Ausbau trotz Fukushima

Von Markus Rimmele · 29.07.2013
Ungeachtet der Atomkatastrophe von Fukushima plant China einen Ausbau der Kernenergie. Dabei müssten eigentlich erst einmal die Sicherheitsmängel der vorhandenen Reaktoren beseitigt werden. Die Bevölkerung blickt mit Sorge auf manche Anlagen, wie das Beispiel Qinshan zeigt.
Die Straße führt dicht ans Gelände heran. Hinter der Absperrung dreht sich ein halbes Dutzend Kräne. Lastwagen karren Baumaterial herbei. Hinter dem Zaun ragt ein Betonkoloss empor. Hier entsteht der siebte Reaktor am Standort. Gleich links daneben, eingeklemmt zwischen Meer und Hügel, die schon bestehende Anlage. Sie liefert seit 20 Jahren Atomstrom. Das ist Qinshan.

Rund zwei Kilometer entfernt, direkt am Strand mit Sicht aufs Atomkraftwerk, liegt das Dorf Dongtao. 160 Menschen leben hier, vor allem Alte. Ein paar Nachbarn sitzen vor dem Haus von Herrn Chen zusammen. Dass hier vor ihrer Nase immer noch mehr Reaktoren gebaut werden, sorgt für Ärger.

"Das Atomkraftwerk ist direkt neben uns, sagt Herr Chen, ein Bauer. Natürlich machen wir uns alle Sorgen. Aber was sollen wir tun? Wir können nichts tun außer uns Sorgen machen."

Alle scheinen Angst zu haben hier. Die Krebsrate sei hoch in der Gegend, sagt Herr Chen. Das ist schwer nachzuprüfen. Doch glaubhaft ist, dass niemand hier die Menschen aufgeklärt hat über die Atomkraft, weder über die Gefahren, noch über die Sicherheitsstandards.

"Es habe noch nie Gesundheitschecks gegeben, schimpft Herr Chen. In all den 20 Jahren nicht, seit das AKW hier arbeitet. Niemand habe ihnen jemals die Ergebnisse der Strahlungsmessungen aus der Umgebung gezeigt. Da blühen Angst und Misstrauen. Ja, sie führen noch hinaus aufs Meer zum Fischen, erzählen die Dorfbewohner.

Doch den Fisch verkaufen sie nur. Selber essen wollen sie ihn nicht, aus Angst vor Strahlung. Herr Chen wünscht sich eine Umsiedlung, möglichst weit weg vom Kernkraftwerk. Vielleicht gab es da ja sogar mal Geld für. Doch wenn, dann haben es sich doch längst die korrupten Dorfoberen in die Tasche gesteckt, glaubt er."

Sechs Reaktoren sind in Betrieb
Unsere Dorfchefs leben meistens in der Bezirkshauptstadt. Und wir Dörfler können hier vor die Hunde gehen.

Qinshan ist Chinas ältestes und derzeit größtes Atomkraftwerk. Mittlerweile sind hier sechs Reaktoren am Netz. Und der Ausbau geht weiter. So wie im ganzen Land. 17 Reaktoren sind in China in Betrieb. 28 befinden sich in Bau. Dutzende weitere in Planung.

Nach der Katastrophe von Fukushima waren zunächst alle AKW-Vorhaben auf den Prüfstand gekommen. Dieser Prozess ist abgeschlossen, das Nuklearprogramm wurde um etwa ein Drittel abgespeckt. Bis 2020, so die jetzige Planung, wer den Chinas Atomkraftwerke eine Kapazität von 58 Gigawatt besitzen, etwa so viel wie Frankreich.

Sie könnten dann vier bis fünf Prozent des nationalen Strombedarfs decken. Und der Atommüll? Der soll langfristig in ein Endlager weit weg von den Menschen: unter der Wüste Gobi. Wu Libo, Energie-Expertin an der Shanghaier Fudan-Universität:

"Ein Land muss seine Energiequellen diversifizieren. Und die Atomenergie ist eine saubere Energie. China wird nicht von der Kernenergie abrücken. Sie wird sie nur sicherer entwickeln."

Allerdings kennt auch China Erdbeben, und selbst Tsunamis sind nicht ausgeschlossen, warnen Experten. Die Bevölkerung ist skeptisch geworden. Die neue Mittelschicht protestiert immer häufiger auf der Straße gegen gefährliche Industrieprojekte.

Auch an manchen Reaktorstandorten ist es zu Protesten gekommen. Es dürfte immer schwieriger werden, die Kraftwerke gegen den Willen der Bürger einfach durchzudrücken. Aufklärung ist das mindeste, sagt ein jüngerer zugezogener Bewohner von Dongtao.

"Die Menschen auf dem Land verstehen nichts von Atomenergie. Manche glauben, es gibt Strahlung, andere glauben, es gibt keine. Wieder andere glauben, da ist Strahlung, aber die schadet nicht."

Er selbst will wieder wegziehen aus der Gegend, erzählt er. Für den Fall, dass doch was dran ist an den Krebsgerüchten.
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