Ausländerfeindlichkeit in Sachsen

"Verheerende Auswirkungen" auf den Wissenschaftsstandort

Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD)
Will die Hochschulen für ausländische Studierende weiter öffnen: Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) © dpa/picture alliance/Matthias Hiekel
Eva-Maria Stange im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.08.2015
Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Pegida, NPD - dadurch entstehe auch einen enormer Imageschaden für Sachsen, beklagt Eva-Maria Stange. "Das schreckt ausländische Wissenschaftler erheblich ab", so die die sächsische Wissenschaftsministerin.
Wenn Flüchtlingsheime brennen, Rechtsradikale in Heidenau aufmarschieren oder Pegida durch Dresden zieht, dann hat das auch "verheerende Auswirkungen" auf den Wissenschaftsstandort Sachsen.
"Der Imageschaden ist enorm", sagt Sachsens Ministerin für Wissenschaft und Kunst Eva-Maria Stange (SPD). Das Problem beginne nicht erst bei Pegida. Man dürfe auch nicht vergessen, dass die NPD zwei Legislaturperioden lang im sächsischen Landtag vertreten gewesen sei. "Und das schreckt ausländische Wissenschaftler erheblich ab", betont die SPD-Politikerin.
Zu lange wurde das Problem verharmlost
Stange räumt ein, zu lange sei verharmlost worden, dass die NPD in Sachsen verankert sei und dass es ein hohes Potenzial an Ausländerfeindlichkeit gebe. "Und das schlägt uns natürlich jetzt ganz gehörig ins Gesicht." Zum Glück gebe es mittlerweile viele junge Menschen, die sich vor Asylbewerberheime stellten und selber ihre Stimme erheben würden. Auch Studierende engagierten sich für Flüchtlinge: "In Dresden allein haben sich 500 Studierende während der Semesterpause sofort gemeldet und sind eingesetzt mit in dem Flüchtlingscamp."
Die sächsische Wissenschaftsministerin kündigt an, die Hochschulen für ausländische Studierende weiter zu öffnen, auch wenn diese keine Papiere hätten. "Dann muss das Hochschulrecht auch deutschlandweit geöffnet sein."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Es gibt vielerorts Angriffe auf Flüchtlingsheime, aber in den vergangenen Tagen, nach dem zweimaligen Angriff auf das Flüchtlingsheim in Heidenau, stand vor allem Sachsen im Blick. Die rassistischen Angriffe dort häuften sich dort unter anderem auch deshalb, so sagte es Christian Wolff, der einstige Pfarrer der Leipziger Thomaskirche, weil zu wenig Klarheit in der Gegenposition bezogen wurde und damit Pegida-Parolen salonfähig gemacht würden, dass man sie allein als Ausdruck von Ängsten auffasst. Und Christian Wolff wurde noch deutlicher als er hier bei uns im Programm sagte:
Christian Wolff: In Sachsen sind die Universitäten sozusagen demokratiefreie Zonen. Sie müssen sich einfach nur ansehen, wie Entscheidungsprozesse verlaufen. Die Universitäten werden gegängelt von der Ministerialbürokratie, und es findet ja viel zu wenig auch der offene demokratische, streitige Diskurs statt, der eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass wir Demokratie leben können.
von Billerbeck: Christian Wolff, einstiger Pfarrer der Leipziger Thomaskirche. Und quasi direkt angesprochen damit hat er damit auch die sächsische Staatministerin für Kunst und Wissenschaft, Eva-Maria Stange, die Politikerin ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Eva-Maria Stange: Guten Morgen, Frau Billerbeck!
Sächsische Hochschulen sind keine demokratiefreien Zonen
von Billerbeck: In Sachsen sind die Unis quasi demokratiefreie Zonen – was antworten Sie darauf?
Stange: Das ist leicht überzogen. Ich würde mich gerne mit Herrn Wolff darüber mal unterhalten, was er darunter versteht, denn die Hochschulen sind, ich glaube, einer der Orte, an denen noch am meisten Demokratie praktiziert wird, rein von den Strukturen her, aber vielleicht sollte man darüber dann auch intensiver sprechen, denn das zu behaupten ist das eine, das andere ist, das nachzuweisen.
von Billerbeck: Noch am meisten Demokratie praktiziert, das heißt ja, dass nicht genug Demokratie in Sachsen praktiziert wird.
Stange: Ich meine das bezogen auf die Bildungseinrichtungen. Wir haben in Sachsen, und das war während meiner letzten Amtszeit, ein Hochschulgesetz diskutiert, breit diskutiert, das, glaube ich, zu denen in Deutschland gehört, in denen die Gruppenuniversität aus den 70er-Jahren – ein Modell, was ja nie vollständig umgesetzt wurde – noch am ehesten praktiziert wird, nämlich dass die Mitglieder der Universität, die Studierenden, die Hochschullehrer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich unmittelbar über die Gremienstrukturen in die Debatte der Weiterentwicklung der Hochschule einbringen können.
Hohes Potenzial an Ausländerfeindlichkeit
von Billerbeck: Aber ist es nicht so – und ich glaube, das meinte er auch über die Universitäten hinaus –, dass man in Sachsen immer das Gefühl hat, dass gerade die Landesregierung in der Angst, die Wähler zu verlieren, verdammt lange geschwiegen hat, vermeintliche Ängste getätschelt hat, statt klare Position gegen Rassisten zu beziehen?
