Ausländerfeindlichkeit

Ein rechter Philanthrop

Flüchtlinge in einem überfüllten Boot.
Die vielen afrikanischen Flüchtlinge im Mittelmeer machen manchen Leuten in Deutschland Angst. © picture alliance/dpa/Str
Von Susanne Schädlich · 01.06.2015
Die Nachricht, dass Deutschland nach EU-Quoten die meisten Flüchtlinge aufnehmen müsste, gießt Wasser auf die Mühlen vieler Skeptiker – darunter auch solcher, die "es doch nur gut" meinen. Gut meinen – mit wem? Beobachtungen aus einem kleinen Ort in Sachsen.
Zweimal im Jahr, sagen die Leute, schwebt ein teurer Wagen über die Landstraßen in die Dörfer und Städte nahe Görlitz. Ein Mann steigt aus: Winfried Stöcker. Auch im Städtchen mit dem Erdachsenbrunnen von 1874. Der Vorzeigeunternehmer ist gern gesehen hier. Egal, was über ihn geredet wird. Und Stöcker macht von sich reden, sprach in einem Interview zur Asylpolitik von "Negern" und von "Türken, die sich in Deutschland festsetzen", von "reisefreudigen Afrikanern", die er lieber nach Hause schicken würde, dann ließen die nächsten solche gefährlichen Bootstouren sein und keiner ertrinke mehr.
Flüchtlinge aufzunehmen, ist für Stöcker der Ausgangspunkt neuer Feindseligkeit und neuen Unrechts. Er lässt sich nicht den Mund verbieten: "Je mehr Fremde sich auf Dauer hier einrichten, desto feindlicher wird die Gesinnung bei einem großen Teil der einheimischen Bevölkerung." Das sei übrigens ganz normales, menschliches Verhalten. Es abzuschaffen, wäre utopisch. Oder ob es in Deutschland schon wieder Zeit für ein neues Experiment sei?
Selber Flüchtling – aus der DDR – studierte Stöcker in Lübeck Medizin, gründete die weltweit agierende Euroimmun. In der alten Heimat im Osten errichtete er nach 1990 Zweigniederlassungen, kaufte u. a. ein berühmtes Görlitzer Jugendstil-Kaufhaus, und in Bernstadt den über 700 Jahre alten Gasthof "Brauner Hirsch", seit 1986 eine Ruine, gegenüber dem Erdachsenbrunnen.
Die Ruine soll saniert werden. Kommt die Rede auf die Nachkriegszeit, sagt einer, "wir haben unsern Dreck selber weggeräumt. Guckt euch an, wie es bei den Arabern aussieht. Die schießen alles kaputt, dann bleibt es liegen", und blickt die Hauptstraße entlang. Sie ist langgezogen und schmal. Die ein- bis zweistöckigen Häuser sehen aus wie von vor dem Krieg. In den Fenstern hängen Stores, unbeweglich, als hingen sie so seit Jahrzehnten. Zwischen Fensterglas und Stores sind Topfpflanzen, widerständig gegen die Zeit. Und die Fenster mit den Pflanzen und Stores, hinter denen jemand wohnen muss, gleichen denen von Beerdigungsinstituten.
Die Schaufenster der wenigen Geschäfte wirken wie aus jenen Jahren, in denen fehlende Ware durch Blumendekoration ersetzt wurde. Im Lottoladen gibt es Tees, Tabak, Anstecknadeln, Zahnstocher, Lottoscheine, Briefmarken, Bücher über Legenden und was jemand vielleicht brauchen könnte. Wer es hier wagt, ein Geschäft zu eröffnen, handelt mit allem und nichts. Der Lottoladen ist auch ‚Confiserie'. Teestubengemütlichkeit, ignoriert man den Ausblick auf das graubraune Gegenüber ohne Putz.
Statt Flüchtlingen braucht das Land eine "Willkommenskultur für eigenen Nachwuchs", meint Stöcker, dann müssten auch nicht Ausländer die Rentenkassen füllen. Er spricht aus, was viele denken. Stöcker ist einer von ihnen, macht es wie sie. Spuckt in die Hände. Was in Jahrhunderten errungen wurde, soll nicht durch Überfremdung zerstört werden. Auch nicht die deutsche Sprache. Stöcker wehrt sich gegen "ideologisch verblendete Wirrköpfe", die alle Jubeljahre eine neue Wortschöpfung für den Begriff "Neger" vorschreiben wollen, den er ohne jeden diskriminierenden Hintergedanken gebrauche. Gegen Ausländer habe er nichts, schließlich sei Euroimmun international. Auch gegen Türken nicht. Aber offenbar nur, wenn es Kollegen sind. Und neu ins Land kommen sollen sie nicht, Deutschstämmige sollen keine Minderheit werden.
Die Lübecker Uni distanzierte sich vom einstigen Absolventen. Stöcker strich ihr im Gegenzug jetzt kurzerhand Millionen-Fördergelder. In der alten Heimat richtet er Betriebskitas ein, versorgt Schulen, engagiert sich in der Freizeitkultur, kümmert sich – Nächstenliebe für Deutsche – um den Nachwuchs.
Sachsen ist die Achse der Welt. Hier bricht man die Lanze für ihn. In Görlitz jedoch ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung. Die Kampagnen gegen ihn nennt Stöcker "Gesinnungsterror".
Am Erdachsenbrunnen ist eine Inschrift von 1939: "Viele Orte stritten sich in Sachsen, wo wirklich sei der Erde Achse, jetzt ist sie uns hierher befohlen, nun soll sie auch kein Teufel holen."

Susanne Schädlich, geboren 1965 in Jena, verließ zusammen mit ihren Eltern, dem Schriftsteller Hans Joachim Schädlich und der Lektorin Krista Maria Schädlich, und ihrer Schwester Anna 1977 die DDR. 1987 ging sie in die USA, wo sie mit literarischen Übersetzungen begann. Ab 1993 arbeitete sie u.a. am Max Kade Institute in Los Angeles. 1996 erhielt sie ein Stipendium der University of Southern California und schloss 1999 das Studium der Neueren Deutschen Philologie ab. Danach kehrte sie nach Berlin zurück, wo sie mit ihren beiden Söhnen lebt. 2007 veröffentlichte sie ihren ersten Roman "Nirgendwoher, irgendwohin" (Plöttner Verlag). Es folgten weitere Veröffentlichungen: "Immer wieder Dezember. Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich" sowie "Westwärts, so weit es nur geht. Eine Landsuche" (beide: Droemer). Zuletzt gab sie gemeinsam mit ihrer Schwester Anna Schädlich die Anthologie "Ein Spaziergang war es nicht, Kindheiten zwischen Ost und West" (Heyne) heraus. Zuletzt erschien bei Droemer-Knaur der Roman "Herr Hübner und die sibirische Nachtigall".

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