Auschwitz

Lagerkommandant ohne Einsicht in Schuld

Der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, Rudolf Höss (Mitte), steht Mitte der 40er-Jahre auf dem Flugplatz in Nürnberg. Er wird zusammen mit einer Gruppe Offiziere nach Polen ausgeliefert.
Der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, Rudolf Höss (Mitte) © picture alliance / dpa
Von Markus Reiter · 10.01.2015
Rudolf Höß war der Kommandant von Auschwitz. Zwei Biografien über ihn sind in den vergangenen Monaten erschienen. Sie zeigen, dass er bis zu seinem Tod stolz darauf war, die Vernichtung der europäischen Juden organisiert zu haben.
Sachbücher über die Massenmorde von Auschwitz sind naturgemäß keine angenehme Lektüre. Irgendwann vermag man angesichts der gewaltigen Zahl der Ermordeten kaum noch Empathie zu empfinden, nimmt nur noch die technischen Aspekte und die Statistiken der Menschenvernichtung wahr.
Ist es - in einem ungleich menschenverachtenderen Maßstab - den SS-Leuten, die in dem Konzentrationslager diese Vernichtung organisierten, ähnlich ergangen? Bei Rudolf Höß, dem Kommandanten von Auschwitz, deutet manches darauf hin.
Anschaulich erzählte Doppelbiografie
Zwei unterschiedliche biografische Annährungen sind in den letzten Monaten über ihn erschienen. Eine Doppelbiografie stammt von dem britischen Dokumentarfilmer und Journalisten Thomas Harding. In "Hanns und Rudolf" erzählt er parallel das Leben von Höß und von Hanns Alexander, des britischen Soldaten, der ihn nach monatelanger Suche nach Kriegsende auf einem Bauernhof in Schleswig-Holstein zur Strecke brachte.
Cover Thomas Harding "Hanns und Rudolf"
Cover: "Hanns und Rudolf" von Thomas Harding© dtv
Hanns (Harding nennt die beiden Männer unnötigerweise stets beim Vornamen) war deutscher Jude aus Berlin. Sein Vater Alfred gehörte zu den wichtigsten Ärztefunktionären der Weimarer Republik. Der Familie gelang es 1938 in letzter Minute, nach England zu emigrieren. Hanns Alexander, der 2006 verstorben ist, war Hardings Onkel.
Vieles, was der Autor über ihn berichtet, stammt aus Familienerzählungen. Dadurch werden diese Kapitel anschaulich und spannend.
Bei den Kapiteln über Rudolf Höß verlässt sich Harding hingegen stark auf dessen Autobiografie. Der KZ-Kommandant hatte sie während seiner Haftzeit in Polen kurz vor seiner Hinrichtung niedergeschrieben. Allzu leicht übernimmt der Biograf dabei die Sichtweise von Höß.
Das beginnt schon bei dessen Jugendzeit in einem Dorf in der Nähe von Baden-Baden, zu der es nur wenige unabhängige Quellen gibt. Schwerwiegender wird der Mangel, wenn es um die Zeit als KZ-Kommandant geht. Selbst wenn Höß in seiner Autobiografie wenig zu beschönigen scheint, weil ihm jedes Unrechtsbewusstsein zu fehlt, überbetont er doch seine Rolle als Befehlsempfänger.
Mangel an distanzierter Beurteilung
Leider kann auch die Lektüre des zweiten Buches, Volker Koops Höß-Biografie, dem Mangel an distanzierter Beurteilung nicht abhelfen. Der Berliner Publizistik beschränkt sich zu oft darauf, seitenweise Auszüge aus der Autobiografie des KZ-Kommandanten wiederzugeben und mit spärlichen Anmerkungen zu versehen.
Cover Volker Koop "Rudolf Höß - Der Kommandant von Auschwitz"
Cover: "Rudolf Höß - Der Kommandant von Auschwitz" von Volker Koop © böhlau
In den ersten Kapiteln über die Jugendzeit kann Koop noch einige Beschönigungen, auf die Thomas Harding hereingefallen ist, geraderücken. Zum Beispiel findet er heraus, dass der spätere SS-Offizier das Gymnasium wegen schwacher schulischer Leistungen verließ und nicht allein deshalb, weil es ihn als blutjungen Soldaten in den Ersten Weltkrieg zog.
Vor allem im zweiten Teil wünschte man sich aber häufiger eine historische Einordnung, eine Interpretation der Selbstauskunft und ihre Konfrontation mit den Fakten.
Zusammengenommen zeichnen beide Bücher das Bild eines Mannes, der stets das Gefühl hatte, zu kurz gekommen zu sein, der sich als Befehlsempfänger das Denken und Fühlen verbietet – und eines Mannes, der bis zum Schluss stolz darauf war, die Vernichtung der europäischen Juden technisch und logistisch so gut bewältigt zu haben.

Volker Koop: Rudolf Höß - Der Kommandant von Auschwitz. Eine Biographie
Böhlau Verlag, Wien Köln Weimar 2014
338 Seiten, 24,90 Euro

Thomas Harding: Hanns und Rudolf. Der deutsche Jude und die Jagd nach dem Kommandanten von Auschwitz
Aus dem Englischen von Michael Schwelien
dtv München, 2014
400 Seiten, 24,90 Euro, auch als E-Book

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