Ausblick auf 2015

Deutschland hat nur als weltoffenes Land eine Chance

"Was ist deutsch?" steht auf einem Plakat in Berlin im AWO Begegnungszentrum in der Adalbertstraße.
"Was ist deutsch?" steht auf einem Plakat in Berlin im AWO Begegnungszentrum in der Adalbertstraße. © picture alliance / ZB
Von Peter Lange · 27.12.2014
Wer stoppt die Islamisten? Welche Lösung gibt es für den neuen Ost-West-Konflikt? Und schafft es Deutschland sich neu zu erfinden? Wir gehen mit drängenden Fragen in ein neues Jahr, sagt der Journalist Peter Lange: Deutschland und die Welt stünden womöglich vor einem Epochenwechsel.
Diejenigen, die alt genug sind, werden sich erinnern: Die Stimmung war optimistisch bis euphorisch. Die Verhältnisse hatten begonnen zu tanzen, alles schien möglich. Das Ende der Geschichte schien bevorzustehen und immerwährender Frieden, auf jeden Fall des Ende des Kalten Krieges. So war das vor einem Vierteljahrhundert, an der Jahreswende 1989/90.
Wie wohl in 25 Jahren auf dieses Jahr 2014 zurückgeschaut wird?
In seinen geschichtsphilosophischen Thesen hat sich der Schriftsteller Walter Benjamin 1940 von der Idee verabschiedet, dass die Geschichte aus einer linearen Kette von Begebenheiten bestehe. Der Fortschritt sei vielmehr ein Sturm, der unaufhaltsam Trümmer auf Trümmer häufe, und auch der Engel der Geschichte sei nicht in der Lage, das Zerschlagene zusammenzufügen.
Walter Benjamin verfasste seine Thesen tief verzweifelt im französischen Exil. Und würde er auf die Welt des Jahres 2014 schauen, sähe er sich in seinem Pessimismus wohl bestätigt. 2014 war ein Jahr der Flüchtlinge und Migranten. Und ein Jahr, in dem in vielen Weltgegenden auch noch der letzte Rest zivilisierten Verhaltens verloren ging. Ob Boko Haram in Westafrika, Al Qaida in Pakistan oder die Terrormiliz IS in Syrien und im Irak. Verhältnisse dort wie im Dreißigjährigen Krieg und keine Macht in Sicht, die in der Lage wäre, die Grausamkeiten zu beenden.
Die Friedensdividende nach dem Kalten Krieg ist aufgezehrt
2014 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in der die Friedensdividende von vor 25 Jahren aufgezehrt war. Der Konflikt um die Krim und der Krieg im Osten der Ukraine markieren das Wiederaufleben des Ost-West-Konflikts. Russland, eine von Minderwertigkeitskomplexen, Abstiegsängsten und inneren Spannungen geplagte Weltmacht, die ökonomisch den Zug der Modernisierung verpasst hat - dieses Russland setzt wieder auf die militärische Karte, und der überlegene Westen antwortet mit seiner wirtschaftlichen Macht, um Moskau in die Knie zu zwingen. Ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht. Vermutlich wird alles noch viel schlimmer werden, bevor es besser wird.
Apropos Abstiegsängste: 2014 kann in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem in Deutschland offenbar wurde, dass nach der SPD auch die CDU/CSU die Bindungskraft einer Volkspartei verloren hat. AfD und Pegida, eine Art deutsche Tea-Party, sind nur die Vorboten eines sich anbahnenden Kampfes um die kulturelle Hegemonie im Land. Die Wahlen in diesem Jahr haben gezeigt, dass sich eine große Minderheit stillschweigend aus dem politischen Diskurs verabschiedet hat.
Dass diese Minderheit nun öffentlich bekundet, sich im politischen System nicht mehr repräsentiert zu fühlen, ist für sich genommen in Ordnung. Bleibt aber die Frage nach ihren politischen Zielen und den Mitteln und Methoden, sie zu erreichen. Die sind fragwürdig und zu kritisieren, wo sie auf Ressentiments setzen und die Frustrationen, wodurch auch immer begründet, auf ganze Gruppen als Sündenböcke lenken – seien es die Ausländer, die Flüchtlinge oder die Muslime. Das erinnert an die unselige Rolle, die ein verhetztes Kleinbürgertum schon mal in Deutschland gespielt hat, wie übrigens auch der Hass auf "das System", auf Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Medien, auf die parlamentarische Demokratie.
Es gibt kein Zurück zu einer traditionellen deutschen Identität
Und was ist mit den Zielen, sofern die überhaupt erkennbar sind? Die Globalisierung in Tateinheit mit der digitalen Revolution hat in den letzten Jahren Wirtschaft und Gesellschaft geradezu mit Naturgewalt umgepflügt. Dieser Prozess ist unumkehrbar und wird nicht aufhören. Die Angst, in diesem Prozess abgehängt zu werden und am Ende zu den Verlierern zu gehören, ist verständlich. Aber es gibt keinen Weg zurück zu einer politisch und kulturell abgesicherten traditionellen deutschen Identität, was immer darunter verstanden wird.
Deutschland hat nur als weltoffenes Land eine Chance, in dem sich verschiedene Kulturen in einem Prozess von Anziehung und Abstoßung aufladen und fruchtbar machen. Diese Welt ist eine Welt der Reisenden und der Wanderer, freiwillig und unfreiwillig. Und die hybriden Identitäten, die daraus erwachsen, werden in Zukunft zum Normalfall werden. Diesem permanenten Wandel müssen sich Politik und Gesellschaft stellen. Wenn die Auseinandersetzung darum seit diesem Jahr offen und öffentlich geführt wird, dann kann 2014 auch in dieser Hinsicht der Beginn eines Epochenwechsels gewesen sein.
Mehr zum Thema