Stange: Ich würde gerne das eine von dem anderen trennen, denn die Frage der Struktur der Hochschulen auf der einen Seite und der Umgang mit rechtsradikalen Tendenzen oder auch der NPD innerhalb Sachsens sind zwei verschiedene Dinge, und ich denke, gerade unsere Hochschulen haben sich in den letzten Jahren sehr intensiv auch klar und deutlich geäußert gegen rechtsradikale Tendenzen. Ich stimme Pfarrer Wolff zu in der Frage, dass zu lange verharmlost wurde, dass wir in Sachsen die NPD verankert haben, dass wir ein hohes Potential an Ausländerfeindlichkeit haben, und das schlägt uns natürlich jetzt ganz gehörig ins Gesicht.
von Billerbeck: Christian Wolff hat ja nicht nur undemokratische Prozesse an den Unis kritisiert, sondern vor allem auch, dass bei der Demokratiebildung im Bildungswesen nicht genug getan wurde und er spricht da von einer Entwicklung, die durch einen Prozess des langjährigen Verdrängens und Zulassens entstanden sei. Wie schätzen Sie das ein?
Stange: Auch darüber sollte man intensiver sprechen, und ich denke, gerade die Demokratiekonferenz, die ja in wenigen Wochen in Leipzig stattfindet und auf eine Initiative, auch meines Hauses mal zurückgegangen ist, ist eine Möglichkeit, mit Schülerinnen und Schülern, mit Lehrern, mit der Öffentlichkeit darüber zu reden, wie viel Demokratie brauchen wir auch in der Schule. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir aus einer Zeit kommen, in der Demokratie ein Fremdwort gewesen ist, und es sind sowohl die Bildungseinrichtungen – und da könnte sicher in der Schule noch mehr getan werden für die Demokratiebildung, für die aktive Demokratiebildung – als auch natürlich die Medien, die Öffentlichkeit, aber auch die Elternhäuser, die da ihren Auftrag zu erfüllen haben.
Ausländerfeinde und Rechtsradikale schrecken ausländische Wissenschaftler ab
von Billerbeck: Aber mit Verlaub, diese Zeit ist 25 Jahre her.
Stange: 25 Jahre reichen nicht aus, um aus einer Diktatur in eine Demokratie zu wandeln. Und ich merke das als Politikerin ja sehr deutlich, wenn ich mit den Menschen hier vor Ort spreche, und auch gerade jetzt in der Asyldebatte man immer noch darauf wartet, dass von oben eine klare Ansage kommt, statt selbst mit anzupacken. Zum Glück gibt es mittlerweile gerade viele junge Menschen, die vor Asylbewerberheime sich stellen, die mit zupacken, die selber die Stimme erheben, und das ist für mich eigentlich ein gutes Zeichen.
von Billerbeck: Trotzdem ist es ja wahrscheinlich ganz gut, wenn "von oben", in Anführungsstrichen, auch eine klare Ansage kommt. Nun ist ja Sachsen ein Wissenschaftsstandort, der auch angewiesen ist auf ausländische Fachkräfte. Welche Folgen haben denn solche Anschläge, wie auf das Flüchtlingsheim in Heidenau oder vorher die Pegida-Parolen auf den Demonstrationen, für den Wissenschaftsstandort?
Stange: Sie haben verheerende Auswirkungen. Gerade in den letzten Monaten bin ich ja immer wieder gefragt worden, welche Auswirkungen das hat. Der Imageschaden für Sachsen ist enorm, und das beginnt nicht erst mit Pegida, sondern das war schon – man darf nicht vergessen, wir haben zwei Legislaturperioden die NPD im Landtag gehabt und jetzt hat sie nur knapp die 5-Prozent-Hürde verpasst. Das Gedankengut ist da, die Stimmen sind da, die Wähler sind da, und das schreckt ausländische Wissenschaftler erheblich ab. Die Diskussion haben wir mit dem Max-Planck-Institut genauso wie mit unseren Universitäten, und da werden wir lange zu arbeiten haben, um diesen Imageschaden wieder zu beseitigen.
Die Hochschulen für Studierende ohne Papiere öffnen
von Billerbeck: Nun sind Sie Landesministerin auch für Wissenschaft. Derzeit erleben wir, dass viele hunderttausend Menschen zu uns flüchten, darunter auch viele, die aus der Mittelschicht kommen, die gebildet sind, einen Uniabschluss haben. Was tun denn die Universitäten, was tut die sächsische Politik, um solchen Menschen Zugang zur Universität zu verschaffen?
Stange: Zu allererst, denke ich, sind wir momentan dabei, gerade was die Unterbringung in den Sporthallen in Dresden, Leipzig oder auch in Chemnitz anbelangt, erstmal den Menschen überhaupt ein friedliches Dach über den Kopf zu schaffen und auch eine vernünftige Versorgung bis hin auch zu zahlreichen Spenden. Da muss ich sagen sind unsere Hochschulen enorm aktiv und viele Menschen um die Universitäten herum. In Dresden allein haben sich 500 Studierende während der Semesterpause sofort gemeldet und sind eingesetzt mit in dem Flüchtlingscamp. Das ist das eine. Die zweite Sache ist, ja, wir werden die Hochschulen jetzt auch weiter öffnen für ausländische Studierende, auch wenn sie keine Papiere haben. Das ist ja das größte Problem, solange sie ihre Dokumente mitbringen können, gibt es keine Schwierigkeiten, aber wenn sie keine Dokumente haben, dann muss das Hochschulrecht auch deutschlandweit geöffnet sein.
von Billerbeck: Das sagt Eva-Maria Stange, die sächsische Staatsministerin für Kunst und Wissenschaft und antwortete damit auch auf die Vorwürfe des einstigen Pfarrers der Leipziger Thomaskirche, Christian Wolff, hier bei uns im Programm. Ganz herzlichen Dank!
Stange: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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