjahr erweitert, das die Chance bietet, theologische Studien im Land der Bibel und in engem Kontakt mit anderen Religionen zu betreiben. Die Schwerpunkte des Studienjahrs erläutert Studiendekan Thomas Fornet-Ponse:
"Die großen Interessenslagen der Studenten entsprechen in den Schwerpunkten des theologischen Studienjahres vor allem Archäologie und Bibelwissenschaften, aber auch die innerchristliche Ökumene, weil es ein ökumenisches Studienjahr ist. Das heißt, es sind nicht nur Katholiken oder Protestanten, sondern wir haben eine Mischung aus katholisch, evangelisch, männlich, weiblich, prinzipiell könnten auch orthodoxe Studierende dabei sein."
In diesem Jahr feiert die Einrichtung ihr 40-jährges Bestehen, mehr als 900 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben das acht Monate umfassende Studienjahr absolviert.
Auf dem Zionsberg, mit einer weiten Aussicht über Jerusalem, den Ölberg, den Felsendom und die Montefiori-Mühle, steht ein unaufwendiger Zweckbau mit langen Fluren, an denen rechts und links die Studier- und Schlafzimmer der Studentinnen und Studenten liegen. Die Räume sind recht spartanisch gehalten. Bei den Duschen beispielsweise gingen die Architekten davon aus, dass ein Student schlank sein muss. Hanna Göttschke ist schlank. Sie studiert in Tübingen - und jetzt Jerusalem - evangelische Theologie.
"Ganz am Anfang, als ich angefangen habe, Theologie zu studieren, und mir wurde gesagt, dass Jericho nie existiert hat, das war schon ein Problem für mich, für meinen kindlichen Glauben. Aber jetzt, nach diesem Studienjahr, kann ich schon sagen, dass mein Glaube dadurch nicht irgendwie verloren gegangen ist, sondern sich differenziert hat, und es für mich nicht historisch gewesen sein muss und ich dennoch glaube, dass Gott in der Geschichte wirkt."
Professor Lehmann kappt die theologische Fantasie
Das Studienjahr wuchert mit seinen Pfunden: In Israel zu studieren hat den Vorteil, von biblischen Stätten umgeben zu sein. Ökumene und Archäologie sind die beiden Standbeine des Studienjahrs, sagt Studiendekan Fornet-Ponse.
"Es geht darum, dass man Bibel und Archäologie in einen konstruktiven Dialog miteinander bringt, dass man schaut, wie kann man gewisse Stellen in der Bibel durch archäologische Erkenntnisse entweder fundieren - oder wo gibt es Widersprüche. Und dann muss man gegebenenfalls anders mit den Texten umgehen."
Bibel und Archäologie: Wir stehen südlich von Jerusalem auf einer Ausgrabungsstätte. Gerade eben hat Professor Gunnar Lehmann, Archäologe an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva, erläutert, wie hilfreich für die Forschung gelegentliche Gewaltexzesse sind, weil sich aus der festgebackenen Erde einer niedergebrannten Stadt gut erhaltene Fundstücke ausgraben lassen. Wir stehen in Tel Gezer.
"Hazor, Meggido und Gezer werden in der Bibel erwähnt als die, die von Salomon ausgebaut werden. Genau in den drei Städten findet man Sechs-Kammer-Tore."
Wenn ein Archäologe Vier-Kammer-Tore findet, ist er hocherfreut. Noch glücklicher ist er, wenn er Sechs-Kammer-Tore findet. Die Funktion der Kammern ist immer noch nicht geklärt, aber egal - vier oder sechs - das deutet auf eine bestimmte Siedlungsepoche hin. In Tel Gezer geht es darum, ob die Archäologie das Wirken des großen König Salomo nachweisen kann.
Zitat aus Salomon, 1 Könige 9,10 – 28:
"König Salomo hatte Fronarbeiter ausgehoben zum Bau des Tempels, seines Palastes, des Millo und der Mauern von Jerusalem, Hazor, Megiddo und Geser. Der Pharao, der König von Ägypten, war nämlich heraufgezogen, hatte Gezer erobert und eingeäschert, die Kanaaniter, die darin wohnten, getötet und die Stadt als Brautgeschenk seiner Tochter, der Frau Salomos gegeben. Salomo baute nun Geser wieder auf."
Das Alte Testament beschreibt unschöne Zeiten. Der ägyptische Pharao brennt die Stadt Geser nieder und vermacht die blutgetränkte, rauchende Ruine als Brautgeschenk seiner Tochter zur Hochzeit mit dem ach so weisen Salomo. Der soll die Stadt mit all der Prächtigkeit, die ihm nachgesagt wird, wieder aufgebaut haben.
Professor Lehmann: "Wir wissen heute, dass diese Theorie wahrscheinlich nicht stimmt. Wir sehen Sechs-Kammertore in Orten, die nie israelitisch waren und nie von Salomo beherrscht wurden wie z. B. in Aschot, das ist eine Philister-Siedlung."
Ende einer Theorie. Dabei ist es relativ häufig so, dass Studentinnen und Studenten ins Heilige Land reisen, gerade um die Stätten zu sehen, die die Vorstellungskraft der Gläubigen beschäftigen. Dann aber kommt Professor Lehmann und kappt die theologische Fantasie mit dem harten Grabungsschnitt des skeptischen Archäologen.
"Wenn man der archäologischen Evidenz, diesen archäologischen Funden eine Bedeutung gibt, die ihren Glauben erschüttern kann, dann wird es sie auch erschüttern können. Ich denke mir, man sollte den Glauben nicht so sehr auf Steine gründen, sondern auf andere Dinge, die vielleicht ein besseres Fundament sind für so etwas wie einen Glauben."
Eine hoch effiziente Einrichtung
In diesen theologischen Strudel geriet auch Franziska Stretz aus Würzburg, 23 Jahre alt, Studentin der Germanistik und katholischen Theologie für das Lehramt an Gymnasien:
"Eine meiner großen Erwartungen, worauf ich mich sehr gefreut habe, waren tatsächlich auch die biblischen Orte, über die man in der Uni ja eher so theoretisch spricht, oder die Bibel, wenn man an einem Text eben sehr theoretisch arbeitet, tatsächlich wirklich erleben zu können - ein bisschen das haptische Element: Ich stehe jetzt genau an diesem Ort, wo die Geschichte spielt und ich fasse jetzt den Stein an und so weiter."
Die Vorfreude auf die Steine im Land der Bibel wich der Ernüchterung vor Ort:
"Was sich hier ein bisschen für mich auch verändert hat - man hat die Orte kennen gelernt, aber durch die Archäologie, mit der man sich auch sehr beschäftigt -, dass diese größere Wahrheit irgendwie unabhängig von dem Ort auch noch einmal an Bedeutung gewinnt. Dass man sich ein bisschen davon lösen kann."
Exkursionspause im Grabungsfeld. Die Studentinnen und Studenten haben ihre Pappteller gefüllt und sitzen in weitem Kreis im Schatten. Es gibt Pitabrot, Obst, Wasser und - unausweichlich in Israel - Humus. Johannes Hölscher stammt aus dem münsterländischen Gütersloh, ist also katholisch. Ihn beschäftigt der ökumenische Aspekt des Studienjahrs:
"Zum Beispiel hatten wir, als wir die muslimischen Gäste in den christlich-islamischen Werkwochen da hatten, einmal eine längere Diskussion darüber, ob wir denn zusammen bei Tisch beten können und ob wir überhaupt zusammen beten können."
Dafür wurde spontan ein Abend angesetzt und heftig diskutiert, mit Johannes Hölscher als Streitschlichter, so wie er es in der 7.Klasse in Gütersloh gelernt hatte. Es ging darum, was an Gemeinsamkeiten zwischen Christen und Muslimen möglich ist und wo die trennende Grenze liegt. Das Ergebnis: Gemeinsam beten geht - mit Abstrichen.
"Ja, wir haben nicht nur am Tisch zusammen gebetet und zwar mit Texten aus eigenen Traditionen, die bestimmte trinitarische Formeln ausgelassen haben. Und wir haben am Abschluss der drei Wochen mit unseren muslimischen Gästen eine gemeinsame Andacht veranstaltet."
Die Lehre von der Dreifaltigkeit blieb dann eben als christliche Besonderheit außen vor.
Professor Christoph Markschies lehrt an der Humboldt-Universität in Berlin Ältere Kirchengeschichte. Auch er war als Student im Studienjahr in Jerusalem und ist auch heute regelmäßiger Dozent des Studienjahrs. In Berlin, mit Blick auf die Museumsinsel, formuliert seine Wünsche an das Haus:
"Das Studienjahr sollte Menschen die Gelegenheit geben, die Erfahrungen zu sammeln, die notwendig sind, um ein angemesseneres Bild von der römisch-katholischen und orthodoxen Schwesterkonfession zu gewinnen, ein angemesseneres Bild von Judentum und Islam, ein sensibleres Verständnis für den Palästinakonflikt und damit eine insgesamt geklärtere eigene theologische Existenz."
Ein Drittel der Studenten des Studienjahres beendet die akademische Ausbildung mit der Promotion - schon das ist eine hohe Erfolgsquote. Andere Gewinne sind weniger leicht messbar, aber für den Einzelnen erfahrbar. Was den Schluss zulässt, dass der Deutsche Akademischen Austauschdienst in Jerusalem eine hoch effiziente Einrichtung fördert.